Spitalpersonal mit Coranavirus bangt um Status «Berufskrankheit»
Eine Ansteckung mit Coronavirus wird beim Gesundheitspersonal nur selten als Berufskrankheit anerkannt. Jetzt soll der Bundesrat klären.
Das Wichtigste in Kürze
- Steckt sich Gesundheitspersonal mit Coronavirus an, gilt dies als Berufskrankheit.
- Eine Umfrage bei Spitälern zeigt: Das wird selten so gehandhabt.
- Der Berufsverband der Pflegefachpersonen gelangt nun an den Bundesrat.
Systemrelevant und im täglichen Kontakt mit Covid-Infizierten: Das Personal von Testzentren und Intensivstationen nimmt ein Gesundheitsrisiko auf sich. «Für uns ist es ein glasklarer Fall», sagt deshalb Pierre-André Wagner, Leiter des Rechtsdienstes beim Berufsverband der diplomierten Pflegefachpersonen SBK. Eine Ansteckung mit dem Coronavirus gelte beim Gesundheitspersonal in entsprechenden Abteilungen als Berufskrankheit. Automatisch, ohne Wenn und Aber.
Geregelt ist dies im Unfallversicherungsgesetz, eine Anerkennung als Berufskrankheit wäre dann analog zum Berufsunfall. «Ich sehe nicht, wie man die rechtlichen Grundlagen anders interpretieren kann», sagt Wagner. Spitäler und Versicherer sehen das aber weitaus differenzierter als der Verbandsjurist. Eine Nicht-Anerkennung birgt insbesondere bei Spätfolgen die Gefahr von drastischen Konsequenzen: Kündigung, Verlust des Arbeitsplatzes, möglicherweise eine IV-Rente.
«Typisches Berufsrisiko»
Bei der Suva bestätigt man den Grundsatz, das Covid als Berufskrankheit anerkannt werden kann. Ausschlaggebend sei das «typische Berufsrisiko»: Dies sei zum Beispiel bei Arbeiten mit infizierten Patienten in Spitälern oder in Laboratorien der Fall. In anderen Berufsfeldern müsste dies aber zuerst nachgewiesen werden können, sagt Suva-Sprecherin Simone Isermann.
Das hiesse: Mehrfachen und längeren bewussten Kontakt mit infizierten Personen. «Dies ist zum Beispiel im Detailhandel – aber auch den Schulen – grundsätzlich nicht gegeben», so Isermann. Beim Personal von Intensivstationen oder Testzentren aber schon. Der «glasklare Fall» scheint bei den angefragten Spitälern aber etwas getrübt zu sein.
«Bisher keine Fälle» oder automatisch anerkannt
Personal mit Coronavirus: Das wird schweizweit ganz unterschiedlich gehandhabt. Im Kantonsspital St. Gallen hätten die meisten keine schweren Verläufe gehabt und seien ganz normal krankgeschrieben gewesen, sagt Mediensprecher Philipp Lutz.
«Mir sind am Kantonsspital St.Gallen bisher keine Fälle bekannt, wo eine Covid-Erkrankung als Berufskrankheit galt. In Einzelfällen wird das aber geprüft.»
Ganz anders am Universitätsspital Basel, wo bisher Covid-19-Fälle ab dem vierten Tag des Ausfalls als Berufsunfall galten. Ab März allerdings nur noch bei Berufsgruppen in Kontakt mit infizierten Patienten oder kontaminierter Umgebung, erklärt Sprecherin Caroline Johnson. Dies, obwohl man eruiert hat, dass sich die Infektionen «grossmehrheitlich ausserhalb des Spitals» ereigneten. Dank dem Schutzkonzept seien die Fallzahlen besonders tief: 24 in der Intensivstation, 21 in der Notfallaufnahme und drei im Testzentrum.
Bern und Zürich: Es ist kompliziert
Noch einmal anders gehen das Berner Inselspital und das Universitätsspital Zürich mit positiv auf Coronavirus getesteten Mitarbeitenden um. Beide verfolgen aber einen ähnlichen Ansatz. Mit der Konsequenz, dass die Anerkennung als Berufskrankheit eher die Ausnahme als die Regel ist. Eine Meldung bei der Versicherung sei nur in gut begründeten Fällen empfehlenswert, erläutert Insel-Sprecherin Petra Ming.
«Für die Anerkennung als Berufskrankheit muss eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Ansteckung (> 50%) im Rahmen der beruflichen Tätigkeit vorliegen.» Lediglich eventueller Kontakt mit positiv getesteten Patienten oder Ansteckung bei Kolleginnen im Pausenraum: Gilt nicht. Ming macht ein Beispiel eines eindeutigen, wenn auch extremen Falls. «Ein COVID-Patient in verwirrtem Zustand reisst bei einer Untersuchung den Ärzten oder Pflegenden aus Versehen den Mundschutz ab.»
Auch in Zürich ist man überzeugt: «Die meisten Mitarbeitenden des USZ haben sich im privaten Umfeld angesteckt», sagt Sprecherin Barbara Beccaro. Entsprechend werde die Anerkennung als Berufskrankheit nur in wenigen Einzelfällen gewährt. «Wenn eine Abgrenzung von Infektionsgefahr auf der Arbeit zu Infektionsgefahr im privaten Umfeld nicht eindeutig möglich ist, gehen die Versicherer von einer Infektion im privaten Umfeld aus.»
«Doppelt zynisch!»
Von «keine Fälle» über «ab dem vierten Tag» zur «Abgrenzung von Infektionsgefahr» und «überwiegende Wahrscheinlichkeit». Das Spektrum der Interpretation der gesetzlichen Vorgaben ist breit. Pierre-André Wagner vom SBK hält an seinem glasklaren Fall fest: «Alle Infektionskrankheiten gelten als Berufskrankheit für Personen, die exponiert sind. Viel klarer geht es ja fast nicht.»
Wagner verweist auf die massgebliche Liste im Anhang der Unfallversicherungs-Verordnung. «Infektionskrankheiten» sind hier explizit aufgeführt, unter den betroffenen Arbeiten steht «in Spitälern, Laboratorien, Versuchsanstalten und dergleichen». Kein Wort von Nachweisen, Fristen, Relevanzen oder Aufgaben für die Mitarbeitenden. «Es ist Aufgabe des Arbeitgebers und Teil seiner Fürsorgepflicht, alle Verdachtsfälle zu melden», betont Wagner.
Vom Personal Detektiv-Arbeit zu verlangen, sei falsch: «Nicht die Pflegefachfrau muss beweisen, dass sie sich bei der Arbeit angesteckt hat. Sondern die Unfallversicherung muss beweisen, dass die Infizierung anderswo geschehen ist.» Was schwierig werden dürfte, wenn selbst das Contact Tracing Übertragungsketten nicht lückenlos nachverfolgen kann.
Solche Verdächtigungen ärgern Wagner: «Zeitweise war das Pflegepersonal absolut ungenügend geschützt. Es hat etwas doppelt Zynisches, jetzt zu behaupten, die Betroffenen hätten sich im Tram angesteckt und sicher nicht am Arbeitsplatz!»
Bundesrat soll Klarheit schaffen
Die Suva weist darauf hin, dass die Pflichten der Versicherer sogar noch weiter gehen. Festgelegt haben das ausgerechnet die Versicherer selbst, beziehungsweise deren «Ad-hoc-Kommission Schaden UVG». Diese hält fest, dass im Einzelfall die Kosten für alle medizinisch notwendigen Abklärungen übernommen werden. Und zwar «auch wenn sich der Krankheitsverdacht in der Folge nicht bestätigt.»
Lies: Im Prinzip würde sogar der Corona-Test beim Gesundheitspersonal unter dem Titel «Berufskrankheit» bezahlt, selbst wenn dieser negativ ausfällt. Die Versicherung zahlt schon bevor ein Nachweis erbracht ist – nicht erst, wenn eine Angestellte diesen hieb- und stichfest erbringt. Um so mehr fühlt sich Pierre-André Wagner bestätigt: «Wenn man sich wehrt, hat man Aussicht auf Erfolg.»
Wagner versteht nicht, warum sich einige Spitäler derart schwer tun mit Covid als Berufskrankheit. «Die Leistungen sind besser als bei Krankenversicherung und die Finanzierung ist sozialer, weil sie über Lohnprozente läuft.» Und eben nicht über Kopfprämien, wie bei der Krankenversicherung.
Ein klarer Fall, der nun noch klarer werden soll: Die Landesregierung solle für die nötige Klarheit sorgen. «Wir haben ein Treffen mit dem Bundesrat Mitte März, da wird das ein Thema sein.»