Longchamp: Schweiz in Sicherheits-, Bundesrat in Vertrauenskrise
Für den Politologen Claude Longchamp weisen die vielen Rücktritte im VBS noch nicht auf eine Regierungskrise hin. Ein Führungsproblem sieht er aber durchaus.
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Das Wichtigste in Kürze
- Im VBS treten nebst Chefin Amherd auch der Armeechef und NDB-Direktor zurück.
- Auch mit den Skandalen bei der Ruag, der Drohnenbeschaffung etc. liegt vieles im Argen.
- Politologe Claude Longchamp ordnet die Situation ein und benennt die Grundprobleme.
Nicht nur der Armeechef Thomas Süssli tritt zurück, sondern auch der Nachrichtendienst-Direktor Christian Dussey. Auch der Luftwaffenchef hat einen neuen Job und der Projektleiter für die Beschaffung des Kampfjets F-35 ist schon länger abgesprungen. Besteht in der Schweizer Armee bald ein Führungsvakuum?
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Nota bene ist ja auch VBS-Chefin Viola Amherd nur noch bis Ende März im Amt. Ihr Nachfolger wird sich erst einarbeiten müssen. Dem Eindruck, es finde im VBS eine «Implosion» statt, könne man sich tatsächlich nicht ganz entziehen, sagt Politologe Claude Longchamp.
VBS-Rücktritte: Nicht überraschend, aber …
Andererseits: «Es ist nicht ganz überraschend, wenn eine Bundesrätin geht, dass das durch sie direkt bestimmte Personal sagt: Das ist der beste Moment, zu gehen.» Das würde Longchamp aber nur bei Armeechef Süssli gelten lassen.
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Dem Politologen fällt aber auf: Bei jedem Wechsel an der Spitze des VBS sagten Medien, oft auch der neue Chef, er müsse ein Chaos übernehmen. Ausmisten im Departement scheint also eine lange Tradition zu haben.
«Es ist ein Departement, das aus verschiedenen Gründen chronisch Probleme hat», stellt Longchamp fest. «Das hat also vielleicht gar nicht so viel mit der aktuellen Situation zu tun.»
Longchamp: «Teilweise haben wir eine Sicherheitskrise»
Und doch macht das VBS in den letzten Wochen und Monaten reihenweise Negativschlagzeilen. Diese Woche mit dem Ruag-Skandal, vor einem Monat mit den seit einem Jahrzehnt überfälligen Drohnen. «Ja, zumindest teilweise muss man ganz klar festhalten, wir haben eine Sicherheitskrise», sagt Claude Longchamp.
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Es gebe aber wohl ein grundlegendes Problem: «Es fehlt eine breit abgestützte, überzeugende Strategie der Armee.» Unterschiedliche Schwerpunkte werden gesetzt: Die Linken wollten etwas mehr Diplomatie, die Rechten beklagten zu viele «Reformen für nichts», Frauenförderung und alles Mögliche.
Streit ums Armeebudget hallt nach
Das Fehlen der Strategie zeige sich am besten daran, dass die internationale Kooperationsfähigkeit oder auch -tätigkeit stark umstritten sei. «Ich denke, das ist ein Grundproblem», so Longchamp. Eigentlich brauche es einen breiten Konsens, der bei einzelnen Krisen dann zum Tragen kommen könne.
Als zweite grosse Baustelle sieht Longchamp das Armeebudget. «Da gingen die Meinungen in den letzten 12 Monaten zwischen Herr Süssli, Frau Amherd und Frau Keller-Sutter teilweise stark auseinander.» Mit dem fehlenden Konsens, was die Schweizer Armee eigentlich solle, ergebe sich die unübliche Häufung von Krisensituationen.
Longchamp: Krise auch im Gesamtbundesrat
In der Summe ergebe sich eine generelle Krisensituation, nicht nur eine sicherheitspolitische Krisensituation, ist Longchamp überzeugt. Auch eine Krise im Bundesrat? Politologe Longchamp sieht hier eine Vertrauenskrise: «Unterschiedliche Meinungen, Polarisierung im Bundesrat, aber vor allem auch Indiskretionen.»
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«Das ist tatsächlich ein Problem für die Zusammenarbeit in einer Konkordanzdemokratie». Niemand habe Weisungsbefugnis, auch nicht Bundespräsidentin Keller-Sutter. Also müsse das Vertrauen in die Arbeit der anderen, auch der anderen Parteien, gefördert werden.
Klärung der Zusammensetzung des Bundesrats
Klar gebe es Knatsch zwischen Links und Rechts, aber eben auch um die Zusammensetzung des Bundesrats. «Ich halte dies im Moment für eine der dringendsten Fragen», sagt Longchamp. Sowohl für einen Sitz der Grünen als auch für einen zweiten Sitz der Mitte sei gegenwertig die Chance gleich null.
«Der Bundesrat wird so zusammengesetzt bleiben, er ist aber parteipolitisch schlecht abgestimmt. Innerhalb des Bundesrats gibt es eine klare Hierarchie von denen, die etwas zu sagen haben und den anderen. Und das ist natürlich nicht gut für die Zusammenarbeit. Vielleicht braucht es aber auch eine Rochade von starken Bisherigen ins VBS.»
«Vertrauenskrise würde ich gelten lassen, für eine Regierungskrise braucht es eine Krisensituation in verschiedenen Departementen.» Parteien, gerade die SVP, sähen dies anders. Persönlich würde er noch nicht so weit gehen, betont Longchamp, aber «Vertrauenskrise innerhalb dieses Regierungssystems: Ja.»