Schweiz hat russische Top-Kader nicht auf der Sanktions-Liste
Bloss ein formaler Fehler? Ein halbes Dutzend Personen aus dem Umfeld von Wladimir Putin sind von der Schweiz – im Gegensatz zur EU – nicht sanktioniert.
Das Wichtigste in Kürze
- Die USA, aber auch die Ukraine bemängeln das Sanktionsregime der Schweiz.
- Dabei geht es einerseits um die Um- und Durchsetzung der Massnahmen gegen Oligarchen.
- Allerdings zeigt sich: Einzelne Top-Kader werden von der Schweiz gar nicht gelistet.
Eine US-Kommission beschuldigt die Schweiz, «Putins Gehilfin» zu sein. So sollen Anwälte, aber auch die Justiz, Oligarchen direkt oder indirekt helfen, die Sanktionen gegenüber Russland zu umgehen. In einer offiziellen Stellungnahme wehrt sich der Bundesrat, dass internationale Standards eingehalten würden.
Schweiz bei Sanktionen gegen Russland nachlässig?
Wie dem auch sei: Nau.ch-Recherchen zeigen, dass ein halbes Dutzend Personen von der Schweiz gar nicht sanktioniert sind. Von der EU, auf die sich die Schweiz stets stützt, hingegen schon, denn es handelt sich keineswegs um unbedeutende Handlanger. Sondern um Generäle und Kommandanten.
Hier würde eigentlich der Entscheid der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats greifen. Mit einer Gesetzesänderung soll der Bundesrat eigenständig Sanktionen aussprechen dürfen, statt immer erst auf die EU zu warten. «Nach unserer Auslegung hätte er dies bereits jetzt schon eigenständig tun können», sagt Kommissionsmitglied Sibel Arslan (Grüne). Der Kommissionsentscheid soll dem Bundesrat ein Motivations-Schubser sein.
Nicht sanktioniert: Geheimdienstchef, Generäle und ein Ex-Präsident
Denn es gibt einige hochkarätige Personen, die die Schweiz konsequenterweise noch sanktionieren könnte. Hochrangige, Putin nahestehende Top-Kader. Personen, bei denen es auch ohne Vorauswahl der EU logisch erscheint, dass sie für eine Sanktionsliste relevant wären.
Dazu gehört der Chef des berüchtigten Militärgeheimdienstes GRU, Admiral Igor Kostjukow. Oder die Generäle Pawel Popow, Vize-Verteidigungsminister, und Wiktor Solotow, Direktor der russischen Nationalgarde. Solotow kennt Putin bereits aus gemeinsamen Zeiten in Sankt Petersburg in den 90er-Jahren. Später war er mit seiner «Men in Black» genannten Sondertruppe jahrelang für Putins Sicherheit zuständig.
«Vergessen» gegangen scheint auch Viktor Janukowitsch, der abgesetzte Ex-Präsident der Ukraine. Nach seiner Flucht 2014 auf die Krim-Halbinsel soll er nach Russland weitergereist sein. Auch er ist von der EU mit Sanktionen belegt, von der Schweiz hingegen nicht. Sein Fall gibt aber einen Hinweis darauf, warum dies so sein könnte.
Sanktionen schon vor Ukraine-Krieg
Denn Viktor Janukowitsch ist von der EU bereits seit drei Jahren mit Sanktionen belegt. Der Bundesrat scheint aber schlicht die Ergänzungen der EU seit der Invasion Russlands in die Ukraine abzuarbeiten. Da bleibt so mancher auf der Strecke, wie der russische Generalstaatsanwalt und Mitglied des Sicherheitsrats, Igor Krasnow. Er ist von der EU und den USA seit März 2021 sanktioniert.
Auch die oben erwähnten Kostjukow, Popow und Solotow unterstehen schon länger EU-Sanktionen. Das Seco bestätigt auf Anfrage den Sachverhalt im Grundsatz: Einige Personen seien von der EU unter anderen Sanktionsregimen gelistet. «Der Bundesrat ist sich dieser Tatsache bewusst.» Bei Personen wie Janukowitsch sei – unter anderem Titel – das Vermögen gesperrt, doch sei dafür das EDA zuständig.
Fast schon ironisch mutet der Fall von Sergei Kirijenko an. Die EU sanktionierte ihn nach dem Giftanschlag auf Alexei Nawalny im August 2020. Von der Schweiz wurde dieser Schritt nicht nachvollzogen.
Bei Kirijenkos nun seit Anfang März 2022 von der EU sanktionierten Sohn Wladimir dagegen schon. Schliesslich ist dessen Vater der stellvertretende Leiter der Präsidialverwaltung Putins – da muss man schon aufpassen.
Spezialfall Alina Kabajewa
Nicht immer müssen familiäre Verbindungen auch gleich Sanktionen nach sich ziehen. Während die Ukraine bei Kirijenko und Dutzenden anderen dies fordern, tut sie dies bei der wohl prominentesten Liaison nicht. Gegen Alina Kabajewa hat die Ukraine selbst zwar Sanktionen verhängt, fordert dies aber von keinem anderen Land.
Die Zurückhaltung geht so weit, dass auf der Regierung-Website als einzige Verbindungsperson Putin mit der Funktion «personal relationship» angegeben wird. Auf Ukrainisch steht dort viel expliziter «kokhanets»: «Liebhaber».
Eigenständig wie UK
Dass es problemlos möglich wäre, eigenständig und ohne Vorgabe durch die EU mehr Personen zu sanktionieren, zeigen Grossbritannien und Kanada. Während die Kanadier der EU um eine Person voraus sind, haben die Briten offenbar den Turbo gezündet. Statt 1105 Personen hat London schon 1236 Personen sanktioniert, darunter auch viele Ehefrauen von Politikern und Oligarchen.
So gesehen könnte sich die Schweiz ja auch am Nicht-EU-Mitglied Grossbritannien orientieren. Und zum Beispiel Alina Kabajewa sanktionieren – scheints hat sie zur Schweiz ja eine «personal relationship».