Revision des Sexualstrafrechts: Was gilt als Vergewaltigung?
Das Sexualstrafrecht der Schweiz soll aktualisiert werden. Doch die Begriffe der Vergewaltigung und Nötigung erschweren den Prozess.
Das Wichtigste in Kürze
- Das Schweizer Sexualstrafrecht soll revidiert und aktualisiert werden.
- Während der Vernehmlassung sind 10'000 Stellungnahmen eingereicht worden.
- Heikel ist der Begriff Vergewaltigung; dieser kann sehr eng oder sehr weit gefasst werden.
Die Ständeratskommission für Rechtsfragen hat zur Revision des Sexualstrafrechts über 10'000 Stellungnahmen von Einzelpersonen erhalten. Noch nie gab es zu einem Vorschlag für eine Gesetzesänderung so viele Statements aus der Bevölkerung.
Das Thema bewegt die Schweiz, die letzte Revision des Sexualstrafrechts liegt 30 Jahre in der Vergangenheit. Viele Länder sind der Schweiz einige Schritte voraus, was den Opferschutz und die Gleichberechtigung der Geschlechter in dieser Sache betrifft.
Männer werden auch vergewaltigt
Bemängelt werden hierzulande vor allem die Definitionen der Vergewaltigung und der Nötigung. Bislang galt als Vergewaltigung nur, wenn «eine Person weiblichen Geschlechts», die widerstandsunfähig ist oder mit physischer Gewalt oder psychischem Druck «zur Duldung des Beischlafs» gezwungen wird. Männer können also gemäss Schweizer Recht gar nicht vergewaltigt werden. Das soll mit der Revision verändert werden.
Als Nötigung gilt, wenn «eine Person zur Duldung einer beischlafähnlichen oder sexuellen Handlung» genötigt wird. Auch hier wird vorausgesetzt, dass die Person bedroht, unter Druck gesetzt wird oder widerstandsunfähig ist.
Für viele Opferschutzorganisationen und die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen (EKF) unverständlich. Denn mit «Beischlaf» ist die vaginale Penetration mit einem Penis gemeint.
Sollte also ein Opfer anal, mit Fingern, einem Sextoy oder anderen Gegenständen penetriert werden, gilt die Tat nicht als Vergewaltigung. So fiele auch die Strafe für den Täter oder die Täterin anders aus.
Die EKF fordert, dass «alle sexuellen Übergriffe» als Vergewaltigung gelten sollen. Diesen Ansatz unterstützt auch Amnesty Schweiz. Die Menschenrechtsorganisation argumentiert ebenfalls, dass wegen der Abstufung eine sexuelle Nötigung als «weniger schlimm» als eine Vergewaltigung interpretiert werden könnte.
Zustimmungsprinzip für Opferschutz
Ebenfalls im Rahmen der Gesetzesrevision wird diskutiert, ab wann eine sexuelle Handlung als nicht einvernehmlich gelten soll. In der heutigen Fassung gilt das «Nein heisst Nein»-Prinzip: Wird das Opfer bedroht, mit Druck zu einer sexuellen Handlung genötigt, oder kann es nicht Widerstand leisten, wird es als «Nein» interpretiert.
Das finden aber viele ebenfalls problematisch. Viele Opfer geraten in eine Schockstarre, leisten keinen verbalen oder physischen Widerstand. Deswegen fordern viele Organisationen und Parteien die Einführung des «Nur Ja heisst Ja»-Prinzips. Auch auf den sozialen Medien wird Druck gemacht.
Gemäss diesem Lösungsansatz müssten alle in einer sexuellen Handlung involvierten Personen ihr Einverständnis klar geben können. Die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen erklärt es in ihrer Stellungnahme wie folgt: «Die entscheidende Frage soll sein, ob das Opfer zugestimmt hat oder nicht.» Und nicht, ob und inwiefern die Opfer sexuelle Handlungen abgelehnt haben.
Dieser Vorschlag stösst aber auch auf Widerstand. Ständerat Beat Rieder (Mitte/VS), Präsident der Kommission für Rechtsfragen, hält das «Nur Ja heisst Ja»-Prinzip für nicht praxistauglich. Zudem verletze es das Prinzip der Unschuldsvermutung. Auch die SVP stellt sich klar gegen diese Lösung.
Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerats wird über die Ergebnisse de Vernehmlassung beraten. Die nächste Sitzung ist für Anfang August vorgesehen. Anschliessend wird ihre Schwesterkommission im Nationalrat über die Revision beraten.
Waren oder sind Sie Opfer von sexueller Gewalt? Hier finden Sie Hilfe und Beratung:
Ausschliesslich für Frauen: frauenberatung.ch
Für alle: opferhilfe-schweiz.ch