Ex-Mitglieder erheben schwere Vorwürfe gegen Kommunisten
Schweizer Kommunisten haben eine Partei gegründet. Ehemalige Mitglieder werfen ihnen vor, in sektenähnlichen Strukturen zu operieren: Ein Erfahrungsbericht.
Das Wichtigste in Kürze
- «Der Funke» hat über das Wochenende die «Revolutionäre Kommunistische Partei» gegründet.
- Ehemalige Mitglieder werfen den Marxisten vor, in sektenähnlichen Strukturen zu operieren.
- Die Kommunisten weisen die Vorwürfe zurück: «Das ist antikommunistische Propaganda.»
- Ein Extremismusexperte hingegen sieht Parallelen – will aber nicht abschliessend urteilen.
Mit der Geburt der «Revolutionären Kommunistischen Partei» (RKP) ging am Sonntagabend ein dreitägiger Gründungskongress zu Ende: Die Bewegung will den Kommunismus hierzulande vorantreiben – und gibt dabei unverfroren zu, das gegenwärtige System stürzen zu wollen.
Nachdem das Volkshaus Biel die Durchführung des Kongresses verweigert hatte, musste der Gründungsanlass in Burgdorf BE stattfinden. Die Ticketpreise für das historische Ereignis hatten es in sich: Während Studierende für 30 Franken teilnehmen konnten, mussten Solidarische bis zu 300 Franken bezahlen.
«Der Funke», beziehungsweise die neue RKP, ist der Schweizer Ableger der «Internationalen Marxistischen Tendenz» (IMT): Die Dachorganisation kassiert gemäss Medienberichten acht Prozent der Schweizer Einnahmen ab. Finanziert wird die Organisation grossmehrheitlich über Mitgliederbeiträge und Spenden – entsprechend gross ist der Fokus auf Geldfragen.
Die Kommunisten werben mit Plakaten für ihre Ideologie und suchen in den sozialen Medien nach Neumitgliedern – und Beitragszahlenden. Daneben setzen die Linksextremen mitunter auch auf zweifelhafte Rekrutierungstaktiken: Trotz ausdrücklichem Verbot vonseiten der Schulen werden sie beschuldigt, auf Berner Pausenplätzen nach potenziellen Mitgliedern zu suchen.
Nach Pyramidenschema aufgebaute Sekte?
Mit der offen systemfeindlichen Haltung und dem angriffigen Rekrutierungsprozess stösst die Organisation längst nicht nur auf Verständnis. In der Stadt Bern werden Plakate der Kommunisten deshalb immer wieder mit einer Warnung überklebt: «Achtung – ‹der Funke› ist Teil einer nach dem Pyramidenschema aufgebauten internationalen Sekte!»
Ähnliche Töne stimmt ein Beitrag auf dem linksautonomen Portal «Barrikade» an: Hier berichtet ein ehemaliges Mitglied von einer «potenziell gefährlichen Organisation» – und warnt die Öffentlichkeit vor einem Beitritt. Die im Artikel beschriebenen Probleme spiegeln die auf dem Flyer angeprangerten Strukturen und Abläufe wider.
Ehemaliges Mitglied teilt seine Erfahrungen
Auch Pascal Schild* ist ein ehemaliges Mitglied von «Der Funke» – auf Anfrage von Nau.ch teilt er seine persönlichen Erfahrungen mit der Organisation: Im Herbst 2023 war er erstmals mit den Kommunisten in Kontakt getreten, angesprochen wurde er auf dem Pausenplatz einer Mittelschule.
Pausenplätze, Universitäten und Jugendproteste scheinen für die Kommunisten beliebte Örtlichkeiten zu sein, um Neumitglieder zu rekrutieren. Hier tummeln sich besonders viele junge und politisch unerfahrene Menschen, die sich vom System entfremdet haben: «Leichte Beute», wie die Kommunisten sie nennen, erklärt Schild – die bevorzugte Zielgruppe.
Anfängliche Euphorie schlägt in Überforderung um
Noch vor seiner ersten Sitzung sollte Schild bereits mit einem Genossen «intervenieren» – Mitglieder rekrutieren und Zeitschriften verkaufen: «Ich fand es falsch, andere von etwas zu überzeugen, das ich selber noch kaum kannte», erklärt Schild. «Der Genosse meinte, ich soll einfach das wiederholen, was er erzählte. Dadurch könne ich auch gleich alles lernen.»
Nach der offiziellen Aufnahme in die Organisation habe Schild sich erstmal «riesig gefreut», ein Teil von «der Funke» zu sein. Eine anfängliche Euphorie, die allerdings sehr schnell in Überforderung und Ärger umschlug: «Ich musste von Beginn an viel Zeit und Arbeit investieren.»
Neben wöchentlichen Ortsgruppen-Sitzungen (OG), Lektüre-Hausaufgaben und Lesekreis-Treffen sollte Schild mehrmals wöchentlich intervenieren und zusätzlich regelmässig an Wochenend-Kursen und Demonstrationen teilnehmen: ein allwöchentlicher Zeitaufwand von mindestens fünf Stunden – zu viel für den Novizen. Hinzu kamen erhebliche finanzielle Aufwendungen für den Erwerb der Pflichtlektüre und die monatlichen Mitgliederbeiträge.
Kritische Fragen und Aussenseiter unerwünscht
Lesen musste Schild komplizierte Streitschriften über Marx, Trotzki oder Lenin – «ich verstand vieles kaum», erklärt er. Kritische Fragen seien bei den Genossen aber nicht erwünscht gewesen: «Ich solle doch zuerst selbst überlegen. Ich fühlte mich an diesen OG-Sitzungen ehrlich dumm – dieses Gefühl wurde mir vermittelt.»
Regelmässig habe er aber komplexe Fragen zur Lektüre beantworten müssen. ‹Ich weiss nicht› sei als Antwort nicht akzeptiert worden: «Es wurde kommuniziert, dass das erwartet werde. Dann wurde ich von allen Genossen in Stille angestarrt, bis ich eine Antwort gab.» Doch seine Antworten seien «nie gut genug» gewesen, erklärt Schild – «dann wurde ich wieder ewig zugetextet».
Ferner sei immer wieder betont worden, dass «der Funke» die einzige Organisation sei, die wirklich die Welt retten könne. Eines Tages werde man die Führung übernehmen. Andere Parteien und Gruppierungen wiederum hätten bisher gar nichts erreicht und würden dies auch künftig nicht tun: «Dieser Schwachsinn überzeugte mich – auch ich war leichte Beute», bedauert Schild.
Grosser Beitrag bedeutet grosse Überzeugung
Mit Blick auf seinen Mitgliederbeitrag habe man eingangs kommuniziert, dass derselbe eigenmächtig bestimmt werden könne. Schon im zweiten Monat sei Schild allerdings aufgefordert worden, seinen Beitrag zu erhöhen: «Ein hoher Beitrag bedeute auch eine höhere Überzeugung», habe man ihm erklärt. Andere Genossen würden die Hälfte ihres Monatslohns an die Organisation überweisen – sie müssten Vorbild für alle sein.
Auf Schilds Wunsch, Arbeitslast und Mitgliederbeitrag bei «der Funke» gering zu halten, hätten die Genossen wiederum mit wenig Verständnis reagiert: «Wenn ich wirklich voll überzeugt wäre, dann würde ich all meine Zeit und mein Geld investieren wollen.»
Die beschriebenen Umstände führten letztlich dazu, dass Schild im OG-Chat seinen Austritt mitteilte. Danach habe man noch versucht, ihn doch noch von einem Verbleib in der Organisation zu überzeugen. Als «Sympathisant» solle er wenigstens die kostenpflichtige Zeitung abonnieren: «Ich meinte, ich würde es mir noch überlegen, doch meldete mich dann nie mehr.»
«Der Funke» weist Vorwürfe entschieden zurück
Auf Anfrage von Nau.ch weisen die Kommunisten sämtliche Vorwürfe sektenähnlicher Strukturen zurück: «Das ist falsch – wir sind demokratisch organisiert», erklärt Caspar Oertli. «Die Gründung unserer Partei ist eine klare Kampfansage an die Kapitalisten in der Schweiz.»
Folglich sähen sie sich insbesondere mit dem traditionellen Antikommunismus der Bürgerlichen konfrontiert. Dass der Vorwurf jetzt auch von linker Seite komme, sei keineswegs überraschend: «Die Gründung der RKP fordert auch sie heraus!»
Mit Blick auf den scheinbar grossen Fokus auf Finanzfragen erklärt Oertli, dass natürlich auch kommunistische Revolutionäre auf Geld angewiesen seien: «Wir haben keine multinationalen Konzerne, Grossbanken oder andere imperialistische Ausbeuter hinter uns – weil wir ihnen den Kampf angesagt haben.»
Entsprechend müssten die Kommunisten alles selbstständig finanzieren. «Es ist wahr, dass wir Berufsrevolutionäre beschäftigen, die von anderweitiger Erwerbstätigkeit befreit sind – ich zähle selbst dazu.» Diese Fulltimer würden sich aber keineswegs an der Organisation bereichern: «Alles andere ist antikommunistische Propaganda», erklärt Oertli.
Ein Extremismusexperte ordnet ein
Anderer Meinung ist Extremismusexperte Dirk Baier. Auf Anfrage von Nau.ch erklärt er, dass die beschriebenen Strukturen «eindeutige Parallelen zu Sekten» aufweisen würden: Die Organisation befolge eine unumstössliche Lehre mit einem absoluten Wahrheitsanspruch – der Marxismus als zentrales Dogma wird nicht hinterfragt.
Ferner operierten sie in mehr oder weniger autoritären Strukturen, was die strenge Hierarchie und die Intoleranz gegenüber abweichenden Meinungen zeigten. Auch die hohe Eigengruppenorientierung – also eine als feindlich konstruierte Aussenwelt – sei ein typisches Merkmal sektenähnlicher Strukturen.
Bereicherungsabsichten einzelner Beteiligten?
Der starke Fokus auf Geldfragen lasse zudem den Verdacht aufkommen, dass sich wenige Personen mit der Organisation bereichern wollten: «Das wäre dann das Pyramidensystem. Somit hätten wir es mit einer betrügerischen Organisation zu tun – wenigstens, wenn mit Druck, Erpressung oder Drohungen gearbeitet wird.»
Momentan könne man dies allerdings nicht abschliessend beurteilen – hierfür wäre eine Untersuchung der internationalen Vernetzung der Kommunisten aufschlussreich: «Die Alarmlampen sollten aber bei jeder Person angehen, die sich auf die Organisation einlässt», betont der ZHAW-Professor.
Geringe Aussichten auf Erfolg?
Gleichzeitig erklärt der Experte, dass er nicht den Eindruck habe, dass die Kommunisten mit ihren Taktiken besonders erfolgreich seien: «Ich glaube, dass sie durch die enge Verflechtung finanzieller und ideologischer Ziele schnell als widersprüchlich und unglaubwürdig wahrgenommen werden.»
Auch junge, unerfahrene Menschen würden schnell durchschauen, dass die Organisation kein attraktiver Ort sei und keinerlei Visionen habe. Dies würde auch das Beispiel von Pascal Schild verdeutlichen: «Eine Massenbewegung wird hier nicht entstehen.»
*Name geändert