«Inclusion Handicap» fordert besseren Zugang zu IV-Umschulungen
Nach der Finanzkontrolle verlangt nun auch der Dachverband der Behindertenorganisationen Verbesserungen bei den IV-Umschulungen.
Das Wichtigste in Kürze
- «Inclusion Handicap» fordert besseren Zugang zu den IV-Umschulungen.
- Derzeit seien die Hürden zu hoch, um den geforderten IV-Grad von 20 Prozent zu erfüllen.
- Personen mit geringem Einkommen würden mit dem aktuellen System benachteiligt.
Die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) hat in der ersten Hälfte des Jahres 2022 die Umschulungen mithilfe der Invalidenversicherung (IV) unter die Lupe genommen. Sie verortete Verbesserungspotenzial, um einerseits die IV-Kasse zu entlasten und andererseits die Kriterien beim Zugang für Umschulungen zu vereinheitlichen.
Als Fazit der Analyse gab die EFK sechs Empfehlungen ab, die allesamt von der IV akzeptiert wurden. Auch der Dachverband der Behindertenorganisationen «Inclusion Handicap» teilt die Forderungen der EFK, insbesondere bezüglich Gleichbehandlung der Versicherten und stärkerem Austausch der beteiligten Behörden.
«Erzielbare Einkommen systematisch überschätzt»
Es gebe allerdings noch zwei weitere Problematiken, die angegangen werden müssten, erklärt Mediensprecher Matthias Kuert. Heute würden viele Personen keinen Zugang zu den Umschulungen erhalten, weil sie den geforderten IV-Grad von 20 Prozent nicht erreichten. Für «Inclusion Handicap» sei deshalb in erster Linie eine realistischere Berechnungsweise nötig. Denn heute werde das mit einer Behinderung noch erzielbare Einkommen systematisch überschätzt.
Um den IV-Grad zu berechnen, wird das Einkommen mit und ohne Invalidität einander gegenübergestellt. Damit eine Person das Anrecht auf eine Umschulung hat, muss ihr Invaliden-Einkommen gemäss Rechtssprechung des Bundesgerichts mindestens 20 Prozent tiefer liegen als das Valideneinkommen.
Häufig vergleicht man dazu das effektive Gehalt vor und nach Auftreten der Behinderung, etwa bei einem Unfall. Besteht diese Möglichkeit nicht, werden statistische Werte verwendet, sogenannte Tabellenlöhne. Diese sind unabhängig von Alter, Region oder Branche.
Dieses System führt dazu, dass Personen mit geringem Einkommen benachteiligt werden. Gemäss Berechnungen der EFK müssten Männer vor einer Behinderung auf einen Jahreslohn von 80'000 Franken und Frauen auf 65'000 Franken kommen, um im Normalfall auf einen IV-Grad von 20 Prozent zu kommen. Die EFK sieht aber keinen Handlungsbedarf: Es sei Spielraum vorhanden, da die IV-Stellen dieses Kriterium nicht mechanisch anwenden müssten.
Inclusion Handicap: «Tabellenlöhne» müssen um 17 Prozent sinken
Derzeit ist eine Motion von Mitte-Nationalrat Christian Lohr offen, mit der der IV-Grad als Voraussetzung abgeschafft werden soll. Neben Parteikollegen Lohrs unterstützen auch Mitglieder der SP, Grünen und GLP den Vorstoss.
Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion – will dafür aber die Tabellenlöhne pauschal um 10 Prozent reduzieren. Für «Inclusion Handicap» ist das allerdings zu wenig. Der Verband verweist auf Studienergebnisse, die zeigten, dass die Reduktion 17 Prozent betragen müsste. Je nach Fallkonstellation müssten aber zusätzlich individuelle Abzüge möglich sein.
IV-Stellen wollen Höherqualifizierung vermeiden
«Inclusion Handicap» übt in einem zweiten Punkt Kritik an den IV-Stellen. «Häufig werden Umschulungen von den IV-Stellen verweigert, weil man eine Höherqualifizierung ‹befürchtet›», erklärt Kuert. Dies sei etwa bei Personen der Fall, welche sich vor der Invalidität auch ohne Ausbildung ein berufliches Standbein aufgebaut hätten.
«Wenn sie dann aus dem Erwerbsprozess fallen, ist die IV nur bereit, eine ‹gleichwertige› Lösung zu finanzieren. Mit diesem Argument verweigert sie dann, im Rahmen der IV eine Ausbildung zu bezahlen. Dies verhindert oft eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt», kritisiert Kuert.