Kommentar: Warum ein Gender-Tag streng genommen ein Blödsinn ist
Das Wichtigste in Kürze
- Die Schule in Stäfa ZH veranstaltet einen "Gender-Tag".
- Dieser Umstand sorgt in weitem Umkreis für rote Köpfe.
- Sollte man sich nicht besser andersweitig (farbige) Sorgen machen? Ein Kommentar.
Kennen Sie Stäfa ZH? Eine Gemeinde am Zürichsee, knapp 15'000 Einwohner und unspektakulär. Wenn man mal davon absieht, dass dort das Rivella erfunden wurde, trotz vieler Rebberge. Und dass einer der Einwohner Christoph Mörgeli heisst und eine Einwohnerin Tina Turner, trotz Christoph Mörgeli. Eine Gemeinde, der man nicht mehr Beachtung als unbedingt nötig schenkt, aber dennoch einigen Zeitgenossen gesundheitsgefährdende Adrenalin- und Blutdruck-Werte beschert.
Ein Gender-Tag – ein Aufreger
Denn die Schulsozialarbeit veranstaltet einen «Gender-Tag», was in der halben Deutschschweiz zu reflexartiger Empörung bei «gender»-sensitiven Mitmenschen führt. Ob man dabei Indoktrination, Umerziehung, Obszönitäten oder die Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen gemäss der Genfer Konvention befürchten muss, sei jedem selbst überlassen. Der an die Eltern versandte Brief ist aber auch aus ganz anderen Gründen lesenswert.
Das wiederum hat nicht speziell mit der Gemeinde Stäfa zu tun, denn vermutlich wäre der Brief in jeder anderen Gemeinde ebenfalls so oder ähnlich abgefasst worden. Der Brief hält uns den Spiegel vor und wir sehen darin ein Abbild unserer Gesellschaft: Streng genommen ist ein Gender-Tag an der Schule ein Blödsinn. Und wo, wenn nicht an der Schule, sollte man schon streng sein?
Ein Tag wie jeder andere
Einerseits ist es doch wirklich etwas irritierend, dass ein Gender-Tag stattfinden soll. Man will kaum glauben, dass heutzutage noch irgendjemandem erklärt werden muss, dass Jungen auch im Kleid aufs Cover von Vanity Fair dürfen und Mädchen auch erfolgreiche Unternehmer sein können. Haben die denn von den Kardashians rein gar nichts gelernt?
Dass zur Vermittlung einer Selbstverständlichkeit ein spezieller Tag reserviert wird, lässt ja erst recht den Verdacht aufkommen, dass etwas nicht selbstverständlich sein könnte. Gibt es etwa einen «MW-Tag» zur Toleranz von etwas breiter geratenen Buchstaben und einen «Abzieh-Tag», weil Subtraktion nicht nur negativ sein muss? Das würde die Kontroverse ja nur zusätzlich anheizen.
Apropos Kontroverse: Der Titel «Gender-Tag» ist natürlich auch etwas unglücklich gewählt. Mit Rücksicht auf die «gender»-sensitive Community hätte man ja auch einfach Geschlechts-Tag sagen können. Aber so fordert man die Reaktionen ja nachgerade heraus. Wie wenn man den Social-Media-Tag originellerweise «Hasch-Tag» nennen würde: Diagonal-Lesende würden auch hier sofort Schlimmes ahnen.
Bemutterte Eltern
Wundern darf man sich auch, dass Schulkindereltern ermahnt werden müssen, dass sich allenfalls Regen- und Sonnenschutz als nützlich erweisen könnten. Oder dass man dem Nachwuchs keine Zigaretten und Alkohol mitgeben soll und, oh Wunder, «es gelten die Schulregeln». Wenn schon, sollten sich Bildungspolitiker und Gesunder-Menschenverstand-Lobbyisten über solcherlei enervieren.
Hier wäre Gelegenheit, Übel an der Wurzel zu packen. Was gleichermassen gelten sollte für die Wurzel, warum Kinder überhaupt mit einem Gender-Tag geplagt werden: Wir alle im Allgemeinen und die Kinderartikel-Hersteller im Besonderen. Sie sind es, die einen Gender-Tag nötig hätten.
Regenbogen waren früher auch bunter
Wobei ein Tag wohl nicht ausreicht. Zwar mokieren wir uns fröhlich darüber, dass Jungen die Farbe Hellblau und Mädchen Rosa zugeschrieben wird. Aber haben Sie mal die Sortimente einschlägiger Fachgeschäfte studiert? Regenbogen-Ponys finden zwar alle toll, aber bei Textilien ist mit Regenbogen Fehlanzeige.
Mädchen tragen Rosa, Türkis, Lila, Flieder oder Hellblau und wenn es ganz extrem wird, noch Hellgelb, aber Hauptsache Pastell. Jungen tragen Himmelblau, Mittelblau, Dunkelblau und Schwarzblau, die ganz Mutigen auch Rot, Hauptsache kräftige Farben. Sind Orange, Gelb, Grasgrün, Lindgrün, Dunkelgrün, Violett, Beige oder Braun zu wenig geschlechtsspezifisch und darum ein Ding der Unmöglichkeit? Von scharlachroten Träumen kann man nur träumen.
Wobei fairerweise gesagt sein muss: Die Nachfrage bestimmt das Angebot sicher auch mit. Doch unfairerweise setzen sich die Angebotstrends bis ins Erwachsenenalter fort.
Gender-Tag für alle, statt für jede/n
An den Gender-Tag schicken sollte man auch Kosmetik-Hersteller wie Nivea, die eine eigene «Nivea for men»-Line herausbringen. Männer dürfen nicht mit Papaya-Extrakt duschen, Frauen dürfen nicht nach alten Gewürzen riechen (Sie wissen schon: in der Kopfnote nach Muskat, in der Herznote nach Zimt und in der Basisnote nach Tonkabohne und Zeder).
Fazit: Es gibt Wichtigeres als ein Schultag in Stäfa ZH mit inbegriffenem Mittagessen und erst noch Zwischenmahlzeiten. Nämlich Geschlechterdiskriminierung im Supermarkt und gefährliche Wetterphänomene wie «Regen» und «Sonne». Darüber sollte die Schweiz vermehrt diskutieren. Und den Stäfner Sekschülerinnen und Schülern wünschen wir einen nicht allzu langweiligen Gender-Tag und dass sie danach wissen, was eine «Herznote» ist.