Schweizer Fahrende wurden Opfer von Verbrechen gegen Menschlichkeit
Die Verfolgung von Sinti und Jenischen im 20. Jahrhundert in der Schweiz ist nach Massgabe des heutigen Völkerrechts ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Verfolgung von Sinti und Jenischen war ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
- Das anerkennt der Bundesrat.
Die Verfolgung von Sinti und Jenischen im 20. Jahrhundert in der Schweiz ist nach Massgabe des heutigen Völkerrechts ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das anerkennt der Bundesrat. Rund 2000 Kinder von Fahrenden dürften ihren Familien weggenommen worden sein.
Das «Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse» von Pro Juventute nahm zwischen 1926 und 1973 rund 600 Kinder von Jenischen ihren Familien weg. Sie wurden zwangsweise in Heime gesteckt oder in Pflegefamilien untergebracht. «Unter Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipien», wie der Bundesrat am Donnerstag schrieb.
Nicht allein «Kinder der Landstrasse»
Doch es gab nicht nur die Aktion «Kinder der Landstrasse». Auch Behörden und kirchliche Hilfswerke wurden in ähnlicher Weise tätig, und fremdplatziert wurden auch minderjährige Sinti. Daher müsse von gegen 2000 Fremdplatzierungen ausgegangen werden, so der Bundesrat.
Der Staat trage nach heutigem Rechtsverständnis eine Mitverantwortung für das Unrecht, hält der Bundesrat ausserdem fest. Denn ohne die Hilfe von Behörden aller staatlicher Ebenen wäre die Verfolgung nicht möglich gewesen. Der Bund und die Stiftung «Pro Juventute» seien personell eng miteinander verflochten.
Laut einem Rechtsgutachten, das der Bundesrat an seiner Sitzung zur Kenntnis genommen hatte, sind die Taten gemäss heutigem Völkerrecht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzustufen. Ein «kultureller Genozid» hingegen, wie ihn Fahrenden-Organisationen geltend machen, liegt aus rechtlicher Sicht nicht vor.
Entschuldigung bekräftigt
2013 bat der Bundesrat die Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen um Entschuldigung, und er bekräftigte diese Bitte um Entschuldigung nun. Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider drückte am Donnerstag gegenüber Vertreterinnen und Vertretern von Sinti und Jenischen die Betroffenheit des Bundesrates persönlich aus.
Der Bund liess die Geschehnisse bereits aufarbeiten und leistete auch finanzielle Hilfe, sowohl an Opfer von Zwangsmassnahmen als auch an Organisationen von Sinti und Jenischen. Mit den Betroffenen will der Bund nun bis Ende 2025 klären, ob Bedarf besteht für eine weitere Aufarbeitung der Vergangenheit.