Schweiz hat russische Top-Kader nicht auf der Sanktions-Liste

Matthias Bärlocher
Matthias Bärlocher

Bern,

Bloss ein formaler Fehler? Ein halbes Dutzend Personen aus dem Umfeld von Wladimir Putin sind von der Schweiz – im Gegensatz zur EU – nicht sanktioniert.

Wiktor Solotow Wladimir Putin
Der russische Präsident Wladimir Putin begrüsst den Oberbefehlshaber der Nationalgarde, Wiktor Solotow, bei einem Treffen im Kreml im April 2019. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Die USA, aber auch die Ukraine bemängeln das Sanktionsregime der Schweiz.
  • Dabei geht es einerseits um die Um- und Durchsetzung der Massnahmen gegen Oligarchen.
  • Allerdings zeigt sich: Einzelne Top-Kader werden von der Schweiz gar nicht gelistet.

Eine US-Kommission beschuldigt die Schweiz, «Putins Gehilfin» zu sein. So sollen Anwälte, aber auch die Justiz, Oligarchen direkt oder indirekt helfen, die Sanktionen gegenüber Russland zu umgehen. In einer offiziellen Stellungnahme wehrt sich der Bundesrat, dass internationale Standards eingehalten würden.

Schweiz bei Sanktionen gegen Russland nachlässig?

Wie dem auch sei: Nau.ch-Recherchen zeigen, dass ein halbes Dutzend Personen von der Schweiz gar nicht sanktioniert sind. Von der EU, auf die sich die Schweiz stets stützt, hingegen schon, denn es handelt sich keineswegs um unbedeutende Handlanger. Sondern um Generäle und Kommandanten.

Hier würde eigentlich der Entscheid der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats greifen. Mit einer Gesetzesänderung soll der Bundesrat eigenständig Sanktionen aussprechen dürfen, statt immer erst auf die EU zu warten. «Nach unserer Auslegung hätte er dies bereits jetzt schon eigenständig tun können», sagt Kommissionsmitglied Sibel Arslan (Grüne). Der Kommissionsentscheid soll dem Bundesrat ein Motivations-Schubser sein.

Nicht sanktioniert: Geheimdienstchef, Generäle und ein Ex-Präsident

Denn es gibt einige hochkarätige Personen, die die Schweiz konsequenterweise noch sanktionieren könnte. Hochrangige, Putin nahestehende Top-Kader. Personen, bei denen es auch ohne Vorauswahl der EU logisch erscheint, dass sie für eine Sanktionsliste relevant wären.

Igor Kostjukow Wladimir Putin
Der Chef des Militärgeheimdienstes GRU. Igor Kostjukow, Präsident Wladimir Putin und Verteidigungsminister Sergei Schoigu (v.l.n.r) bei der Feier zum 100-jährigen Bestehen des GRU 2018. - kremlin.ru

Dazu gehört der Chef des berüchtigten Militärgeheimdienstes GRU, Admiral Igor Kostjukow. Oder die Generäle Pawel Popow, Vize-Verteidigungsminister, und Wiktor Solotow, Direktor der russischen Nationalgarde. Solotow kennt Putin bereits aus gemeinsamen Zeiten in Sankt Petersburg in den 90er-Jahren. Später war er mit seiner «Men in Black» genannten Sondertruppe jahrelang für Putins Sicherheit zuständig.

Pawel Popow Wiktor Solotow
General Pawel Popow, Vize-Verteidigungsminister Russlands (links) und der Direktor der Nationalgarde Wiktor Solotow (rechts), der 2014 als damaliger Kommandant von Putins Bodyguards seinem Chef über die Schulter blickt. - mil.ru / Keystone

«Vergessen» gegangen scheint auch Viktor Janukowitsch, der abgesetzte Ex-Präsident der Ukraine. Nach seiner Flucht 2014 auf die Krim-Halbinsel soll er nach Russland weitergereist sein. Auch er ist von der EU mit Sanktionen belegt, von der Schweiz hingegen nicht. Sein Fall gibt aber einen Hinweis darauf, warum dies so sein könnte.

Sanktionen schon vor Ukraine-Krieg

Denn Viktor Janukowitsch ist von der EU bereits seit drei Jahren mit Sanktionen belegt. Der Bundesrat scheint aber schlicht die Ergänzungen der EU seit der Invasion Russlands in die Ukraine abzuarbeiten. Da bleibt so mancher auf der Strecke, wie der russische Generalstaatsanwalt und Mitglied des Sicherheitsrats, Igor Krasnow. Er ist von der EU und den USA seit März 2021 sanktioniert.

Sind Sie mit der Sanktionspolitik der Schweiz zufrieden?

Auch die oben erwähnten Kostjukow, Popow und Solotow unterstehen schon länger EU-Sanktionen. Das Seco bestätigt auf Anfrage den Sachverhalt im Grundsatz: Einige Personen seien von der EU unter anderen Sanktionsregimen gelistet. «Der Bundesrat ist sich dieser Tatsache bewusst.» Bei Personen wie Janukowitsch sei – unter anderem Titel – das Vermögen gesperrt, doch sei dafür das EDA zuständig.

Fast schon ironisch mutet der Fall von Sergei Kirijenko an. Die EU sanktionierte ihn nach dem Giftanschlag auf Alexei Nawalny im August 2020. Von der Schweiz wurde dieser Schritt nicht nachvollzogen.

Wladimir Sergei Kirienko Ukraine
Der CEO der Social Media Platform «VKontakte», Wladimir Kirijenko (links) und sein Vater Sergei Kirijenko, stellvertretender Leiter der Präsidialverwaltung Putins. - Screenshot vk.com / IAEA Imagebank

Bei Kirijenkos nun seit Anfang März 2022 von der EU sanktionierten Sohn Wladimir dagegen schon. Schliesslich ist dessen Vater der stellvertretende Leiter der Präsidialverwaltung Putins – da muss man schon aufpassen.

Spezialfall Alina Kabajewa

Nicht immer müssen familiäre Verbindungen auch gleich Sanktionen nach sich ziehen. Während die Ukraine bei Kirijenko und Dutzenden anderen dies fordern, tut sie dies bei der wohl prominentesten Liaison nicht. Gegen Alina Kabajewa hat die Ukraine selbst zwar Sanktionen verhängt, fordert dies aber von keinem anderen Land.

Alina Kabajewa Putin Sanktionen
Alina Kabajewa ist die angebliche Geliebte von Wladimir Putin und Verwaltungsratpräsidentin der «National Medio. Group». - nmg.ru

Die Zurückhaltung geht so weit, dass auf der Regierung-Website als einzige Verbindungsperson Putin mit der Funktion «personal relationship» angegeben wird. Auf Ukrainisch steht dort viel expliziter «kokhanets»: «Liebhaber».

Eigenständig wie UK

Dass es problemlos möglich wäre, eigenständig und ohne Vorgabe durch die EU mehr Personen zu sanktionieren, zeigen Grossbritannien und Kanada. Während die Kanadier der EU um eine Person voraus sind, haben die Briten offenbar den Turbo gezündet. Statt 1105 Personen hat London schon 1236 Personen sanktioniert, darunter auch viele Ehefrauen von Politikern und Oligarchen.

So gesehen könnte sich die Schweiz ja auch am Nicht-EU-Mitglied Grossbritannien orientieren. Und zum Beispiel Alina Kabajewa sanktionieren – scheints hat sie zur Schweiz ja eine «personal relationship».

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