«Inclusion Handicap» fordert besseren Zugang zu IV-Umschulungen

Miguel Pereiro
Miguel Pereiro

Bern,

Nach der Finanzkontrolle verlangt nun auch der Dachverband der Behindertenorganisationen Verbesserungen bei den IV-Umschulungen.

Inclusion Handicap
Der seit Geburt blinde Informatiker Jürg Cathomas hält auf seinem Nachhauseweg am 9. Mai 2007 auf dem Bahnsteig im Bahnhof Spiez inne. (Archivbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • «Inclusion Handicap» fordert besseren Zugang zu den IV-Umschulungen.
  • Derzeit seien die Hürden zu hoch, um den geforderten IV-Grad von 20 Prozent zu erfüllen.
  • Personen mit geringem Einkommen würden mit dem aktuellen System benachteiligt.

Die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) hat in der ersten Hälfte des Jahres 2022 die Umschulungen mithilfe der Invalidenversicherung (IV) unter die Lupe genommen. Sie verortete Verbesserungspotenzial, um einerseits die IV-Kasse zu entlasten und andererseits die Kriterien beim Zugang für Umschulungen zu vereinheitlichen.

Als Fazit der Analyse gab die EFK sechs Empfehlungen ab, die allesamt von der IV akzeptiert wurden. Auch der Dachverband der Behindertenorganisationen «Inclusion Handicap» teilt die Forderungen der EFK, insbesondere bezüglich Gleichbehandlung der Versicherten und stärkerem Austausch der beteiligten Behörden.

«Erzielbare Einkommen systematisch überschätzt»

Es gebe allerdings noch zwei weitere Problematiken, die angegangen werden müssten, erklärt Mediensprecher Matthias Kuert. Heute würden viele Personen keinen Zugang zu den Umschulungen erhalten, weil sie den geforderten IV-Grad von 20 Prozent nicht erreichten. Für «Inclusion Handicap» sei deshalb in erster Linie eine realistischere Berechnungsweise nötig. Denn heute werde das mit einer Behinderung noch erzielbare Einkommen systematisch überschätzt.

Inclusion Handicap IV-Umschulungen
Matthias Kuert, Abteilungsleiter Kommunikation und Politik bei Inclusion Handicap. - Inclusion Handicap

Um den IV-Grad zu berechnen, wird das Einkommen mit und ohne Invalidität einander gegenübergestellt. Damit eine Person das Anrecht auf eine Umschulung hat, muss ihr Invaliden-Einkommen gemäss Rechtssprechung des Bundesgerichts mindestens 20 Prozent tiefer liegen als das Valideneinkommen.

Häufig vergleicht man dazu das effektive Gehalt vor und nach Auftreten der Behinderung, etwa bei einem Unfall. Besteht diese Möglichkeit nicht, werden statistische Werte verwendet, sogenannte Tabellenlöhne. Diese sind unabhängig von Alter, Region oder Branche.

Sollen die Hürden für den Zugang zu IV-Umschulungen gesenkt werden?

Dieses System führt dazu, dass Personen mit geringem Einkommen benachteiligt werden. Gemäss Berechnungen der EFK müssten Männer vor einer Behinderung auf einen Jahreslohn von 80'000 Franken und Frauen auf 65'000 Franken kommen, um im Normalfall auf einen IV-Grad von 20 Prozent zu kommen. Die EFK sieht aber keinen Handlungsbedarf: Es sei Spielraum vorhanden, da die IV-Stellen dieses Kriterium nicht mechanisch anwenden müssten.

Inclusion Handicap: «Tabellenlöhne» müssen um 17 Prozent sinken

Derzeit ist eine Motion von Mitte-Nationalrat Christian Lohr offen, mit der der IV-Grad als Voraussetzung abgeschafft werden soll. Neben Parteikollegen Lohrs unterstützen auch Mitglieder der SP, Grünen und GLP den Vorstoss.

Christian Lohr
Christian Lohr spricht im Nationalrat. (Archivbild) - Keystone

Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion – will dafür aber die Tabellenlöhne pauschal um 10 Prozent reduzieren. Für «Inclusion Handicap» ist das allerdings zu wenig. Der Verband verweist auf Studienergebnisse, die zeigten, dass die Reduktion 17 Prozent betragen müsste. Je nach Fallkonstellation müssten aber zusätzlich individuelle Abzüge möglich sein.

IV-Stellen wollen Höherqualifizierung vermeiden

«Inclusion Handicap» übt in einem zweiten Punkt Kritik an den IV-Stellen. «Häufig werden Umschulungen von den IV-Stellen verweigert, weil man eine Höherqualifizierung ‹befürchtet›», erklärt Kuert. Dies sei etwa bei Personen der Fall, welche sich vor der Invalidität auch ohne Ausbildung ein berufliches Standbein aufgebaut hätten.

IV-Umschulung Einkommen
Vergleich des maximalen Einkommens vor und des Einkommens vier Jahre nach der Umschulung von IV-Berechtigten, nach Altersgruppen. - BSV / EFK

«Wenn sie dann aus dem Erwerbsprozess fallen, ist die IV nur bereit, eine ‹gleichwertige› Lösung zu finanzieren. Mit diesem Argument verweigert sie dann, im Rahmen der IV eine Ausbildung zu bezahlen. Dies verhindert oft eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt», kritisiert Kuert.

Kommentare

User #6775 (nicht angemeldet)

@User #2291 Schon mal überlegt, was es für einen kranken Menschen, der nicht mehr arbeitsfähig ist bedeutet, wenn er 10 Jahre lang um seine IV Rente kämpfen muss!? Ganz abgesehen davon, dass sich das auch nicht jeder finanziell und sogar gesunheitlich leisten kann. Es zerrt an den Nerven der kranken Menschen. Viele werden noch kränker. Viele müssen in der Zeit auf die Sozialhilfe wo sie viel weniger Geld bekommen, sich nicht einmal mehr die krankheitsgerechte Ernährung leisten können. Viele müssen in dieser Zeit noch umziehen in eine günstigere Wohnung. Nicht jeder kann es sich überhaupt leisten so lange gegen die IV zu kämpfen, denn das kostet sehr viel Geld. Es gibt immer mehr Menschen die definitiv eine IV Rente zugute hätten, aber trotzdem nichts bekommen. Die Berechnung der IV stimmt oftmals überhaupt nicht. Entspricht manchmal nicht einmal dem Mindestlohn. Es gibt viele andere fadenscheinige Faktoren mit denen sie einem eine Rente verweigern können. Ein schlechter Witz ist dass sie oft mals schreiben, dass man noch 100 Prozent in einer Leichtarbeit tätig sein kann. Zbsp. im Restaurant Tische reinigen und Aschenbecher auswechseln. Aber diese Leichtarbeiten (es gab einige Berufszweige mit Leichtarbeiten) gibt es heute in der Form fast gar nicht mehr. Gab es früher viele, konnte einer seinen Lebensunterhalt damit noch selber bestreiten. Viele Menschen erhalten ihre benötigte IV Rente nie obwohl sie ein Leben lang einbezahlten. Müssen über Jahre von Sozialhilfe leben.

User #6083 (nicht angemeldet)

Geil, gleich in die VAE auswandern und den Lebensstandart von dort bekommen :)

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