Rahmenabkommen: Das kann Guy Parmelin in Brüssel noch rausholen
Das Wichtigste in Kürze
- Bundespräsident Parmelin spricht am Freitag mit EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen.
- Im Streit um das Rahmenabkommen mit der EU soll eine Lösung gefunden werden.
- Europa-Kenner Gilbert Casasus dämpft die Erwartungen an Konzessionen der EU.
Am Freitag soll es endlich so weit sein: Bundespräsident Guy Parmelin trifft EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu Gesprächen über das Rahmenabkommen. Der Städteverband fordert einen raschen Entscheid, der Industrieverband Swissmem warnt vor einem Scheitern. Parteien und Verbände haben sich längst positioniert und die Erwartungen sind entsprechend hoch.
Doch die Situation scheint je länger je mehr verfahren zu sein, obschon sie das auch vor zwei Jahren schon war. Was kann Guy Parmelin fürs Rahmenabkommen überhaupt noch ausrichten in Brüssel? Nau.ch hat mit Gilbert Casasus gesprochen, Professor am Departement für Europastudien und Slavistik der Universität Freiburg.
Nau.ch: Wie wichtig ist dieses Treffen aus Sicht der EU – eine lästige Pflicht, währenddem eigentlich dringendere Themen bearbeitet werden sollten?
Gilbert Casasus: Das ist genau das Problem, das man in der Schweiz nicht einsieht. In der Schweiz drehen sich die EU-Diskussionen immer nur um die Schweizer Positionen. Es werden sehr selten EU-Politiker zu Podien eingeladen.
Aber: Für die Schweiz ist das Dossier selbstverständlich viel wichtiger als für die EU. Die EU muss sich primär mit Corona, Budget und mit aussenpolitischen Herausforderungen auseinandersetzen.
Seitens der EU hört man sehr oft: Die Schweiz nimmt sehr viel Zeit in Anspruch im Vergleich zu anderen Dossiers. Die Europäer haben die Schweiz zwar gern, aber sie ist wie ein guter Freund, der dauernd auf die Nerven geht. Wenn man gut befreundet ist, akzeptiert man auch, wenn der andere mal etwas spinnt.
Aber es bedingt, dass man sich bemüht, nicht mit dem Kopf durch die Wand will und Kompromisse eingeht. Ein grosses Weihnachtsgeschenk wird es am Freitag nicht geben. Abgesehen davon, dass es Frühling ist – und im Frühling soll man vernünftig sein.
Nau.ch: Für Aussenminister Ignazio Cassis ist es natürlich enttäuschend, dass er ausgerechnet bei Gesprächen zum Rahmenabkommen nicht dabei sein kann. Objektiv gesehen: Macht es Sinn, wenn sich zunächst die Präsidenten treffen und Detailfragen somit weiterhin auf der Strecke bleiben?
Gilbert Casasus: Protokollarisch ist es vertretbar, aus Sicht des Schweizer Systems ist es schon etwas problematisch. Denn die EU weiss genau, dass der Bundespräsident erst seit vier Monaten im Amt ist. Parmelin braucht sicher Unterstützung vom EDA, um auf Augenhöhe diskutieren zu können. Aber diesen Aspekt muss man nicht überbewerten.
Nau.ch: Hat Guy Parmelin überhaupt noch die Möglichkeit, die verfahrene Situation wieder in Gang zu bringen?
Gilbert Casasus: Die Hoffnung stirbt zuletzt – aber die Hoffnung ist sehr klein. Wenn die Schweiz erwartet, dass die EU in den drei wichtigen Fragen nachgibt, muss Parmelin gar nicht nach Brüssel fliegen. Dann ist das lediglich reine Umweltverschmutzung.
Es ist möglich, dass die EU der Schweiz in Detailfragen entgegenkommt. Aber sie wird nicht ihre eigenen Prinzipien aufgeben. Wenn Parmelin zurückkommt und zwei-drei Entgegenkommen vorweisen kann, dann ist das ein Erfolg. Aber mehr zu erwarten ist illusorisch.
Das Rahmenabkommen ist fertig verhandelt, darauf wird die EU pochen. «Das sind eure Diplomaten, die das ausgehandelt haben – das ist nicht unser Problem». In der Diplomatie ist es immer wichtig zu überlegen, was die andere Seite wollen könnte. Dieser Schritt, bin ich überzeugt, ist in der Schweiz nicht gemacht worden.
Nau.ch: Die EU äussert sich ziemlich abschätzig über die Haltung der Schweiz beziehungsweise die Gespräche mit Staatssekretärin Livia Leu. Da scheint nicht viel Willen vorhanden zu sein, das bereits ausgehandelte Rahmenabkommen zu verändern. Ist ein Plan B der einzige Ausweg?
Gilbert Casasus: Ein Plan B kann höchsten so aussehen, dass man 90 Prozent des Rahmenabkommens übernimmt, aber das wäre ein Zeitverlust. Man müsste vorher wissen, was der Plan B überhaupt sein soll.
Eine Vermischung mit dem Kohäsionsfond kann man zum Beispiel nicht machen. Das Freihandelsabkommen neu zu verhandeln: Klingt wunderbar, aber das hiesse auch, mehr Bürokratie zu wagen beim Export. Das sieht man jetzt in Grossbritannien. Das wollen die Befürworter dieses Wegs ja auch nicht, denn das wäre ein Rückschritt.
Wir in der Schweiz sind ja kompromissfähig und suchen den Konsens. Diese Tugenden sollten das Leitmotiv sein bei den Verhandlungen mit der EU. Wir sind schliesslich nicht in Beitrittsverhandlungen. Wenn das Rahmenabkommen unter Dach und Fach ist, wird das Thema Schweiz in Brüssel für 20 Jahre nicht mehr diskutiert.