Lehrermangel sollte Schulfach werden
Erneut fehlen zum Start des Schuljahres Lehrkräfte. Erneut. Wenn man bloss etwas dagegen tun könnte. Ein Kommentar.
Das Wichtigste in Kürze
- Lehrermangel ist in vielen Schulen ein Problem.
- Dieses scheint sich über Jahrzehnte zum Dauerthema etabliert zu haben.
- Wer sorgt für Lösungen? Ein Kommentar.
In Sachen «Schule» bin ich ja noch alte Schule. Die ersten drei Jahre lang eine einzige, gleiche Lehrerin, die zweiten drei Jahre ein einziger, gleicher Lehrer. Obwohl zwei völlig unterschiedliche Typen, haben sie, glaube ich, ihre Aufgabe gut gemacht.
Als ein fremdsprachiger, muslimischer Schüler integriert werden musste, wurde er integriert. Als ein Neuzugang gemobbt zu werden drohte, wurde er unter einem Vorwand weggeschickt und die Klasse ins überkonfessionelle Gebet genommen. Wenn ein Schüler den Unterricht störte, musste ich vor die Türe. Es waren Einzelfälle, wenn man vom Vor-die-Türe-schicken einmal absieht.
Lehrermangel: Alter Wein, neu geschlaucht
Was ich damals nicht wusste: Das ist keine Selbstverständlichkeit. Es bringt einem ja auch kein Lehrer bei, dass es zum Beispiel in den 60er-Jahren einen Lehrermangel gab. Im Lehrplan 21 ist auch nicht obligatorisch, über den Lehrermangel Anfang 90er-Jahre, die Lehrerschwemme Mitte der 90er-Jahre und den Lehrermangel Ende der 90er-Jahre Bescheid zu wissen.
Klar ist nur: Es ist nicht mehr wie früher. Vielleicht war es Anfang-Mitte-Ende der 90er-Jahre, als plötzlich mindestens eine Hälfte der Klasse, wenn nicht gar zwei oder drei, unter ADHS litt und deshalb Mühe mit Bruchrechnen und Stillsitzen hatte. Und nein, es ist nicht einfacher, neue Schüler zu integrieren, wenn die ganze Klasse vor der Türe ist.
Einmal abgesehen davon, dass es seither mehr fremdsprachige Schüler, mehr Mobbing und mehr Jobsharing gibt. Ganz zu Schweigen vom Lehrplan 21, Frühfremdsprachen und Zivildienstleistenden, die dem Klassenlehrer den Beliebtheits-Thron streitig machen. Klar ist aber auch: Wenn es zu wenige Lehrer und zu viele Aufgaben hat, leidet die Qualität des Unterrichts, die Fairness gegenüber den einzelnen Schülern, die Attraktivität des Berufs.
Wir sind alle sitzengeblieben
So weit, so ungut, oder wie man auf schulisch sagt: eine 3-4. Lehrermangel ist nichts Neues. Nur scheinen das alle zwischen September und Mai zu vergessen und werden dann, wie von einer Überraschungsprüfung am Montagmorgen, auf dem falschen Fuss erwischt, wenn es gegen Ende der Sommerferien geht.
Dann regnet oder hagelt (finde weitere passende Ausdrücke) es Vorschläge, wie die missliche Lage zu beheben sei. Alle Jahre wieder, wie bei «Dinner for One», ausser dass Miss Sophie mittlerweile noch mehr imaginäre Freunde hat und James deshalb einen Teil seiner Ethanol-Vernichtung an Jacqueline abtreten durfte. Was nur bedingt hilfreich ist, denn jetzt liegen zwischen Tisch und Anrichte neben dem Tiger- auch noch ein Eisbären-, Hochlandrind- und Tofufell, sodass man gar nicht mehr stilgerecht stolpern kann.
Lehrermangel ist keine Bildungspolitik
Es sind andere Zeiten, also braucht es zeitgemässe Lösungen, und zwar für die ganze Schweiz. Dem Bund sind einigermassen die Hände gebunden, denn Bildung ist Sache der Kantone. Nichtsdestotrotz fordert der Lehrerverband einen nationalen Aktionsplan, sieht die Politik in der Pflicht – was er übrigens letztes Jahr auch schon gesagt hat.
Gäbe es doch bloss so eine überkantonale Institution, die koordinieren, Strategien umsetzen, nachhaltig planen könn… halt, die gibt es ja. Die «Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren» (EDK) ist zuständig für Lehrpläne und die Anerkennung von Lehrdiplomen. Sie verantwortet die nationale Koordination in der Bildungspolitik, setzt sich für hohe Qualität, Chancengleichheit und anderes mehr ein.
Ausserdem sagt die EDK: «Die EDK hat keinen politischen Auftrag im Zusammenhang mit dem Lehrermangel.» Es ist das Tigerfell im Kampf gegen den Lehrermangel, denn auch dieser Satz wird jedes Jahr so ungefähr Anfang August wiederholt. Man wolle doch bitte stattdessen die einzelnen kantonalen Bildungsdirektionen kontaktieren. Sie haben das richtig gelesen: Die Kantone sagen, sie könnten leider nichts gegen den Lehrermangel tun, denn das sei Sache der Kantone.
Weil in meinem Lehrplan, damals, der Lehrermangel noch nicht Schulfach war, weiss ich jetzt halt auch nicht, wer daran etwas ändern könnte.