Stromchef Luginbühl erklärt: «Sind mit blauem Auge davongekommen!»
Elcom-Chef Werner Luginbühl hatte dringlich vor einer Strommangellage gewarnt. Trotzdem hat die Schweiz im letzten Winter mehr Strom exportiert als importiert.
Das Wichtigste in Kürze
- Entgegen der Warnung von Elcom-Chef Werner Luginbühl kam es zu keiner Strom-Mangellage.
- Trotzdem verteidigt er seinen Appell: «Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen.»
- Auch künftig müssten im Energiebereich zahlreiche Herausforderungen gemeistert werden.
Seit Jahren warnt der Präsident der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (Elcom), dass die Schweiz zu wenig Strom habe. Entgegen diesen Prognosen hat die Schweiz im vergangenen Winter aber mehr Strom exportiert als importiert. Dieses überraschende Ergebnis sei auf eine Reihe von Faktoren zurückzuführen, erklärt Werner Luginbühl im Interview mit der «NZZ».
Der milde Winter und überdurchschnittliche Niederschläge hätten den Verbrauch reduziert und die Wasserkraftwerke angetrieben. Zudem hätten die Kernkraftwerke auf Hochtouren gearbeitet. Luginbühl betont: «Nur darum sind wir mit einem blauen Auge davongekommen.»
Geringer Beitrag der Solarenergie
Trotz der positiven Bilanz im Stromhandel warnt Luginbühl vor Selbstzufriedenheit. Dass Energiewende-Enthusiasten den Überschuss auf den Zubau der Solarenergie zurückführen, hält er für übertrieben: Die Photovoltaik spiele zwar eine immer wichtigere Rolle bei der Energieerzeugung. Aber: Ihr Beitrag bleibe nach wie vor gering im Vergleich zur Kernenergie.
«Die Kernkraftwerke liefern durch den Winter rund 13 Terawattstunden (TWh) Strom», sagt er. «Der Zubau der Photovoltaik im Jahr 2023 dürfte mit einer zusätzlichen Stromproduktion im Winter von rund 0,4 TWh einhergehen.»
Obwohl Solarenergie zunehmend an Bedeutung gewinne, seien weitere Herausforderungen zu bewältigen, erklärt er im «NZZ»-Interview: Die beiden Reaktoren in Beznau könnten nämlich in wenigen Jahren vom Netz gehen. Währenddessen werde der Stromverbrauch voraussichtlich weiter steigen. Ob der Ausbau erneuerbarer Energien ausreichen werde, um diese Lücke zu schliessen, sei «unsicher».
Werner Luginbühl: «Sind mit einem blauen Auge davongekommen»
Im Sommer 2022 riet Luginbühl der Bevölkerung, wegen der drohenden Strommangellage Kerzen auf Vorrat zu kaufen. Im Interview verteidigt er diese Empfehlung: «Wir konnten damals nicht ausschliessen, dass in der Schweiz im Winter eine Mangellage eintritt», sagt er. «In einer solchen Situation ist es wichtig, dass man der Öffentlichkeit die Konsequenzen aufzeigt.»
Die befürchtete Energieknappheit trat letztendlich nicht ein – hauptsächlich dank des milden Wetters und starker Niederschläge. Der Lieferstopp von russischem Gas und die Unterhaltsarbeiten an französischen Kernkraftwerken hätten die Importmöglichkeiten im Winter durchaus tangieren können: «Eine Mangellage war unter diesen Umständen möglich.»
Reserve- und Kernkraftwerke
Trotz Kritik am Bau des fossilen Reservekraftwerks in Birr AG hält Luginbühl auch Reservekraftwerke für notwendig. Sie böten eine Versicherungslösung angesichts vieler Unsicherheiten. Der Bedarf für diese Kraftwerke sei nach wie vor vorhanden.
Schliesslich thematisiert Luginbühl die bevorstehende Abstimmung zum Referendum über das Stromgesetz. Das Gesetz sei entscheidend für den Ausbau der inländischen Stromproduktion. Eine Ablehnung würde einen Rückschlag bedeuten, erklärt er: «Lehnt das Stimmvolk das Stromgesetz ab, werden wir um Jahre zurückgeworfen.»
Luginbühl widerspricht der Ansicht einiger Politiker, dass neue Kernkraftwerke den Bedarf an einem neuen Stromgesetz eliminieren könnten. Er weist auf die langen Bauzeiten hin: «Auch wenn die Schweiz neue Kernkraftwerke beschliessen würde, blieben mittelfristig grosse Risiken hinsichtlich der Versorgungssicherheit.»