Kinderhandel: Zahlreiche illegale Adoptionen in der Schweiz vermutet
In der Schweiz sollen zahlreiche illegale Adoptionen stattgefunden haben. Der Kinderhandel soll zwischen 1970 und 1999 passiert sein.
Das Wichtigste in Kürze
- In der Schweiz werden illegale Adoptionen vermutet.
- Von 1970 bis 1999 sind tausende Kinder mit gefälschten Papieren ins Land geholt worden.
In der Schweiz wurden zahlreiche Kinder aus dem Ausland zur Adoption ins Land geholt. Von 1970 bis 1990 wurde der Kinderhandel betrieben, geht aus einer neuen Studie hervor. Der Bundesrat hat am Freitag seine Bedauern zum damaligen Behörden-Versagen ausgedrückt.
Die Studie wurde von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) ins Leben gerufen. Sie untersuchte im Auftrag des Bundesrates zahlreiche Aufzeichnungen im Bundesarchiv zu Adoptionen. Diese stammten hauptsächlich aus Bangladesch, Brasilien, Chile, Guatemala, Indien, Kolumbien, Korea, Libanon, Peru und Rumänien.
Dabei stiessen sie auf 8000 Einreisebewilligungen, die in den 70er- bis 90er-Jahren für Kinder aus diesen Herkunftsländern ausgestellt wurden.
Kinderhandel: Meiste adoptierte Kinder aus Indien
Die meisten dieser Kinder kamen aus Indien mit fast 2799 Einreisen. Gefolgt von Kolumbien mit 2122, Brasilien mit 1222 und Korea mit 1065. Doch in allen zehn Herkunftsländern habe es Fälle von Kinderhandel gegeben.
Oder eben Fälle, bei denen die Schweizer Einreisebehörden mit Kindern konfrontiert wurden, deren Herkunft nicht ausreichend dokumentiert war. Das teilt Studienleiterin Nadja Ramsauer von der ZHAW mit.
Den Ablauf dieser illegalen Praktiken könne man sich als Zirkel- Bewegung vorstellen. In den 70er-Jahren war die Botschaften in Brasilien mit einem sonderbaren Umstand konfrontiert worden: Die im Geburtsregister angehenden Adoptiveltern waren bereits als Eltern eingetragen worden.
Bei Anfrage beim Bundesamt für Ausländerfragen seien an die zuständigen Behörden in Brasilien verwiesen worden. Gleichzeitig habe man gewusst, dass es damals in Brasilien Kinderhandel gab, in den sogar ein Jugendrichter verwickelt war. Doch das Problem sei immer wieder «externalisiert» worden.
«Illegale Praktiken»
In den Akten könne man auch sehen, dass Eltern zur Verwirklichung ihres Kinderwunsches zum Teil sehr weit gegangen seien: «bis hin zu illegalen Praktiken».
Die Schweizer Behörden haben wegen der Zersplitterung der Zuständigkeiten und den komplexen Verfahren nichts unternommen, sagte Ramsauer. Ausserdem habe die Schweiz damals die Uno-Kinderrechtskonventionen und das Haager Kinderschutzübereinkommen noch nicht ratifiziert.
Die Professorin betonte, dass es sich bei ihrer Untersuchung der Akten im Bundesarchiv nicht um eine «gründliche historische Analyse» handle. Es sei lediglich im den Wissensstand der Schweizer Behörden gegangen.
Mit dieser Studie gebe es nun einen Überblick über das vorhandene Archivmaterial. Die Forschenden hätten aber keine Einzelfall-Akten angeschaut. Das gehöre aus ihrer Sicht zu den Forderungen für künftige Forschungsvorhaben. Denn Forschungsbedarf bestehe in allen Kantonen und Vermittlungsstellen, sagte Ramsauer.
Bundesrat bedauert Fälle
Der Bundesrat nahm den ZHAW Bericht am Freitag zur Kenntnis. Er bedauerte, dass die Behörden ihre Verantwortung gegenüber diesen Kindern und ihren Familien nur unzureichend wahrnahmen. «Diese Versäumnisse der Behörden prägen das Leben der damals adoptierten Personen bis heute», hiess es in einer Mitteilung.
Die Kantone seien nun dafür verantwortlich, die Betroffenen bei der Herkunftssuche zu unterstützen. Für den Bundesrat sei klar, dass es solche Unregelmässigkeiten in Zukunft nicht mehr geben dürfe. Dazu brauche es eine Revision des internationalen Adoptionsrechts.
Eine vom Bundesrat eingesetzte Expertengruppe entwickelte zum Thema internationale Adoption zwei mögliche Szenarien: Beim ersten müsste – zusätzlich zur Gesetzesreform – die Zusammenarbeit auf Länder beschränkt werden, welche die Mindestgarantien «nachweisbar» einhalten.
Die zweite Möglichkeit wäre der komplette Ausstieg aus internationalen Adoptionen. Gemäss dem Bericht wurden in den letzten Jahren noch etwa 50 Kinder pro Jahr aus dem Ausland adoptiert. Der Bundesrat beauftragte die Experten, ihm bis Ende 2024 «vertiefte Abklärungen» vorzulegen.