Gewerkschaften entfachen Zahlenstreit um Pensionskassenreform neu
Einen Monat vor der Abstimmung zur Pensionskassenreform streiten Befürworter und Gegner über die Auswirkungen der Vorlage.
Knapp einen Monat vor der Abstimmung über die Pensionskassenreform streiten sich Befürworter und Gegner über die Auswirkungen der Vorlage. Die Gewerkschaften bezeichnen die Zahlen des Bundes als «irreführend» und legen eigene Projektionen vor. Der Bund will diese nicht kommentieren.
Wem wird die Reform der zweiten Säule zugutekommen? Wer gehört zu den Verlierern? Über diese Fragen herrscht in den beiden Lagern Uneinigkeit. Beide Seiten legen ihre eigenen Zahlen vor.
Streit neu entfacht
Das Ja-Komitee verkauft die Reform als Gewinn, insbesondere für Geringverdienende und Frauen. Die Linke widerspricht. Aus ihrer Sicht wären bei einem Ja mehr Menschen von Rentenverlusten betroffen, als von den Befürwortern behauptet wird.
Am Dienstag ist der Streit neu entfacht worden. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB), der das Referendum gegen die BVG-Reform ergriffen hatte, ging in Bern vor den Medien in die Offensive. Die Stimmbevölkerung werde mit «realitätsfernen und beschönigenden» Zahlen in die Irre geführt. Dies sagte SGB-Ökonom Daniel Lampart.
Die Berechnungen des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) seien viel zu positiv und vermittelten der Stimmbevölkerung ein falsches Bild. Grund dafür seien «realitätsferne Hypothesen». Auf denen beruhten die Zahlen des Bundes.
Die Reform trifft auch Pensionierte
Die Angaben des Bundes seien nur dann richtig, wenn die Arbeitnehmenden lebenslang den gleichen Lohn hätten, erklärte Lampart. «Wenn man annimmt, dass es einen Erfahrungslohneffekt gibt, dann kommt man auf ganz andere Ergebnisse.» Gemäss eigenen Berechnungen des SGB führt die Senkung des Umwandlungssatzes bereits für Löhne über 4000 Franken zu sinkenden BVG-Renten. Zum Vergleich: Im Abstimmungsbüchlein schreibt der Bund, dass Personen mit Löhnen ab rund 5500 Franken Monatseinkommen mit BVG-Rentenverlusten rechnen müssten.
Anders als behauptet, treffe die Reform ausserdem auch die Pensionierten, machte Gabriela Medici, Leiterin Sozialversicherungen beim SGB, geltend. Bei einer Annahme müssten viele Rentnerinnen und Rentner noch länger auf den Teuerungsausgleich warten. Dies, weil die Pensionskassen ihre Reserven in die Kompensationsmassnahmen der Übergangsgeneration stecken müssten.
Bund will neue Annahmen nicht kommentieren
Medici kritisierte weiter, dass die Kosten für ebendiese Kompensationsmassnahmen vom Bund zu tief geschätzt würden. In den 11,3 Milliarden Franken seien beispielsweise die administrativen Kosten für die Umsetzung der Reform ausgeklammert worden. Der Bund will die neuen Annahmen und Szenarien, die der SGB verwendet, nicht kommentieren, wie das BSV auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA mitteilte. Das Amt verwies auf die Pensionskassenstatistik des Bundesamtes für Statistik (BFS), die einen «groben Gesamtüberblick über das System und seine Entwicklung» gebe.
Wie bereits früher kommuniziert, hält das BSV fest, dass es bei der beruflichen Vorsorge «schwierig bis unmöglich» sei, für die Gesamtheit der Versicherten oder der Versicherungsträger gültige Daten zu erhalten. Das System bestehe aus gegen 1400 Einrichtungen, die jede anders sei, eine andere Versichertenstruktur habe, eine andere Rechtsform, andere Versicherungspläne anbiete, andere angeschlossene Arbeitgeber mit unterschiedlicher Lohnstruktur habe und so weiter.
SGB überlegt juristische Schritte
«Aus diesen Gründen kann der Bund keine für alle Versicherten gültigen Daten zur Verfügung stellen», schrieb das BSV. Die verfügbaren und für die Abstimmung vom Bund verwendeten Modellangaben bildeten keine realistischen Erwerbskarrieren ab. Sondern zeigten die planmässigen Leistungen des BVG-Minimums für verschiedene Varianten.
Das BSV schrieb weiter, es sei «eher die Ausnahme», dass Pensionskassen den Rentnerinnen und Rentnern einen Teuerungsausgleich gewähren könnten. Es bestehe keine Verpflichtung dazu. Ob die Finanzierung des Rentenzuschlags dazu führe, dass die eine oder andere Vorsorgeeinrichtung auf einen möglichen Teuerungszuschlag für die Rentnerinnen und Rentner verzichte, könne nicht mit Bestimmtheit gesagt werden, so das BSV.
Die Gewerkschaften dürften sich damit nicht zufriedengeben. Der SGB überlegt sich juristische Schritte, wie Lampart sagte. «Wir sind daran, eine Abstimmungsbeschwerde zu prüfen.»