Hat es im Parlament «starke Alkoholiker»?
Gemäss einem anonym bleibenden Parlamentarier ist der Alkohol-Konsum im Bundeshaus besorgniserregend. Ratskollegen stimmen nur teilweise zu.
Das Wichtigste in Kürze
- Gemäss einem anonym bleibenden Nationalrat wird im Parlament sehr viel Alkohol getrunken.
- Andere Nationalräte dementieren nicht, dass auch schon mittags ein Glas Wein dazugehöre.
- Es handle sich aber um ein gesamtgesellschaftliches Phänomen.
Beim Projekt substanzielles.ch berichten Menschen über ihre alltäglichen Erfahrungen mit legalen und illegalen Drogen. Unter anderem auch – anonymerweise – ein Nationalrat.
Er geht davon aus, dass wohl einige im Parlament auch illegale Drogen konsumieren. Und er schreibt: «Es gibt zum Beispiel einige notorische Fremdgänger und ein paar starke Alkoholiker.»
Er selbst nicht ausgenommen: Wegen den vielen Abendtermine sei es fünf- bis sechsmal pro Woche. Im parlamentarischen Vergleich sei das aber nicht viel.
Bier während Nationalrats-Debatte
SP-Nationalrätin Andrea Zryd bestätigt gegenüber «20 Minuten» diese Darstellung. Sie sei froh, dass das Thema mal angesprochen werde: «Fast zu jeder Tageszeit wird etwas gesoffen.»
Muss man sich also Sorgen machen um die Gesundheit der Parlamentarierinnen und Parlamentarier und um deren Zurechnungsfähigkeit bei Abstimmungen?
Dass zumindest Bundesräte nicht immer ganz nüchtern im Nationalratssaal sitzen, konnte indes Nau.ch bereits verifizieren. Die beiden mittlerweile zurückgetretenen Ueli Maurer und Alain Berset gönnten sich in einer langen Debatte ein Bier am Rednerpult.
Alkohol im Parlament: «In der Wirtschaftswelt ähnlich»
Von Nau.ch befragte Nationalräte geben Entwarnung. Dass schon am Vormittag zwei Gläser Wein gekippt würden, sehe er also sehr selten, sagt SVPler Erich Hess: «Allenfalls zum Mittagessen oder beim Apéro davor gibt es ein Glas Wein. Aber nicht schon vor 10 Uhr.»
«Das ist in der Wirtschaftswelt ähnlich – aber es ist sicher nicht so, dass sich jemand gleich betrinkt.» Sorgen seien deshalb nicht angebracht: «Aus meiner Sicht nicht», findet Hess.
Oder zumindest nicht mehr Sorgen als für alle anderen, betont EVP-Nationalrat Nik Gugger. «Wir wissen: Alkohol ist die Droge Nummer eins.» Er sei zwar nicht – wie andere in seiner Partei – beim Blauen Kreuz, trinke aber praktisch keinen Alkohol.
«Aber es gibt solche, die dem zugeneigt sind und die Gelegenheiten sind halt da.» Die Frage sei immer, wie man den Apéro zelebriere. Denn es sei nicht etwas so, dass im Parlament fast ausschliesslich Alkoholisches angeboten werde: «Man kann immer ein Mineralwasser verlangen.»
Ein – positives – Abbild der Gesellschaft
In der Analyse aber pflichtet er seinem Ratskollegen Hess bei: Das Parlament sei halt das Abbild unserer Gesellschaft. SVPler Hess findet auch positiv, dass bei verschiedenen Anlässen nach der Sitzung noch Wein oder Bier getrunken wird.
«Das hat den grossen Vorteil, dass man sich auch überparteilich austauscht und so auch Lösungen für die Schweiz findet. Nicht wie in Deutschland, Österreich oder Italien, wo man schon gar nicht mehr mit dem politischen Gegner spricht.»
Trend eher in andere Richtung
Ein Vorteil, der bald auch unter anderen Vorzeichen stattfinden könnte, glaubt Nik Gugger. Er habe den Eindruck, es werde sicher nicht mehr Alkohol getrunken als früher – eher weniger: «Das sehe ich auch als Restaurantbesitzer.»
Heute sei man als abstinenter Politiker mehr denn je akzeptiert. Denn, so Gugger aus eigener Erfahrung: «Vor zwanzig Jahren hätte ich nicht mit einem Cola Zero anstossen können.»