Es gibt ehrliche Politiker (und das ist nichts als die Wahrheit)
Ehrliche Politiker? Ja, das gibt es. Das Parlament ist voll davon. Man muss nur genau hinhören. Ein Kommentar.
Das Wichtigste in Kürze
- Entgegen ihrem Ruf können Politiker auch sehr ehrlich sein.
- Dies zeigt sich insbesondere dann, wenn sie eigene Fehler eingestehen.
- So gerade diese Woche im Nationalrat bei missratenen Abstimmungen. Ein Kommentar.
Es ist Wahlkampf: Die Parteien bringen sich in Stellung für die Wahlen 2023, damit sie im Herbst vielleicht 2,2 Prozent zulegen oder «nur» 0,8 Prozent verlieren. Da wird nichts geschenkt und mit harten Bandagen gekämpft. Slogans, die Muskeln des Wahlkampfs, werden aufgewärmt. Nützliche Wahrheiten werden gedehnt bis knapp vor dem Bänderriss; nützliche Unwahrheiten werden stehengelassen wie das Hauptfeld von der Fluchtgruppe.
Parlamentarier stehen zu Fehlern
Hin und wieder merken aber auch gestandene Politiker: Ehrlich währt am längsten. Solches schimmert insbesondere dann durch, wenn Parlamentarier in einer Debatte Ordnungsanträge in eigener Sache stellen. So geschehen diesen Dienstag, als SP-Nationalrat Matthias Aebischer sich entschuldigend vom Rednerpult ans Plenum wandte.
«Es ging ein bisschen schnell. Wir müssen sehr viel denken, und wir haben falsch gestimmt beziehungsweise die Hälfte von uns hat falsch gestimmt.» So viel Ehrlichkeit über die Grenzen des eigenen Denk-Vermögens muss man hoch anrechnen. Was der Nationalrat auch entsprechend würdigte und sogar einstimmig den Ordnungsantrag guthiess.
Etwas peinlicher wurde es wenig später, als Aebischer schon wieder eine Abstimmung wiederholen wollte. Die SP hatte nicht gecheckt, dass «Ja» eigentlich «Nein» und «Nein» eigentlich «Ja» bedeutete. Nämlich Ja zum Antrag der Kommission, den betreffenden Einzelantrag abzulehnen.
Wahltaktik fürs Protokoll
Am Endresultat änderte sich beide Male nichts, weil die Übermacht der Stimmen anderer Parteien zu gross war. So gesehen war die SP halt doch nur ehrlich, um in etwelchen Statistiken gut dazustehen. Also indirekt halt doch für den Wahlkampf.
Etwas kritischer wurde es heute, denn die zu wiederholende Abstimmung drehte sich ausgerechnet um die Frage: Was ist besser, «Ja heisst Ja» oder «Nein heisst Nein»? SVP-Fraktionspräsident Thomas Aeschi brauchte einen Moment, um den Fehler zu bemerken. Die SVP hatte ausgerechnet bei der Definition der Vergewaltigung zunächst Nein gestimmt zu «Nein heisst Nein». Eigentlich wollte sie aber Ja sagen zu «Nein heisst Nein».
Auch dieser Ordnungsantrag ging glatt durch. Insbesondere wohl auch, weil, wie Aeschi anmerkte, die SP im Gegenzug Ja sagte zu «Nein heisst Nein». Wo sie doch seit Monaten betont, sie sage Ja zu «Ja heisst Ja». Soweit alles klar?
Die schweigende Wahrheit
Auch hier hatte die Abstimmungswiederholung keine Einfluss aufs Endresultat. Die SVP sagte Ja zu «Nein heisst Nein», die SP übernahm die Nein-Sager-Rolle mit einem Nein zu «Nein heisst Nein. Bemerkenswert an dieser Episode ist hingegen, wie die Ehrlichkeit über Parteigrenzen hinweg gelebt wird.
Nicht nur, dass die SP stillschweigend eingesteht, dass sie ebenfalls geschlossen das falsche Knöpfchen gedrückt hat. Sie opponiert auch nicht, als SVP-Fraktionschef unterstellt, dass die SP reflexartig einfach das Gegenteil der SVP stimmt. Und, drittens, gibt damit sogar zu: Dieser Thomas Aeschi hat einfach recht.
Es soll dies ein Lehrstück nicht nur fürs Publikum, sondern auch die Politiker selbst sein: Manchmal ist man auch ehrlich, wenn man nichts sagt.