Tamara Funiciello

Tamara Funiciello (SP) erklärt ihren Kampf für neue Sex-Regeln

Elisa Jeanneret
Elisa Jeanneret

Bern,

Das Parlament revidiert das Sexualstrafrecht, Fokus ist die Definition der Vergewaltigung. Für Nationalrätin Tamara Funiciello gibt es eine klar bessere Option.

Tamara Funiciello SP
SP-Frauen-Co-Präsidentin Tamara Funiciello spricht im Nationalratssaal, März 2022. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Das Parlament berät in den nächsten Tagen über das neue Sexualstrafrecht.
  • Im Zentrum steht die Frage, wann künftig von einer Vergewaltigung ausgegangen wird.
  • Tamara Funiciello (SP) will die «Ja heisst Ja»-Regel. Im Interview erklärt sie, warum.

Am Dienstag nimmt der Ständerat die Beratungen zum Sexualstrafrecht in Angriff. Dieses Kapitel im Strafgesetzbuch soll revidiert werden. Im Zentrum steht der Vergewaltigungsbegriff.

Bisher konnten nur Frauen vergewaltigt werden, wenn sie sich gewehrt haben. Neu soll aber im Strafgesetzbuch eine geschlechtsneutrale Formulierung stehen. Und auch, dass sich Opfer nicht wehren müssen, um als Vergewaltigungsopfer zu zählen.

Keller-Sutter Sexualstrafrecht
Karin Keller-Sutter ist die zuständige Bundesrätin bei der Revision des Sexualstrafrechts. - Keystone

Der Bundesrat zieht die sogenannte «Nein heisst Nein»-Lösung vor: Wer gegen den Willen einer Person mit ihr Sex hat, ist ein Vergewaltiger. Andere wollen aber die «Nur Ja heisst Ja»-Regel durchsetzen: Ein kleiner und trotzdem grosser Unterschied.

Nationalrätin Tamara Funiciello, Co-Präsidentin der SP-Frauen, kämpft an vorderster Front für Letzteres. Im Interview erklärt sie ihre Beweggründe.

Nau.ch: Frau Funiciello, eine Minderheit im Ständerat möchte, dass eine Vergewaltigung nicht «gegen den Willen», sondern «ohne Einwilligung» des Opfers geschehen muss, um als solche zu gelten. Wieso ist Ihnen diese Unterscheidung so wichtig?

Tamara Funiciello: Weil sie die Verantwortung verschiebt. «Gegen den Willen» impliziert, dass ich meinen Willen schützen muss. «Ohne Einwilligung» bedeutet, dass mein Gegenüber meinen Willen bricht. Das ist der Unterschied: Mit «Ja heisst Ja» habe ich ein Recht auf sexuelle Bestimmung, aber bei der «Nein ist Nein»-Lösung muss ich dieses Recht verteidigen.

Sexualstrafrecht Amnesty
Eine Protestaktion von Amnesty Schweiz für das «Nur Ja heisst Ja»-Prinzip im Sexualstrafrecht auf dem Bundesplatz, 30. Mai 2022. - Keystone

Nau.ch: Der Bundesrat bevorzugt aber genau diese Variante. Können Sie das nachvollziehen?

Tamara Funiciello: Ein Stück weit schon. Die andere Lösung ist aber viel konsequenter. Und die Argumente, welche dagegen sprechen, sind fadenscheinig: So sei es viel schwieriger, der Graubereich sei grösser… Nein, das stimmt überhaupt nicht!

Nau.ch: Sondern?

Tamara Funiciello: Es muss ein ganz klares Zeichen von Ablehnung da sein, daran ändert das «Ja heisst Ja»-Prinzip gar nichts. Dieses Zeichen muss bewusst übergangen werden. Wenn man das nicht macht, war es auch keine Vergewaltigung. Das Absurde ist ja, dass 88 Prozent der Leute so Sex haben, dass das Gegenüber einverstanden ist. Und das ist genau das, was wir im Gesetz sehen wollen. So einfach! Spanien, Schweden, England und Kroatien haben es auch geschafft. Wieso müssen wir nochmals 25 Jahre warten, bis wir das Richtige machen?

Keller-Sutter Nationalrat Funiciello
Bundesrätin Karin Keller-Sutter diskutiert mit SP-Politikerin Tamara Funiciello im Nationalrat, 15. März 2022. - Keystone

Nau.ch: Was sagen Sie Männern, die Angst haben, aufgrund dieser Änderung wegenVergewaltigung angezeigt zu werden? Das war ja auch eine grosse Debatte nach «Me too».

Tamara Funiciello: Das ist eine riesige Diskussion, die aber in keinem Verhältnis zur Realität steht. 92 Prozent der Vergewaltigungen werden nicht angezeigt, gesamthaft werden nur 1,8 Prozent der Täter verurteilt. Wir können schon über etwas diskutieren, was es nicht gibt, über diffuse Ängste. Aber ich möchte lieber über die 430'000 Frauen, die in diesem Land vergewaltigt wurden, sprechen. Ängste können mit Therapeutinnen und Therapeuten diskutiert werden, nicht im Strafgesetzbuch.

Nau.ch: Reicht denn das «Ja heisst Ja»-Prinzip, um mehr Vergewaltiger hinter Gitter zu bringen?

Tamara Funiciello: Das ist überhaupt nicht das Ziel! Das Ziel dieser Angelegenheit ist es, etwas ins Strafrecht zu schreiben, was stimmt. Ziel ist es auch, dass Opfer sexualisierter Gewalt wieder Vertrauen ins Rechtssystem bekommen. Wenn nur acht Prozent der Vergewaltigungen angezeigt werden, heisst das nämlich, dass sie kein Vertrauen mehr haben. Wäre das in irgendeinem anderen Bereich auch so, würden wir durchfallen! Aber weil es Frauen betrifft, nehmen wir es einfach so hin.

Vergewaltigung Schweiz
2015 erschütterte ein Fall die ganze Schweiz: Auf dem Heimweg wurde eine Frau aus Emmen LU von ihrem Fahrrad heruntergerissen und vergewaltigt. Die Ermittlungen sind seit 2018 sistiert, weil kein Täter gefunden werden konnte. - Keystone

Nau.ch: Wieso haben Vergewaltigungsopfer kein Vertrauen mehr?

Tamara Funiciello: Geht man heute auf den Polizeiposten und sagt, «Ich wurde vergewaltigt», dann sind die ersten Fragen, die man gestellt bekommt: «Haben Sie sich gewehrt? Wie lange, wie fest?» Aber wieso lautet die Frage nicht «Waren Sie mit dem einverstanden, was passiert ist?», und wenn ich verneine, sagt man einfach: «Gut, wir schauen es uns an». Logisch gehe ich nicht zur Polizei, wenn ich in ewiger Länge erklären muss, dass ich mich wirklich gewehrt habe.

Schweden Vergewaltigung Sexualstrafrecht
In Schweden gilt seit 2018 Sex ohne Einverständnis als Vergewaltigung, also das «Nur Ja heisst Ja»-Prinzip. Im Bild: Anwältin Elisabeth Massi Fritz, die eines der mutmasslichen Vergewaltigungsopfer von Julian Assange verteidigte. - Keystone

Das bedeutet aber auch nicht, dass mit der «Ja heisst Ja»-Regel nicht mehr alles ganz genau angeschaut wird. Die Strafverfolgungsbehörden werden jedes Detail nach wie vor durchgehen müssen. Aber dafür wird keinem Opfer das Gefühl gegeben, es sei selbst schuld, wenn der Täter nicht verurteilt werden konnte, nur weil es sich nicht genug gewehrt habe. Das ist wichtig.

Nau.ch: An den vergangenen Frauenstreiks – der nächste steht ja kurz bevor – war das Sexualstrafrecht immer wieder ein Thema. Wie wichtig ist dieser Druck der Strasse?

Tamara Funiciello: Bei all meiner Kritik an der «Nein heisst Nein»-Lösung: Es ist ein gigantischer Schritt. Was wir hier machen, ist historisch. Diese Vorlage werden wir an den zukünftigen Frauenstreiks diskutieren, wenn es um Meilensteine geht: Wir haben die Vergewaltigung in der Ehe verboten, wir haben den Mutterschutz durchgebracht, das Frauenstimmrecht erkämpft und das Sexualstrafrecht revidiert.

Frauenstreik Ja heisst Ja
Die breitere Auffassung des Vergewaltigungsbegriffs (Nur Ja heisst Ja anstatt Nein heisst Nein) war auch schon 2021 ein Thema beim Frauenstreik. - Keystone

Ursprünglich wollte der Bundesrat ja gar nichts ändern und jetzt streiten wir zwischen einer «Nein ist Nein»- und «Ja heisst Ja»-Lösung. Wir haben definitiv schon gewonnen, die Frage ist nur, ob wir alles gewinnen, oder nur 80 Prozent.

Welche Variante der Vergewaltigungsdefinition bevorzugen Sie?

Nau.ch: Sie haben dafür plädiert, dass nicht nur Männer oben ohne in Badis gehen dürfen. Ist das nicht widersprüchlich, sich so zu entblössen, aber dann nicht angemacht werden zu wollen?

Tamara Funiciello: «Whatever we wear, wherever we go, yes means yes and no means no.» Ich kann auch nackt durch die Strasse laufen; ich habe immer noch ein Recht auf meinen Körper und immer noch ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Niemand kann mir das wegnehmen aufgrund dessen, was ich anhabe oder nicht anhabe, wohin ich gehe oder nicht hingehe. Ich kann auch nicht verstehen, wieso der Körper der Frau so «gopferdammi» reglementiert wird. Zu viel dürfen wir ja nicht anziehen, die Burka ist verboten, aber zu wenig dann auch wieder nicht. Vergewaltigt werden wir trotzdem.

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