Politikerinnen sollen Rechte trotz Mutterschaftsurlaub wahrnehmen
Der Nationalrat befasst sich mit einer Änderung der Bestimmungen zum Mutterschaftsurlaub: Politikerinnen sollen Ämter auch kurz nach der Geburt ausüben dürfen.

Das Wichtigste in Kürze
- Der Nationalrat verhandelt morgen über eine Änderung der Gesetzgebung zum Mutterschutz.
- Politikerinnen sollen ihr Amt künftig auch während dem Mutterschaftsurlaub ausüben dürfen.
- Nationalrätin Kathrin Bertschy sagt: «Die aktuelle Praxis ist einer Demokratie unwürdig!»
- Wird eine Politikerin um ihre Stimme gebracht, könne sie die Wählenden nicht vertreten.
Faktisch setzen Politikerinnen in der Schweiz ihre politischen Rechte aufs Spiel, wenn sie Mütter werden möchten: Während dem staatlich verordneten Mutterschaftsurlaub reicht ein einzelner Knopfdruck im Parlament aus, um den Anspruch auf Erwerbsersatz zu verlieren.
Kathrin Bertschy hatte dies am eigenen Leib erlebt: 2018 brachte die GLP-Nationalrätin ein Kind zur Welt, wenige Wochen später nahm sie an einer wichtigen Abstimmung im Parlament teil. Fürderhin erhielt die Bernerin für ihre berufliche Tätigkeit jenseits des Milizparlaments keine Mutterschaftsentschädigung mehr.
GLP-Bertschy: «Einer Demokratie unwürdig»
Für die GLP-Nationalrätin steht fest: «Dass gewählte Volksvertreterinnen während dem Mutterschaftsurlaub weder ihre politischen Rechte, noch ihren Wählerauftrag wahrnehmen können, ist einer Demokratie unwürdig.»
Aus diesem Grund müsse jetzt eine Gesetzesänderung her: Frauen sollen ihre politischen Parlamentsmandate während des Mutterschaftsurlaubes wahrnehmen können, ohne die Mutterschaftsentschädigung und den Mutterschutz zu verlieren. Und das auf allen drei staatspolitischen Ebenen.
Aufwertung der Attraktivität politischer Tätigkeiten
Bertschy ist überzeugt, dass diese Gesetzesänderung auch eine Aufwertung der Attraktivität politischer Tätigkeiten für werdende Mütter zur Folge hätte: «Mit dieser Änderung, verschwindet eines der Puzzleteile, die politische Tätigkeiten für Mütter weniger attraktiv machen.»

Daneben verweist die Bernerin auf die Notwendigkeit rechtlicher Rahmenbedingungen, die eine Vereinbarkeit von Familie, Beruf und politischem Amt überhaupt ermöglichen. Dabei bezieht sie sich in erster Linie auf erschwingliche Kinderbetreuungsinfrastrukturen.
Überdies müssten Planbarkeit und Regelmässigkeit der Ratssitzungstage verbessert werden. Auch die Parteien seien in der Pflicht, Frauen auf vergleichbaren Listenplätzen zu portieren und im Wahlkampf entsprechend zu unterstützen: «Dann klappt es auch mit der Wahl, das haben die Nationalratswahlen 2019 gezeigt.»
Bundesgericht bestätigte 2021 bisherige Rechtsprechung
Gemeinsam mit ihrem Arbeitgeber, dem Dachverband «Alliance F», wehrte sich Bertschy gegen den ursprünglichen Entscheid. 2021 eskalierte sie die Angelegenheit bis vors Bundesgericht – ohne Erfolg. Das oberste Gericht stellt Mütter vor die Wahl: Entweder sie verzichten auf die politische Tätigkeit, oder auf die Mutterschaftsentschädigung.

Damit bestätigte das Bundesgericht die bisherige Rechtsprechung und hielt fest, auch Nationalratsmandate seien juristisch betrachtet als reguläre Erwerbstätigkeit zu interpretieren. Die Gesetzeslage sei eindeutig: Wer die Erwerbstätigkeit wieder aufnehme, verliere den Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung per sofort und definitiv.
Mehr als eine Erwerbstätigkeit?
Bertschy ist anderer Ansicht: «Bei einem politischen Amt handelt es sich nicht (nur) um eine Erwerbstätigkeit, sondern um politische Rechte.» Frauen seien in der Politik noch immer unterrepräsentiert. Deswegen sei es umso wichtiger, dass die wenigen Vertreterinnen nicht noch um ihr Stimmrecht gebracht werden, wie Bertschy erklärt. «Wenn eine Politikerin um ihre Stimme gebracht wird, kann sie tausende Wählerinnen und Wähler nicht vertreten!»

Schützenhilfe erhält die Bernerin von ihrer Nationalratskollegin Min Li Marti (SP/ZH): «Wenn eine Frau entweder auf die Ausübung ihres Stimmrechts oder auf ihren Anspruch auf Lohnersatz verzichten muss, verunmöglicht ihr dies, ihre politischen Rechte wahrzunehmen.»
Dies sei insbesondere in kommunalen und kantonalen Parlamenten problematisch, die klar als Milizparlamente zu verstehen sind und nur bescheiden entschädigt werden. «Wichtig ist meines Erachtens vor allem, dass Politik für Frauen nicht unattraktiver wird.»
Praxis, die nur Frauen diskriminiert?
Nationalrätin Bertschy ergänzt: «Überdies ist es eine Praxis, die nur die Frauen diskriminiert: Väter können ihren Vaterschaftsurlaub jederzeit unterbrechen und wieder aufnehmen.» Das widerspreche der Gleichstellung der Geschlechter, weshalb die Bernerin das «stossende Bundesgerichtsurteil» an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte weitergezogen hat.
Im Rahmen der Herbstsession berät das Parlament derzeit über die Vorlage. Das Anliegen wird von Akteuren aus allen politischen Parteien unterstützt: Dass die Änderung entsprechend der Vorstellungen von Bertschy, Marti und unzähligen anderen Politikerinnen ins Gesetz überführt wird, scheint reine Formsache zu sein.