Die Schweiz im Auge der «Vulkan Files»: Wer glaubt's?
Die geheimen «Vulkan Files» sollen zeigen: Russland plant Grosses in Sachen Cyberkrieg. Unter anderem Angriffe auf die Schweiz. Ein Kommentar.
Das Wichtigste in Kürze
- Gemäss den «Vulkan Files» soll Russland das AKW Mühleberg ins Visier genommen haben.
- Das geht aus den geleakten Cyberkrieg-Dokumenten hervor.
- Oder ist alles ganz anders? Ein Kommentar.
Die Buzzwords in dieser Geschichte summen wie ein ganzes Bienenhaus, denn die «Vulkan Files» decken auf, wie Russland sich rüstet für den Cyberkrieg. Mehrere Geheimdienste sind beteiligt: Natürlich der FSB, aber auch der SWR und der berüchtigte GRU. Dessen Untereinheit «Sandworm» spielt eine Rolle, ebenso die berüchtigte Hacker-Truppe «Cozy Bear». Techies werden mit der Erwähnung von «PT Maxpatrol», «Brute force», «root access» und VPN-Tunnel via Tor-Netzwerk bedient.
Und mittendrin: Die Schweiz
Die jetzt geleakten Files stammen aus der IT-Firma NTC Vulkan. Sie zeigen einerseits, wie Russland den Cyberkrieg plant, andererseits aber auch, was die Ziele sind. Hier wird es brisant, denn immer wieder kommt in den Dokumenten Bern vor: einerseits der Sitz des EDA, andererseits das AKW Mühleberg. Dieses war zum Verfassungszeitpunkt auch noch in Betrieb.
Der leckende Vulkan werde nur bei der Schweiz wirklich konkret, auch wenn andere Ziele wie «Berlin» oder «die USA» würden, weiss «Tamedia». Das Schweizer Verlagshaus war an der Recherche beteiligt, zusammen mit grossen internationalen Medienhäusern. Tatsächlich gab es in vergangenen Jahren wiederholt russische Hacker-Angriffe in der Schweiz. Aber wäre das EDA tatsächlich Opfer eines Cyber-Erstschlags?
Zum «Platzhalter» degradiert
Auch den Schweizer Rechercheuren ist hingegen aufgefallen, dass auf den russischen Karten nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Die Koordinaten des AKW Mühleberg zeigen auf die afghanische Hauptstadt Kabul. Das EDA hat seinen Sitz ennet der Aare, ungefähr dort, wo die ukrainische Botschaft ist. Soll man das ernst nehmen?
Nein, finden die ausländischen Medienhäuser. Für «Der Standard» aus Wien ist klar: Mit «überwältigender Wahrscheinlichkeit» handle es sich hier um «Platzhalter». Andere, wie die «Washington Post», schreiben von einem «Mock-up», einem Vorführmodell zu Präsentationszwecken. Die «Süddeutsche Zeitung» nennt Mühleberg ein «hypothetisches Ziel».
Alles ein raffiniertes Täuschungsmanöver?
Das soll nun nicht heissen, dass die Cyberbedrohung kleingeredet werden soll. Sie ist real, ausser, dass sie virtuell ist. Aber die Schweiz und ihr einziges stillgelegtes AKW stehen wohl kaum im Zentrum der russischen Spionagepläne. Wahrscheinlicher scheint folgendes Szenario: Die genialen Schachspieler, die die Russen sind, haben uns alle reingelegt.
Sie haben dem Westen Hunderte Seiten mit angeblichen Geheimdienstinformationen gefüttert. Dieser ist beeindruckt, denn da steht «VPN-Tunnel». Und «Tor-Netzwerk». Noch besser: «VPN-Tunnel mit Tor-Netzwerk». Aber wer stellt schon gerne hypothetische Platzhalter im Dutzend zusammen – also wurde aus bestehenden Unterlagen fröhlich zusammengemischt.
Vorführung
Das wäre indes ein beträchtlicher Aufwand, insbesondere, wenn auch noch Mailverkehr und Ähnliches nachgestellt werden soll. Noch wahrscheinlicher ist deshalb: Die Dokumente sind tatsächlich echt. Aber es lief eher so:
«Du, Sergej, die Chefs wollen eine Dokumentation für unser neues Hacking-Tool. Kannst Du nicht was machen mit schönen Bildern, damit die Generäle auch beeindruckt sind?»
«Aber Boris, woher soll ich noch vor dem Wochenende das alles zusammenkramen? Ich wollte doch rechtzeitig Schluss machen und zu meiner Datscha fahren.»
«Ah, Sergej, es ist einfach: Nimm einfach die Beispiele, die wir im Training schon einmal gehackt haben. Niemand wird es merken.»
Abwegig? Klar ist jedenfalls: Die Schweiz wird oder wurde vorgeführt. Wir merken es bloss meist nicht.