Stimmungsmache statt Abstimmungskampf gegen den Wolf
In der Ferienzeit ruht die Politik. Doch beim Jagdgesetz und dem Wolf läuft der Kampf im Hintergrund. Statt Plakate zu kleben, dominieren subtilere Methoden.
Das Wichtigste in Kürze
- Am 27. September stimmt die Schweiz unter anderem über das Jagdgesetz ab.
- Weil ferienbedingt der Abstimmungskampf ruht, wird im Hintergrund die Stimmung angeheizt.
- Unter anderem werden politische Anfragen über vermutete Wolfsangriffe lanciert.
Keine Angst, der Abstimmungskampf kommt dann schon noch, sagen die Kampagnenleiter: Ab Mitte August wird es kurz und heftig. Keine Angst vor dem bösen Wolf heisst es bei den Gegnern des Jagdgesetzes, das dann am 27. September zur Abstimmung kommt. Und genau das wollen die Befürworter ändern: Nicht mit Parolen, sondern mit Gefühl.
Gehetzte Mutterkühe
Konkreter Anlass dazu bot sich beim rätselhaften Versterben von acht Kühen im Melchtal, Kanton Obwalden. Die Herde war in Panik geraten und in ein Tobel gestürzt. Der Wolf stand sofort als möglicher Schuldiger im Zentrum. Bislang gebe es weder Wolfs-Beobachtungen noch entsprechende Laborresultate, teilten die Kantonsbehörden mit.
Auch in der Surselva wurden panische Rinder beobachtet. Weil dort tatsächlich auch Wolfsrudel vorkommen, ist für die offiziellen Stellen der Zusammenhang klar. Gezielte Wolfsübergriffe auf Rinder habe man indes nie feststellen können, musste Regierungsrat Mario Cavigelli einräumen. Sorgen macht man sich hingegen primär um Wanderer, die von Panik-Kühen verletzt werden könnten.
Der Wolf: Möglicherweise der vermeintliche Übeltäter
Die Obwaldner Nationalrätin Monika Rüegger (SVP) griff den Steilpass sofort auf. «Jetzt reicht’s», mit vier Ausrufezeichen, und der nachgeschobene Vorbehalt, dass sie eventuell etwas voreilig gewesen sein könnte. Aber wenn es der Wolf nicht war, sei das eben einer der Ausnahmefälle, nebst vielen anderen.
Die vom Wolf gehetzten Kühe aufs politische Parkett bringt zum Beispiel auch der St. Galler SVP-Kantonsrat Mirco Gerig. Er will Stellungnahmen der Regierung zu verschiedenen Punkten, denn auch im Toggenburg zeige sich ein solches Bild. «Laut Augenscheinen und Besonderheiten handelt es sich beim vermeintlichen Übeltäter möglicherweise um einen Wolf.»
Auf Nachfrage präzisiert Gerig, er beziehe sich nicht auf den Vorfall im Kanton Obwalden. Sondern effektiv auf das Toggenburg, «Es ist mir aber auch ein Fall in Schiers bekannt.» Beides liess sich in der Schweizer Mediendatenbank nicht verifizieren: Weder im Toggenburg noch im Prättigau wurde von Wolf-Kuh-Konstellationen berichtet.
«Aufgebauschte Geschichten»
Bei der Gruppe Wolf reagiert man auf solch Hörensagen mit hörbarem Augenrollen. «Das sind aufgebauschte Geschichten im Rahmen des Abstimmungskampfs», sagt Sara Wehrli von Pro Natura. Es verhalte sich genau umgekehrt: «Fakt ist, dass in den letzten 25 Jahren Wolfspräsenz nie solche Verhaltensänderungen bei Kühen und Kälbern nachgewiesen wurden, auch nicht in den Wolfsgebieten.»
Auch Angriffe auf erwachsene Kühe seien nie belegt worden. «Dass es in Obwalden also wohl auch kein Wolf war, ist darum eher die Regel als die Ausnahme, wie dies Frau Rüegger behauptet.» Die Politikerin betreibe die bekannte Stimmungsmache gegen den «bösen Wolf».
Wahre Gefahren für Kühe und Politiker
Dass Kühe panisch reagierten komme indes tatsächlich vor, aber aus allen möglichen Gründen. «Das können Hunde, Drohnen, Gleitschirme sein – oder die neuerdings bei TikTok umgehende ‹ScareCow-Challenge›!»
Die Gruppe Wolf reagiert auf die unbewiesenen Unterstellungen mit einem ellenlangen Faktenblatt. Zwar haben die Wolfsrisse zugenommen, aber es seien weniger Risse pro Wolf. Das mag für den betroffenen Schafhalter wenig tröstlich sein. Auch nicht tröstlich, aber immerhin amüsant ist die Retourkutsche per Abstimmungskampf-Slogan: «Mutterkühe lassen sich durch Wölfe nicht nervös machen – Politiker schon.»