Ukraine-Krieg: Schweizer Hightech steuert russische Drohnen
Im Ukraine-Krieg erbeutete russische Waffensysteme zeigen: Diese sind vollgestopft mit westlicher Technik – zum Beispiel GPS-Modulen aus der Schweiz.
Das Wichtigste in Kürze
- In russischen Waffen ist massenhaft westliche Elektronik verbaut.
- Dies zeigt eine Auswertung von erbeutetem Gerät.
- Aus der Schweiz stammen Chips und Navigationsmodule für Drohnen.
Bei Weitem nicht alle Elektronik in russischen Waffensystemen ist auf dem neusten Stand der Technik. Manchmal tut es auch ein 30 Jahre alter amerikanischer Prozessor, der eigentlich für Mikrowellenöfen gedacht war. Dies zeigt eine Analyse von in der Ukraine erbeutetem Gerät durch die britische Denkfabrik «Royal United Services Institute» (Rusi).
In russischen Drohnen und Lenkwaffen fanden die Experten aber dennoch massenhaft modernste westliche Technik – auch aus der Schweiz. «Die Enthüllungen der Rusi sind schockierend, aber nicht überraschend», sagt dazu SP-Nationalrat Fabian Molina. Er sieht Handlungsbedarf bei der Definition von kontrollierten Gütern, sodass auch einzelne Komponenten miterfasst werden.
Schweiz viertgrösster Lieferant für Russen-Waffen
Russland habe schlicht das Know-how nicht, um mikroelektronische Komponenten selbst herzustellen, hält Rusi fest. Der weitaus grösste Lieferant für das schlaue Innenleben russischer Waffen ist ausgerechnet die USA. Auf Rang 4, noch vor Deutschland oder China, folgt die Schweiz.
Wenn Orlan-10-Aufklärungsdrohnen ukrainische Artilleriestellungen auskundschaften, fliegen STM32-Mikrocontroller mit. Diese werden von STMicroelectronics aus Plan-les-Ouates bei Genf hergestellt. Navigieren kann die Orlan-10 dank M8-GPS-Modulen des ETH-Spinoffs «u-blox» aus Thalwil ZH. Soll ein Ziel gar zerstört werden, kommt die Kamikazedrohne «KUB-BLA» des Kalaschnikow-Konzerns zum Zug – auch sie mit STM32-Mikrocontroller.
Auch weitere Drohnen seien mit den STM32-Chips bestückt und nähmen dort unterschiedliche Aufgaben war. 18 verschiedene Komponenten aus der Schweiz hat «Rusi» gefunden. Dabei fielen viele dieser Produkte eigentlich unter die strenge Exportkontrolle der USA. Dass eine Firma oder ein Land unrechtmässig gehandelt habe, wolle man aber damit nicht unterstellen.
Seco: «Keine Exportkontrolle für Massengüter»
Angesichts der Grösse der russischen Drohnenflotte geht «Rusi» davon aus, dass Russland «erhebliche Mengen» Schweizer Hightech aufgekauft hat. Das für die Exportkontrolle zuständige Seco bestätigt auf Anfrage, man kenne diese Problematik. Tatsächlich seien seit Anfang März 2022 die Lieferung und der Verkauf solcher Güter verboten.
Davor allerdings nicht: Chips und GPS-Empfänger seien keine sogenannten Dual-Use-Güter, also solche, die anerkanntermassen für zivile und militärische Zwecke eingesetzt werden können. Sondern: «Es handelt sich um industrielle Massengüter mit einer breiten zivilen Anwendung.»
Die meisten Komponenten von Drohnen, aber auch von Waffensystemen seien in der Regel keine Dual-Use-Güter. In der Tat besteht beispielsweise die Orlan-10-Drohne grösstenteils aus Komponenten «von der Stange». So werden für die Luftbilder Kameras aus der EOS-D-Reihe von Canon verwendet.
Erschwerend kommt hinzu, dass diese Produkte meist nicht in der Schweiz hergestellt und nicht aus der Schweiz exportiert werden. Dann wäre die Schweizer Exportkontrolle auch gar nicht zuständig, betont das Seco. Aber: «Es liegt aber in der Verantwortung des Herstellers und des Verkäufers, seine Kunden und die Endverwendungen zu kennen.»
SP-Molina: «Ersatzteillieferung an Russland verhindern»
Die angefragten Firmen STMicroelectronics und «u-blox» konnten dies bislang nicht bestätigen. Die «Rusi»-Experten rufen nichtsdestotrotz die westlichen Länder auf, wenigstens den Nachschub an Hightech für Russland zu unterbinden.
Genau hier will denn auch SP-Nationalrat Fabian Molina ansetzen. Die Definition von Dual-Use-Gütern müsse ausgedehnt und einer globalisierten Welt angepasst werden. Oft seien viele Länder an der Entwicklung von Waffen beteiligt, die aus einzelnen, komplexen Baugruppen bestünden.
Die Definition des Begriffs «Kriegsmaterial» müsse ausgedehnt werden. «Dadurch kann verhindert werden, dass wichtige Ersatzteile für Kriegsgerät weiterhin an Russland geliefert werden», so Molina.. «Der Grundsatz ist im Gegenvorschlag zur Korrektur-Initiative eigentlich glasklar: Kein Kriegsmaterial in Länder, die in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt involviert sind oder die Menschenrechte systematisch verletzen.»
Schweiz auf Schmuggelroute Russlands
Die Schweiz steht aber auch aus einem weiteren Grund im Fokus. Obwohl die meisten Komponenten in den USA hergestellt werden, würden diese grossmehrheitlich via die Schweiz, Israel, China und Malaysia geliefert.
Vor allem aus der Schweiz: Zu 90 Prozent liefere die NVS Technologies AG aus Oberriet SG, geführt vom Russen Vasily Engelsberg. Dazu sagt das Seco nur so viel: «Die in den Publikationen erwähnten Unternehmen sind dem Seco bekannt.»