Rechtsprofessorin erklärt, was SBI und EMRK mit uns zu tun haben

Conradin Zellweger
Conradin Zellweger

Lausanne,

In der SBI-Debatte wird viel über Menschenrechte diskutiert. Was hat eigentlich die EMRK mit der Schweiz zu tun? Rechtsprofessorin Evelyne Schmid im Interview.

Evelyne Schmid ist Professorin für internationales Recht an der Universität Lausanne.
Evelyne Schmid ist Professorin für internationales Recht an der Universität Lausanne. - Zvg

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Auswirkungen der SBI betreffen auch das alltägliche Leben, sagt die Rechtsprofessorin.
  • Die EMRK betreffe nicht nur das Bundesgericht, auch bei Behörden fliesse diese mit ein.

Die Professorin Evelyne Schmid unterrichtet an der Universität Lausanne Internationales Recht. Die Wissenschaftlerin hat sich auf Menschenrechte spezialisiert und sie spricht sich gegen die Selbstbestimmungsinitiative aus.

Frau Schmid, die Debatte über die Selbstbestimmungsinitiative geht in die Schlussphase. Was beobachten Sie?

Evelyne Schmid: Die Debatte ist von grossen Unsicherheiten geprägt. Das ist wenig erstaunlich, denn der Text ist schwierig zu verstehen, er lässt viele Fragen offen.

Ach, oft hört man aber von Linken, die Initiative sei glasklar… Sind sich Gegner der SBI auch nicht einig?

Die SVP hat im Verlaufe der Zeit die Argumente geändert, sie haben sogar vor ein paar Tagen das Argumentarium auf ihrer Webseite angepasst. Darum ist es wenig erstaunlich, dass die Auswirkungen z.B. auf die Europäische Menschenrechtskonvention EMRK und auf andere Verträge unklar sind. Man weiss nicht wirklich, was die SVP will.

Und wissen Sie, was die Initiative will?

Die Kündigung der EMRK ist eine Möglichkeit. Ob sie wirklich gekündigt wird, ist nicht klar aber auch nicht das einzig Wichtige. Das Brisanteste wäre ein grosses juristisches Hickhack. Denn die EMRK bleibt auch bei einem Ja verbindlich. Aber es wird massiv schwieriger, sie einzuhalten. Das wiederum schwächt unsere Gerichte und unseren Grundrechtsschutz.

Schwächt die Initiative nicht eher die Richter in Strassburg am Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EMRG?

Nicht nur, die EMRK spielt eben auch in der Schweiz eine tragende Rolle. Ich denke dabei z.B. an die fürsorgerischen Zwangsmassnahmen, die dank der EMRK abgeschafft wurden. Bis 1981 konnten Behörden Kinder, Jugendliche und Erwachsene in Heime, Kliniken oder auch in Strafanstalten einfach «versorgen» oder Kinder zur Adoption freigeben. Dank der EMRK hat jede Person das Recht, sich gerichtlich zu wehren, wenn man gegen seinen Willen in einer Anstalt landet.

Und wie ist das heute?

Alle unsere Gerichte streben immer ein Ergebnis an, dass möglichst konform mit Verfassung und Völkerrecht ist. Bei der Auslegung unserer Grundrechte spielt die EMRK eben mit. Nicht erst beim Bundesgericht oder EMRG, auch schon bei einem Urteil eines Bezirksgerichts und beim Handeln der Behörden fliesst die EMRK mit ein.

Man hört viel Kritik gegen Äusserungen der Schweizer Richterin des EGMR, Helen Keller – verstehen Sie diese?

Nein, man kann ihr keinen Vorwurf machen, dass sie sich nicht zu laufenden Verfahren äussert. Als amtierende Richterin untersteht sie Regeln im Umgang mit Medien.

Uns wurden Fragen gestrichen bei einem geplanten Interview mit ihr, warum kommuniziert die kompetenteste Person in diesen Fragen nicht offener?

Sie hat sich sehr dezidiert gegen die Initiative geäussert. Aber es ist vorstellbar, dass sie vorsichtiger geworden ist. Während den Amtszeiten ihrer Vorgänger war die öffentliche Debatte noch nicht so aufgeladen. Sie hat einfach das «Pech», dass sie während dieser Debatte am EGMR sitzt. Was man auf jeden Fall sagen kann: Sie engagiert sich sehr für die Menschenrechte in der Schweiz und in Europa.

Es gibt hin und wieder die Kritik, dass alle SBI-Gegner unter einer Decke stecken – wie sehen Sie das?

Tatsache ist, dass es in der Schweiz eine sehr grosse Anzahl Organisationen und eine breite Allianz der Zivilgesellschaft gegen die Initiative gibt – weil die Angst um unsere Grundrechte gross ist. Es sind Organisationen im Bereich der Kinderrechte, Pro Senectute oder Menschen mit Behinderungen. Dazu kommen Wirtschaftsverbände, die sich um die Rechtssicherheit und Stabilität der Beziehungen mit Partnerländern sorgen.

Sie sind Professorin, wie behalten Sie den Draht zu Leuten, die sich vor Fremdem, wie etwa «fremden Richtern», fürchten?

Auch wenn ich Professorin bin: Ich in einer 08/15-Familie auf dem Land aufgewachsen, heute wohne ich in einem Arbeiterquartier. Auch meine Studenten stammen teilweise aus einfachen Verhältnissen. Ich versuche zu erklären, was das Völkerrecht ist – immerhin ist es jetzt in aller Munde. Es spielt bei ganz alltäglichen Dingen einer Rolle. Wenn wir eine Postkarte ins Ausland schicken oder über die Grenze telefonieren.

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