Die seltsamen Freunde der «Freunde der Verfassung»
Die Gegner des Covid-19-Gesetzes kämpfen auch gegen andere Bedrohungen freier Bürger. Zum Beispiel weisse Linien. Ein Kommentar.
Das Wichtigste in Kürze
- Das dritte Referendum gegen das Covid-Gesetz ist zustande gekommen.
- Sehr unterschiedliche Gruppierungen unterstützen es.
- So will eine vom Bundesrat wissen, warum es frühmorgens Streifen am Himmel hat.
Seine Freunde kann man sich aussuchen, seine Familie nicht, heisst es. Hat natürlich was, wenn auch ein dünner Nebel der Unsicherheit verschleiert, ob die Verfassung die «Freunde der Verfassung» als Freunde ausgesucht hat. Umgekehrt ja zweifellos, wie auch die Verfassungsfreunde sich mit «Mass-Voll» einvernehmlich zusammengefunden haben, um das dritte Referendum gegen das Covid-19-Gesetz einzureichen.
Andere Freunde der «Freunde der Verfassung» fallen vielleicht eher in die Kategorie «Familie». Sie haben Eigenheiten, die man bei Familienfeiern wohlweislich unerwähnt lässt. Schrullen, die man nicht unbedingt aussuchen würde.
Seltsame Freunde der «Freunde der Verfassung»
Nein, damit ist nicht die SVP gemeint, die diese Woche die Unterstützung fürs Referendum beschloss. Auch wenn die Heftigkeit deren Argumentation zu Stirnrunzeln Anlass gibt: «Drei Jahre Notrecht reichen» (es ist ein Gesetz, kein Notrecht), «der Bund hat alle Massnahmen aufgehoben» (genau, und jetzt ist auch wieder nicht recht?).
Nein, nebst mehreren Trychler-Organisationen, Kollektiven, Netzwerken, Bündnissen, Komitees und lieben Tees sind da noch die Freunde aus der Romandie. Zum Beispiel das «Mouvement Fédératif Romand» mit seiner Präsidentin, der «charismatischen Michelle Cailler» (Zitat «Weltwoche»). Frau Cailler und das MFR machen sich nämlich grosse Sorgen um «seltsame Gittermuster am Schweizer Himmel», oder wie man sie auf Deutsch nennt: Kondensstreifen.
Perfekte weisse Linien, im Morgengrauen gezeichnet
Michelle Cailler hat deswegen gar letzten September einen Brief an den Bundespräsidenten im Speziellen und den Bundesrat im Allgemeinen geschrieben. Inklusive Fotos der himmlischen Phänomene im Anhang. «Wenn wir in den Himmel schauen, sehen wir, dass er am frühen Morgen auf nahezu geometrisch perfekte Weise mit weissen Linien quadriert ist.» Bürger seien verwundert und besorgt.
Zwar könnte man annehmen, dass Flugzeuge frühmorgens im Schutze der Dunkelheit oder während der Morgendämmerung diese Linien zeichneten. Aber, sehr verdächtig: Die Gittermuster werden zuerst diffus, dann weichen sie einem bewölkten Himmel. Beobachte man jedoch ein Flugzeug im Flug, das einen Kondensstreifen hinterlasse, verschwinde dieser im weiteren Verlauf.
Hilfe, der Himmel hat eine Streifung
Madame Cailler will wissen: Wie erklärt sich der Bundesrat diese Streifen? Wurden Studien durchgeführt, um die Herkunft dieser Kondensstreifen zu eruieren? Ist die Gesundheit der Schweizer Bevölkerung in Gefahr?
Das Phänomen ist indes kein rein Schweizerisches: Schon weit Jahrzehnten kursieren im Ausland Verschwörungstheorien zu den sogenannten «Chemtrails», den Chemie-Streifen. Wohlweislich vermeidet das MFR dieses Wort auf seiner gesamten Website. «Leider» ist aber ersichtlich, dass der Brief an den Bundesrat als «Chemtrails.docx» abgespeichert wurde.
Dass ausgerechnet während der Pandemie-Phase die Chemtrails-Gefahr auch die Schweiz erreicht, könnte (Achtung, unbewiesene Theorie) einen Zusammenhang haben. Die Menschen hatten mehr Zeit, auf langen Spaziergängen den Himmel zu betrachten. Doch dieser war wegen der gegroundeten Airlines makellos blau. Bis die zwei- und vierstrahligen Jets wieder abhoben – und den Himmel vollpinselten.
Drum prüfe, wer sich Freunde findet
Für den Laien scheint klar: Die geometrischen Muster entstehen durch Luftkorridore, die sich kreuzen. Weil Flugzeuge nicht in exakt hintereinander und in verschiedenen Höhen fliegen, entsteht ein Gittermuster. Sollten die «Freunde der Verfassung» deshalb dem «Mouvement Fédératif Romand» die Freundschaft kündigen? Schliesslich will man sich nicht den Abstimmungskampf durch abstruse Theorien vermasseln lassen.
Jein. Immerhin ist es doch naheliegend, sich Unterstützung für Referendums-Unterschriften dort zu suchen, wo man sie auch bekommt. Wer glaubt, ein völlig neues, von niemandem beachtetes Phänomen entdeckt zu haben, das sogar Laien erklären können, der lässt sich auch von anderem leichter überzeugen.
Was weiss ich… dass in der Corona-Impfung ein Mikro-Chip versteckt ist. Dass es die Pandemie gar nie gab und alle Massnahmen gar nichts dagegen nützten, obwohl es sie ja nicht gab. Dass Bundesrat Alain Berset ein Diktator sei – ah nein, das waren ja die Freunde von der SVP.