Der Untergang der Unterschrift: Gefahr für die direkte Demokratie

Matthias Bärlocher
Matthias Bärlocher

Bern,

Immer mehr Komitees bekunden Mühe beim Unterschriftensammeln für Volksinitiativen und Referenden. Ein Kommentar.

Unterschriftensammlung
Kommerzielle Unternehmen sollen beim Sammeln von Unterschriften für Volksinitiativen betrogen haben. (Symbolbild) - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Volksinitiativen und Referenden scheitern schon in der Sammelphase.
  • Kann bald nur noch mit sehr viel Geld ein Volksbegehren zustande kommen?

Ist die direkte Demokratie in Gefahr, zählt die Stimme des kleinen Mannes bald nichts mehr? Zwar werden immer mehr Volksinitiativen gestartet, immer öfter scheitern diese aber schon bei der Unterschriftensammlung. Desgleichen bei Referenden. Und das liegt nur teilweise am Fachkräftemangel bei Schönschreib-Lehrkräften.

Gejagtes Stimmvolk

100'000 gültige Unterschriften braucht es innert 18 Monaten für eine Volksinitiative, 50'000 innert drei Monaten für ein Referendum. Vor 100 Jahren war das noch was wert; auch vor 30 Jahren. Selbst vor zehn, fünfzehn Jahren war es noch harte Knochenarbeit des Otto Normalunterschriftenjägers, Passanten zur Preisgabe von Namen und Postleitzahl zu bewegen.

Volksinitiativen Referenden gescheitert
Schon bei der Unterschriftensammlung gescheitete Volksinitiativen (rot) und Referenden (pink). Im laufenden Jahr traf es bereits mindestens zwei Initiativen und ein Referendum. - bk.admin.ch / Nau.ch

Obwohl bereits damals die angestiegene Anzahl Stimmbürger, plus die mittlerweile dazugekommenen Stimmbürgerinnen, die Jäger-Beute-Proportion deutlich verschoben hatten. Ganz zu schweigen von immer ausgeklügelterem Marketing, digitalen Hilfsmittel sowie professionellen Campaignern.

Das Volk hat immer recht

Solches vermag der direkten Demokratie allerdings noch nichts anhaben. Auch wenn die quartalsweise Abstimmerei manchmal inflationär anmutet: Das Stimmvolk entscheidet immer noch weise und gut informiert. Die Volksbefragung funktioniert als Gegenpol zu den Themen und Interessen, die im Parlament dank freundlicher Unterstützung der Konzerne und Milliardäre dominieren.

Die SVP-Nationalräte Lars Guggisberg, Mauro Tuena und Christian Imark, von links, sowie weitere Vertreter der SVP Schweiz reichen mit über 50'000 Unterschriften das Referendum gegen das Klimaschutzgesetz ein, am Donnerstag, 19. Januar 2023, in Bern. - Keystone

Auch wenn das Thema den «links unterwanderten Staatsmedien» nicht passt. Oder den vom Bundesrat – angeblich – direkt gelenkten Grossverlagen. Stimmvolk muss ja dann trotzdem noch seinen Segen geben. Und stimmt mal für, mal gegen Kampfjets, mal für, mal gegen Rentenaltererhöhung und, fürs Ausland besonders irritierend, gegen sechs Wochen Ferien.

Es ist nicht mehr wie früher

Dann kam das Homeoffice und das Online-Shopping. Die Profi-Jäger-und-Sammler setzten auf Quantität statt Qualität, womit sehr viele Unterschriften regelmässig für ungültig erklärt werden müssen. Was wiederum die Bezahlung der Profis verteuert – statt 2 seien es schon bis zu 7 Franken pro Unterschrift, erzählt ein Campaigner gegenüber «SRF».

Unterstützen Sie die Neutralitäts-Initiative?

Laufen wir deshalb Gefahr, dass sich trotzdem bald nur noch Konzerne und Milliardäre überhaupt eine Unterschriften-Sammlung leisten können? Oder folgt die Renaissance der Stammtisch-Diskussionen, Leserbriefschreiber und Podiumsveranstaltungen mit Publikumsbeteiligung?

Jedenfalls füllen sich landauf landab die Kommentarspalten von Druckerzeugnissen mit Argumentarien für Volksinitiativen, wie ein kurzer Überblick zeigt (siehe Bild). Auch wenn die Druckerzeugnisse alle dem gleichen Konzern und dieser dem gleichen Milliardär gehören (siehe gleiches Bild). Ein kleiner Mann, eine Stimme.

Regiomedia Neutralitätsinitiative Christoph Blocher
Artikel in den Zeitungen der Swiss Regiomedia AG vom 28. November 2022. - Screenshot

Tja, es ist halt nicht mehr wie zu Gotthelfs Zeiten. Oder auch nur wie vor 100 Jahren; oder wie vor 30 Jahren. Wenn Sie damals einem Passanten erzählt hätten, Sie seien «Campaigner» von Beruf, hätte dieser nur freundlich gelächelt. Und irgendwas gemurmelt in Richtung «jaja, wir waren auch schon mal Zelten». Aber damals waren wir ja auch noch gegen mehr Ferien.

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