Die Schweiz sagt Nein zu Adolf Ogis «EU-Trainingslager»

Nadine Brügger
Nadine Brügger

Bern,

Der 6. Dezember 1992 fiel auf einen Sonntag. Es war der Tag, an dem der Bundesrat vom Volk geohrfeigt wurde wie nie zuvor, der Röstigraben zur Schlucht und Europa ziemlich wütend wurde. Dafür strahlte Christoph Blocher wie ein Honigkuchenpferd: Die Schweiz hatte einen Beitritt zum EWR abgelehnt.

arnold keller adolf ogi
Adolf Ogi (links) mit Arnold Koller bei einer vom Schweizer Fernsehen übertragenen Veranstaltung zur Abstimmung über einen Beitritt der Schweiz zum EWR. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Heute vor 25 Jahren lehnte das Schweizer Stimmvolk den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ab.
  • Die Stimmbeteiligung war mit 78,7 Prozent so hoch wie seit der Einführung der AHV 1947 nicht mehr.
  • Nicht nur Deutschschweiz und Romandie, auch der Bundesrat war gespalten: Adolf Ogi (SVP) trieb die EWR-Verhandlungen voran, während Otto Stich (SP) dagegen war.
  • Als grosser Sieger ging Christoph Blocher aus der Abstimmung: Mit seiner Kampagne gegen den EWR hatte er seine politische Karriere zementiert.

«Wir sind das Volk», skandierten Ossis und Wessis 1989 gemeinsam von der Berliner Mauer. Fortschritt wehte durch Europa. Doch in der Schweiz herrschte Stagnation. Kantonale Barrieren, Preis- und Berufsvorschriften lähmten den Binnenmarkt. Ein Sanitär aus Luzern beispielsweise konnte in Genf nicht einfach so arbeiten. Die Arbeitslosenquote stieg rasant, die Staatsfinanzen waren in desolatem Zustand und die Immobilienbranche steckte in der Krise. Was tun?

EU-Beitrittsgesuch 2016 zurückgezogen

Als die Europäische Gemeinschaft (EG, jetzt EU) im Frühling 1992 ein Abkommen über die «vier Freiheiten» (freier Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Personenverkehr) unterzeichnete, sah der Bundesrat darin einen Rettungsring: Wenn die Schweiz diesem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) beiträte, wären all die verrosteten Regeln des Binnenmarktes auf einen Schlag weg und die Schweizer Wirtschaft könnte beim europäischen Aufschwung mittun.

So überzeugt war der Bundesrat von seiner Lösung, dass er zusätzlich zum EWR-Beitritt einen zweiten Brief nach Brüssel schickte: Eine Bitte um Beitrittsgespräche der Schweiz zur heutigen EU. Im Juni 2016 zog die Schweiz das Beitrittsgesuch dann aber offiziell zurück.

«Keine fremden Richter»

Das war eine klare Botschaft: Der EWR ist, um es mit den Worten von Altbundesrat Adolf Ogi zu sagen, ein «Trainingslager für den Beitritt» zur EU.

In der Romandie traf diese Idee auf viel Gegenliebe – in der Deutschschweiz auf Christoph Blocher. «Keine fremden Richter» skandierte er und machte aus einer Abstimmung, die in erster Linie die Wirtschaft betraf, eine hochemotionale Debatte über eidgenössische Kultur und Tradition. Ein «Ja» zum EWR setzte er mit Verlust eidgenössischer Selbstbestimmung gleich. Wer in den EWR wolle, stehe bereits mit einem Fuss in der EU.

Röstigraben wird zur Schlucht

Dass sich nicht einmal der Bundesrat einig war, half reichlich wenig. Während Adolf Ogi, ein Parteikollege Blochers, den Beitritt anpries, war sein Kollege, der Sozialdemokrat Otto Stich, gegen den EWR. Überwältigende 78.7 Prozent aller Schweizer stimmten ab. Eine knappe Mehrheit, bestehend aus dem Tessin und allen Deutschschweizer Kantonen (ausser den beiden Basel) lehnte den Beitritt ab. Die Romandie sagte geschlossen ja.

«Ein schwarzer Sonntag»

«Dies ist ein schwarzer Sonntag, für die Wirtschaft, für die Arbeitsplätze und für die Jugend», sagte Volkswirtschaftsminister Jean-Pascal Delamuraz nach der Abstimmung. Heute ist das genau 25 Jahre her.

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