Türkische Justiz verurteilt Amnesty-Vertreter zu Haftstrafen
In einem international umstrittenen Verfahren sind am Freitag in der Türkei vier Menschenrechtler verurteilt und sieben weitere, unter ihnen der Deutsche Peter Steudtner, freigesprochen worden.

Das Wichtigste in Kürze
- Deutscher Aktivist Steudtner freigesprochen.
Das Gericht in Istanbul verurteilte den Ehrenvorsitzenden der türkischen Sektion von Amnesty International, Taner Kilic, die frühere türkische Amnesty-Direktorin Idil Eser sowie zwei weitere Menschenrechtler zu Haftstrafen. «Ich bin bestürzt über die Urteile», sagte Steudtner AFP.
Kilic wurde wegen «Mitgliedschaft in einer Terrororganisation» zu sechs Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt, Eser wegen Unterstützung einer «terroristischen Organisation» zu zwei Jahren und einem Monat Haft.
Für Steudtner und den Schweden Ali Gharavi hatte die türkische Staatsanwaltschaft bereits Ende vergangenen Jahres einen Freispruch beantragt. Auf die Frage, inwiefern die Staatsbürgerschaft eine Rolle bei den Urteilen spielte, antwortete Steudtner: «Sicherlich spielte der internationale Druck eine Rolle bei den Freisprüchen gegen Ali Gharavi und mich.» Steudtner glaubt, dass der Prozess bei jüngsten Gesprächen zwischen der Bundesregierung und der Türkei «oben auf der Agenda» stand.
Der Menschenrechtsaktivist war am 5. Juli 2017 zusammen mit neun Teilnehmern eines Workshops zum Thema Kommunikationssicherheit auf der Insel Büyükada bei Istanbul festgenommen worden. Kilic war in Izmir verhaftet worden. Ihre Verfahren wurden später zusammengelegt.
Mit Blick auf die vier Verurteilungen sprach Steudtner von einem «verheerenden Justizverhalten», da alle Vorwürfe der Staatsanwaltschaft bereits im Prozess entkräftet worden seien. «Es war so, als hätten die letzten elf Verhandlungstage gar nicht stattgefunden», sagte Steudtner. «Die türkische Justiz hat eine grosse Chance verpasst, in Sachen Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte etwas zu bewegen.»
Steudtner blieb dem Prozess fern. Er will trotz seines Freispruchs von Reisen in die Türkei erst einmal absehen. Dies könne sich aber ändern, sobald sich die Menschenrechtslage dort bessere, sagte er. Angst hätte Steudtner vor dem Urteil nicht gehabt, erklärte er und fügte hinzu: «Aber ein grosses Unwohlsein, einfach weil ich mir Sorgen um meine Kollegen in der Türkei mache. Leider haben sich die Sorgen bestätigt.»
Steudtner will nach eigenen Angaben seine Arbeit als Trainer in den Bereichen «Menschenrechte, Umgang mit Stress und Trauma» und «Datensicherheit» fortführen. Zudem kündigte er an, sich für Kampagnen mit anderen Menschenrechtsorganisationen einzusetzen. «Wir werden da hoffentlich genug Druck aufbauen, damit die Urteile nicht rechtskräftig werden», sagte Steudtner.
Die Grünen-Politiker Claudia Roth und Cem Özdemir bezeichneten die Urteile in einer gemeinsamen Presseerklärung als «Niederlage für die Hoffnung auf Demokratie und Menschenrechte in der Türkei». Sie forderten mehr Engagement von Deutschland: «Statt locker über den Status von Reisebeschränkungen zu plaudern, ist die Bundesregierung aufgefordert, endlich ihr lautes Schweigen zu brechen und sich wirksam an der Seite aller demokratischen Kräfte in der Türkei zu positionieren.»
Zuvor hatte bereits der Amnesty-Generalsekretär in Deutschland, Markus N. Beeko, eine mögliche Verurteilung von Kilic und Eser als einen «Tabubruch» in der fast 60-jährigen Bestehensgeschichte von Amnesty International gesprochen.
Bei der ersten Anhörung im Oktober 2017 wurden alle Angeklagten bis auf Kilic auf freien Fuss gesetzt. Steudtner und Ali Gharavi kehrten daraufhin in ihre Heimatländer zurück, nachdem sie fast vier Monate inhaftiert waren. Kilic kam erst nach 14 Monaten frei.
Anders als bei Steudtner und Gharavi hatte die türkische Staatsanwaltschaft im November 2019 die Vorwürfe gegen Kilic und Eser aufrecht erhalten.