Frühe Einschulung unter Kritik – sollen Eltern entscheiden?
Expertinnen, Eltern und Politiker kritisieren die frühe Einschulung in den Kindergarten. Sollen die Kinder länger zu Hause bleiben? So einfach ist das nicht …
Das Wichtigste in Kürze
- Bildungsexpertin Margrit Stamm kritisiert die frühe Einschulung der Kinder.
- Bundesbern steht grösstenteils hinter dem durch das HarmoS-Konkordat gesetzten Stichtag.
- SVP-Nationalrat Alois Huber hingegen findet klare Worte: «Die Einschulung ist zu früh.»
Der Druck auf Kinder habe durch das Bildungssystem zugenommen, sagt Bildungsforscherin Margrit Stamm. Der Grund: «Das Kind muss dieses und jenes bereits bei der Einschulung beherrschen.»
Mit dem sogenannten HarmoS-Konkordat wurde in einigen Kantonen das Einschulungsalter heruntergesetzt. Heisst: Wenn das Kind bis zum 31. Juli vier Jahre alt ist, ruft der Kindergarten.
Fatal: «Es gibt nicht wenige Kinder, die mit psychologischen und anderen Diagnosen und Behandlungen eingedeckt werden», so Stamm.
Die emeritierte Professorin für Erziehungswissenschaften der Universität Fribourg bezeichnet das Konkordat als «typischen Schreibtischentscheid». Sieht man dies in Bundesbern gleich?
Nau.ch hat nachgefragt. Die Meinungen sind geteilt.
SP-Aebischer: HarmoS ist im Grundsatz «ein Glück»
«Im Grundsatz ist HarmoS ein Glück», kontert Bildungspolitiker Matthias Aebischer. Laut dem Noch-SP-Nationalrat und gewählten Berner Gemeinderat sei das Flickwerk im Schweizer Bildungsbereich lange Zeit «eines sozialisierten Staates unwürdig» gewesen.
Etwa mit unterschiedlichen Zeitpunkten für Sek-Übertritte oder den mehr als zwanzig Sprachkonzepten.
«HarmoS kommt auch den Kindern zugute», meint Aebischer. Vor allem denjenigen, die den Kanton wechseln würden. «Früher mussten viele Kinder noch einmal eine Sek-Prüfung machen, neue Sprachen erlernen und Verpasstes nachholen.»
Dank der Harmonisierung sei das heute nur noch bedingt so.
Doch: «Für einige Kinder ist das Eintrittsalter in den Kindergarten immer zu früh.» Es gebe keinen idealen Zeitpunkt – «jedes Kind ist einzigartig».
«Flexibilisierung» des Stichtages
Auch Mitte-Ständerätin Andrea Gmür steht hinter dem HarmoS-Konkordat, obwohl es in ihrem Wohnkanton Luzern abgelehnt wurde. Doch: «Wir müssen schon aufpassen, dass die Kinder nicht zu früh eingeschult werden», so die ehemalige Gymnasiallehrerin.
Ein Kind, das nicht trocken sei, wäre nicht reif genug für den Kindergarten. Gmür sagt: «Die Reife des Kindes ist wichtiger als das präzise Alter.» Daher würde sie eine «Flexibilisierung» des Schuleintrittes unterstützen.
Von diesem Angebot hätte die Mutter von vier Kindern in der Vergangenheit sogar selbst Gebrauch gemacht: «Meine Kinder wurden alle ordentlich eingeschult, eines war altersmässig am unteren Limit, also sehr jung.»
Schulisch sei das nie ein Problem gewesen. «Aber zu Hause musste dann mächtig Dampf abgelassen werden», so die Mitte-Ständerätin.
Im Nachhinein habe sie den Eindruck, dass es gut gewesen wäre, wenn jenes Kind mehr Zeit zu Hause gehabt hätte. «Im Zweifel würde ich heute ein Kind später einschulen», sagt Gmür.
SVP-Huber: Einschulung ist zu früh
Wie auch in Luzern wurde im Aargau das HarmoS-Konkordat abgelehnt. Nationalrat Alois Huber ist froh darüber. «Aus meiner Sicht werden Kinder zu früh eingeschult», so der SVP-Politiker. «Mindestens um ein halbes Jahr», führt Huber aus.
Es gebe jedoch Kinder, die für den Kindergarten genug «reif» seien. «Ein Vorteil ist ein frühes Eintrittsalter eventuell für die Kinder, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind», so Huber.