Geimpfte Zertifikatsgegner wehren sich gegen Vorwürfe von Links
Aufruhr im Befürworter-Lager: Es gibt jetzt auch ein linkes Komitee gegen das Zertifikat. Dieses wehrt sich gegen Vorwürfe, man sympathisiere mit Skeptikern.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Gründung des Komitees «Geimpfte gegen die Zertifikatspflicht» verärgert Mitte-Links.
- Sie rücken es in die Nähe von Rechtsextremen und Skeptikern.
- Nun wehrt sich das Komitee: «Wir haben Fakten, wir sind keine Nazis.»
Ende November wird das Stimmvolk zum zweiten Mal über das Covid-19-Gesetz abstimmen können. Das Referendum ergriffen haben die Junge SVP und weitere massnahmenkritische Organisationen wie die «Freunde der Verfassung». Für Irritationen sorgte übers Wochenende deshalb ein linkes Komitee, das sich ebenfalls für ein Nein einsetzen will. Die Gruppierung rund um die Autorin Sibylle Berg nennt sich «Geimpfte gegen die Zertifikatspflicht».
Die Zertifikatsbefürworter von Mitte-Links reagierten entrüstet auf die linke Gegnerschaft, die ihnen in den Rücken falle. Zwar ist das Komitee aus epidemiologischen, grundrechtlichen und datenschützerischen Gründen gegen die Verwendung des Zertifikats. Zustimmung erhält es aber vor allem von Impfskeptikern und Massnahmengegnern. Nau.ch hat den Sprecher des Komitees, den Informatiker und Netz-Aktivisten Hernâni Marques, mit den Vorwürfen konfrontiert.
Nau.ch: Von Mitte-Links werden Sie nun kritisiert, damit würden Sie ihnen in den Rücken fallen. Die Normalisierung und die Unterstützung für die Wirtschaft seien in Gefahr. Es gibt kaum Verständnis dafür, dass Sie an der Seite der Massnahmengegner gegen das Zertifikat kämpfen. Was entgegnen Sie diesen Stimmen?
Hernâni Marques: Mich regt es einfach auf, wie man von links attackiert wird. Zum einen ist es nicht so, dass Linke durchs Band für das Zertifikat wären.
Zum Beispiel hat die Grüne Nationalrätin Leonore Porchet beantragt, dass das Zertifikat nur im Ausland und bei Grossveranstaltungen gilt. Zehn Linke haben dem zugestimmt, was zeigt, dass es von Links auch schon Widerstand gab.
Andererseits gehe ich sehr evidenzbasiert vor, habe Fakten, die meine Argumente untermauern. Ich lasse mich nicht als Fascho oder Nazi bezeichnen. Man kann diese zertifikatskritische Haltung haben und trotzdem nicht zu den Impfskeptikern und Massnahmengegnern gehören.
Nau.ch: Trotzdem werden sie jetzt vor allem von Impfskeptikern und Massnahmengegnern gefeiert. Ist es politisch schlau, diesen einen solchen Steilpass zu liefern?
Hernâni Marques: Als wir gegen das E-Voting gekämpft haben, haben uns auch beide Seiten bejubelt. Wo ich stehe, sollte eigentlich klar sein: Ich will eine Eindämmung der Virusverbreitung. Ich bin dafür, dass das maximal Mögliche auch gemacht wird: Luftfilter in Zügen, Schulen offen behalten, Masken in Museen und Theatern.
Einen QR-Code vorweisen ist dagegen absurd und löst das Virus-Problem nicht, wenn sich dann die Leute dichtgedrängt in Innenräumen bewegen. Wir köcheln einfach vor uns her und lassen uns fallweise impfen, wenn wir wieder Party machen wollen. Wir werden aber niemals 85 Prozent Impfrate erreichen.
Nau.ch: Sie befürchten durchs Zertifikat auch mehr Überwachungsstaat. Aber viele digital-affine linke Politiker, die sonst auch bei jeder Gelegenheit mit dem Datenschutz argumentieren, sind trotzdem für das Covid-19-Gesetz.
Hernâni Marques: Dann sollen sie mal zeigen, was das Zertifikat wirklich bringt, ausser dass sich ein paar Einzelne zum Impfen motivieren lassen. Die Zertifikats-App ist zwar in Sachen Datenschutz ganz gut. Die Gefahr von mehr staatlicher Überwachung ist dagegen real, dafür gibt es auch Belege.
So hat FDP-Nationalrat Marcel Dobler angeregt, das Covid-Zertifikat als generellen Impfausweis zu verwenden. Andere wollten die Zertifikats-App als Grundlage für die E-ID, was rein technisch ein völliger Blödsinn ist. Vorgeschlagen wurde auch, Gesichtserkennung in die App einzubinden.
Nau.ch: Mit «Überwachungsstaat» holen Sie die Skeptiker ab. Mit der Forderung nach Massnahmen widersprechen Sie diesen gleich wieder…
Hernâni Marques: Ja, mehr nicht-pharmazeutische Interventionen an Hochrisiko-Orten. Dort müsste man halt mit den «alten» Massnahmen einfahren.
Nau.ch: …gleichzeitig sind Sie gegen das Zertifikat, weil die Bevölkerung nicht weiter gespalten werden soll. Tragen Sie mit dem Komitee «Geimpfte gegen die Zertifikatspflicht» nicht zu einer weiteren Spaltung bei?
Hernâni Marques: Ich habe mir verschiedene Skeptiker-Kundgebungen angeschaut, in Winterthur oder Bern. Der Druck zum Impfen heizt die Gewalt erst richtig an, mit dem Zertifikat wird eine Drohkulisse aufgebaut. Das ist der falsche Ansatz, es braucht an den Kundgebungen wenig, und schon eskaliert es.
Ein Kollege von mir wurde deswegen gar verprügelt. Mir wurde schon versucht, die Maske zu entreissen. Ich bin ja sonst sehr pazifistisch. Aber wenn man mir ins Gesicht greift… Meine Begeisterung für einzelne Exponenten dieser Bewegung hält sich sehr in Grenzen.
Nau.ch: Auch für Nicolas A. Rimoldi, den sie aus früheren Abstimmungskämpfen kennen?
Hernâni Marques: Mit ihm habe ich bestimmt schon zehn Kampagnen bestritten. Ich habe ihn auch schon angerufen und ihm ins Gewissen geredet. Es braucht ab einem gewissen Punkt nicht mehr viel, bis die Leute noch mehr durchdrehen.