Nachrichtendienstchef sieht bei Spionage rote Linie überschritten
Das Wichtigste in Kürze
- Nach Russlands Hacker-Angriffen melden sich Guy Parmelin und Jean-Philippe Gaudin zu Wort.
- Parmelin meinte, mit den Aktionen gegen die Schweiz sei «eine rote Linie überschritten».
- «So arbeiten wir im Prinzip nicht», sagte Gaudin. Er bevorzuge Diskretion.
Russland hat aus Sicht der Schweizer Behörden mit Spionage-Aktionen eine rote Linie überschritten. Das sagen Verteidigungsminister Guy Parmelin und Nachrichtendienstchef Jean-Philippe Gaudin. Sie hätten aber eine diskretere Reaktion bevorzugt.
Gaudin trat in Begleitung von Parmelin heute Freitag vor die Medien, um eine erste Bilanz nach 100 Tagen im Amt zu ziehen. Das Interesse galt der Spionage-Affäre. «Seien wir nicht naiv, wir werden Spionage nicht auslöschen können», sagte Parmelin. Solche Aktivitäten dulde die Schweiz auf ihrem Territorium aber nicht.
Vorfall in Den Haag
Die niederländischen Behörden hatten am 4. Oktober über einen Hacker-Angriff auf die Organisation für ein Verbot von Chemiewaffen in Den Haag informiert. Involviert war auch die Schweiz: Im Frühjahr wurden in den Niederlanden zwei russische Spione festgenommen, die sich auf dem Weg zum Labor Spiez befunden haben sollen.
Die Bundesanwaltschaft hatte gegen diese bereits 2017 ein Strafverfahren eingeleitet, wegen Hacker-Angriffen auf die Welt-Anti-Doping-Agentur in Lausanne. Das Labor Spiez war an Analysen im Fall des vergifteten russischen Agenten Sergej Skripal und dessen Tochter in England beteiligt.
Rote Linie überschritten
Verteidigungsminister Parmelin sagte dazu, mit dem Angriff gegen Schweizer Infrastrukturen oder internationale Organisationen sei «eine rote Linie überschritten». Die Schweiz toleriere keine Aktionen gegen ihre Souveränität.
Gaudin stellte fest, die russische Präsenz in der Schweiz sei immer schon stark gewesen, habe aber in den vergangenen Jahren noch zugenommen. Es gelte, eine klare Botschaft an die russischen Behörden zu senden und zu zeigen, dass die Schweiz im Bild sei und solches nicht toleriere.
«So arbeiten wir nicht»
Gleichzeitig zeigte sich Gaudin aber überrascht über die offene Information in den Niederlanden. «So arbeiten wir im Prinzip nicht», sagte der Nachrichtendienstchef. Er bevorzuge Diskretion. Je stärker ein Nachrichtendienst in der Sonne stehe, desto schwieriger sei die Arbeit. Zu viel Transparenz könne laufende Operationen gefährden.
Er sei eingeladen gewesen zur Medienkonferenz in den Niederlanden, sagte Gaudin auf eine entsprechende Frage. Nach Rücksprache mit Parmelin habe er aber entschieden, nicht teilzunehmen. Die Information in den Niederlanden möge mit politischem Druck oder einer neuen Art der Kommunikation zu tun haben. Das sei definitiv nicht seine Art.
Dank neuem Gesetz
Dennoch beansprucht der Schweizer Nachrichtendienst (NDB) einen Teil des Erfolgs der Operation in den Niederlanden für sich. Laut Gaudin ist dieser auch dem neuen Schweizer Nachrichtendienstgesetz zu verdanken, das sei einem Jahr in Kraft ist. Die Verhaftung der russischen Agenten in den Niederlanden wäre ohne das neue Gesetz nicht möglich gewesen, sagte der Nachrichtendienstchef.
Das Stimmvolk hatte das neue Gesetz vor rund zwei Jahren angenommen. Der NDB erhielt damit erheblich mehr Kompetenzen. Er darf nun Telefongespräche abhören, Privaträume durchsuchen und verwanzen, in Computer eindringen und Ortungsgeräte verwenden. Solche Massnahmen muss ein Richter des Bundesverwaltungsgerichts genehmigen.
Mehr Stellen für den NDB
In den ersten vier Monaten – von September bis Dezember 2017 – wurden vier Operationen mit vierzig Massnahmen durchgeführt. Die Zahlen für das laufende Jahr sind noch nicht bekannt. Gaudin sagte aber, Kantone und Bundesbehörden wünschten mehr Operationen als der NDB durchführen könne. Zum einen müssten die Voraussetzungen für eine Operation erfüllt sein, zum anderen brauche es genügend Ressourcen für deren Durchführung. Er müsse deshalb Prioritäten setzen.
Bereits sind neue Stellen bewilligt worden - zwei für das Bundeslagezentrum und 26 für den Bereich Cyber- und Spionageabwehr. Weitere könnten folgen. Ende Jahr soll der Bundesrat über einen entsprechenden Antrag entscheiden. Parmelin zieht ausserdem kleinere Anpassungen des Gesetzes in Betracht. Grundsätzlich bewähre sich dieses aber, sagte er.
Sorge um Informationen im Wahljahr
Gaudin stellte fest, es handle sich um ein Gesetz, das den heutigen Bedürfnissen entspreche. Die terroristische Bedrohung bleibe erhöht, betonte er. Daneben beschäftigen den Nachrichtendienst derzeit mögliche Beeinflussungs- und Manipulationsversuche im Wahljahr 2019. Erkenntnisse über solche Aktivitäten bei Wahlen in anderen Ländern erfüllten ihn mit Sorge, sagte Gaudin.
Auch bei diesen Aktivitäten – beispielsweise in sozialen Medien – steht oft Russland im Verdacht. Um «Russland-Bashing» gehe es nicht, sagte Gaudin auf eine entsprechende Frage. Nachrichtendienste hätten generell keine Freunde, nur Interessen.