Swisscom-Notruf-Panne: Kantönligeist verschreckt Bevölkerung
Wegen einer Swisscom-Panne waren schweizweit die Notrufnummern nicht erreichbar. Die Kantone stuften das Ereignis sehr unterschiedlich ein.
Das Wichtigste in Kürze
- Die landesweite Panne beim Notruf wirft viele Fragezeichen auf.
- Die Alarmierung habe funktioniert, stellt man beim Bund fest.
- Zahlreiche Betroffene waren irritiert von kantonal sehr unterschiedlichen Angaben.
Ende gut, alles gut: Die Notrufnummern sind in der ganzen Schweiz wieder erreichbar. Nach Wartungsarbeiten an einer Plattform in einem Rechenzentrum sei ein unvorhergesehenes Fehlverhalten aufgetreten, schreibt die Swisscom am Freitagabend in einer Mitteilung.
Auch aus Sicht des Bundesamts für Bevölkerungsschutz (Babs) zieht man ein positives Fazit, sagt Mediensprecher Andreas Bucher. Die Information via Alertswiss und deren App habe hervorragend funktioniert: «Die Kantone konnten sehr schnell die Mobilnummern kommunizieren und andere Alternativen anbieten.»
Weniger glücklich sind aber diejenigen Teile der Bevölkerung, die kurz vor Mitternacht den Beginn der Panne noch mitbekamen. Ist mein Kanton schlimmer dran als andere? Bunt gescheckt wie an Abstimmungssonntagen präsentierte sich die Schweizer Karte: rote Alarme, gelbe Warnungen und blaue Informationen, je nach Kanton. Und warum schreckt mich mein Handy mit einem Sirenengeräusch auf, als wäre der nukleare Notstand ausgebrochen?
Kantone sind autonom
Das föderale Chaos liegt in der Konstruktion von Alertswiss begründet. Zwar laufen beim Bund die Fäden zusammen, aber die Meldungen machen die Kantone ganz für sich selbst. In welche Gefahrenstufe ein Ereignis rutscht, ist deshalb ganz dem Gutdünken der Leute vor Ort überlassen. So war der Ausfall von Nummer 117 und Konsorten gestern im Kanton Zürich auf Stufe «Alarm», im Nachbarkanton Aargau dagegen Stufe «Warnung».
Beim Babs vermutet man zwei Faktoren für diese unterschiedliche Beurteilung. Einerseits sei teilweise das Ausmass der Panne nicht sofort überblickbar gewesen. Andererseits sei tatsächlich die Situation von Kanton zu Kanton verschieden. In Gebieten mit Hochwassergefahr sei das Nicht-Erreichen des Notrufs je nachdem lebensbedrohlich.
Ausfall, Störung und eine «Telefonanlage»
Für Irritationen sorgte in der Bevölkerung aber auch, dass jeder Kanton seine Meldung anders formulierte. Mal war es ein «Ausfall Telefonie Notruf» mit zwei, drei oder vier Nummern, mal eine «Störung in der Notrufkommunikation». Der Kanton Luzern informierte über einen «Ausfall Telefonanlage», was eher nach defekter Hausinstallation als nach Katastrophe klingt.
Zwar gebe es seitens Babs beziehungsweise Alertswiss schon Textbausteine für solche Meldungen. Aber gerade wenn die Ursache im Moment nicht klar sei, entstünden dann auch unterschiedliche Formulierungen. Zudem, schreibt die Swisscom, sollte die Erreichbarkeit der Notrufnummern eigentlich doppelt abgesichert sein. Warum das nicht funktioniert habe, werde noch analysiert.
Bei der Notumleitung habe es «Beeinträchtigungen» gegeben. So erklärt sich wohl auch, warum nicht in allen Kantonen gleich viele Notrufnummern als unerreichbar meldeten. Einen Sonderzug fuhr ausserdem der Kanton Graubünden, der rein gar nichts zu melden hatte. Zwar waren auch dort die Notrufnummern 117, 118, 144 und 112 gestört, aber eine Pflicht zur Übermittlung an Alertswiss gibt es nicht.
Sirene: Kein Weltuntergang
Zahlreiche User der Alertswiss-App haben sich offenbar gewundert, warum ihnen mitternächtliche Sirenengeräusche zugemutet wurden. Denn als sie aus dem Fenster blickten, stand die Welt noch. Auch hier spielt der Kantönligeist mit rein. Die Alertswiss-App ist so programmiert, dass sie bei Alarmen eine Push-Meldung auslöst, die aber nicht einfach «pling» oder «dingdong» macht.
Löst ein in der App eingestellter Favoritenkanton Stufe «Alarm» aus, heult beim Smartphone die Sirene. Gleiches gilt bei aktiviertem «Meldungen an meinem Standort». Alertswiss empfiehlt, das Sirenengeräusch nicht zu deaktivieren, denn Stufe «Alarm» werde erfahrungsgemäss weniger als einmal pro Jahr und Kanton ausgelöst.
Keine Regel ohne Ausnahme: Alarm-Meldungen werden auch an die App von MeteoSchweiz weitergeleitet. Wer also vor zwei Jahren mal den Solothurner Hausberg Weissenstein in seine Wetter-App integrierte, wurde dafür jetzt belohnt. Dank Sirenengeräusch wusste man sofort, dass man jetzt keine Ambulanz rufen könnte, wenn man dort wäre. Auch das hat hervorragend funktioniert.