Darum legen Bauern heute Deutschland lahm
Das Wichtigste in Kürze
- Landesweit protestieren tausende deutsche Bauern gegen die Sparpläne der Ampel-Regierung.
- Die geplante Streichung von Steuervergünstigungen und Subventionen ist der Auslöser.
- Der Verband hat zu einer Aktionswoche aufgerufen, die am 15. in einer Grossdemo gipfelt.
Wer derzeit mit dem Auto oder den öffentlichen Verkehrsmitteln in Deutschland unterwegs ist, braucht reichlich Geduld: Seit Montag protestieren deutsche Bauern mit Blockaden an Autobahnauffahrten und Traktorkolonnen in Städten gegen die von der Regierung geplanten Sparmassnahmen.
Rund 5500 Traktore machten sich am Morgen auf den Weg nach München. In Emden im Ostfriesland ist sogar die Produktion am Volkswagen-Werk zum Erliegen gekommen. «Die Produktion steht heute», sagte eine VW-Sprecherin am Montag.
Aber weshalb gehen die deutschen überhaupt Bauern auf die Strasse? Und wie gerechtfertigt ist ihre Empörung über die Sparpläne der Ampel-Regierung?
Sparpläne bringen Fass zum Überlaufen
Seit Jahren brodelt in der Bundesrepublik der Verdruss vieler Bauern über die Agrarpolitik der Ampel-Regierung: Mit der Reform der EU-Agrarpolitik sollen die etablierten Subventionszahlungen aus Brüssel stärker an Umweltschutzauflagen geknüpft werden. Die Vorgaben zum Einsatz von Düngemitteln werden zunehmend strenger. Subventionszahlungen zum artgerechten Umbau von Ställen wiederum lassen lange auf sich warten.
Im Dezember bringen die im Fahrwasser der Haushaltskrise beschlossenen Sparpläne das sprichwörtliche Fass schliesslich zum Überlaufen: Um Milliardenlöcher im Haushalt der Ampel-Regierung zu stopfen, sollen ausgerechnet zwei für die Landwirtschaft wichtige Steuererleichterungen gestrichen werden.
Die Bauern würden gleich doppelt belastet: Durch den Wegfall von Steuerprivilegien für Fahrzeuge in der Land- und Forstwirtschaft sollen 485 Millionen gespart werden. 450 zusätzliche Millionen wollte die Ampel-Regierung durch das Ende der Steuerbegünstigung für Agrardiesel einsparen.
Ampel-Regierung knickt teilweise ein
Tausende Bauern demonstrierten gegen die geplanten Änderungen – am vergangenen Donnerstag knickt die Bundesregierung ein: Sie nimmt die Streichung der Steuervergünstigungen für Kraftfahrzeuge zurück. Zudem sollen die Preise für Agrardiesel statt auf einen Schlag nunmehr stufenweise bis 2026 erhöht werden.
Tatsächlich ist die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland jüngst stark gesunken. Wer seinen Hof nicht deutlich vergrössern konnte, musste ihn oft aufgeben – zu stark war der Wettbewerb: So sank die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe zwischen 2012 und 2022 von 288'000 auf 259'000.
Trotzdem ging es den deutschen Bauern – wenigstens aus wirtschaftlicher Sicht – auch schon schlechter: Hohe Weltmarktpreise für Agrarprodukte und stellenweise beträchtliche Preissteigerungen für Lebensmittel bescherten einen deutlichen Gewinnzuwachs von 45 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Allerdings verschlechtern sich die wirtschaftlichen Aussichten der Landwirte seit Sommer 2023 wieder schrittweise. In dieser Situation treffe der Wegfall von Subventionen die Betriebe besonders hart, wie Experte Claus Deblitz dem «Spiegel» erklärt.
Ärger über Subventionskürzungen bleibt
Auch wenn die Subventionskürzungen für die allermeisten Bauern finanziell verkraftbar wären, bleibe ein tiefer Ärger über dieselben. Dabei gehe es auch um Stilfragen und Fragen des subjektiven Gerechtigkeitsempfindens.
Die Art und Weise, wie die Kürzungen kommuniziert, begründet und umgesetzt wurden, habe viele Landwirte in Rage versetzt. Gegenüber dem Spiegel» erklärt Agrarökonom Sebastian Lakner, es sei wenig überraschend, dass eine «rein finanzpolitisch begründete Kürzung» auf grossen Widerstand stosse.
Die Kürzungspläne der Ampel-Regierung hätten die Bauern überrumpelt und lösten ein Gefühl der Ungerechtigkeit aus. Schliesslich würden andere umweltschädliche Subventionen in anderen Wirtschaftszweigen nicht angetastet.
Ferner fehle den Bauern die agrarpolitische Perspektive: Die Bundesregierung habe es versäumt, ihnen eine echte Alternative zum Agrardiesel zu bieten. Klimafreundliche Elektrotraktoren gebe es in der Landwirtschaft so gut wie gar nicht, erklärt Lakner.
Hinzu komme, dass gerade umweltbewusste Biolandwirte unter der Streichung der Dieselsubventionen besonders zu leiden hätten. Wer weniger spritzt, der müsse häufiger mit dem Traktor aufs Feld, so die Argumentation.
Aktionswoche gegen Subventionskürzungen
Bei den deutschen Bauern hält der Ärger über die geplanten Subventionsstreichungen also weiter an: Entsprechend hat der Bauernverband zu einer Aktionswoche aufgerufen, um gegen die Subventionsstreichungen zu demonstrieren. Sie soll am 15. Januar in einer Grossdemonstration in der Hauptstadt gipfeln.
Proteste auf Autobahnen - Können Sie die Wut der deutschen Bauern nachvollziehen?
Die Regierung solle die geplanten Kürzungen zurückzunehmen: «Die nehmen der Landwirtschaft die Zukunftsfähigkeit. Vor allem gefährden wir am Ende die gesicherte Versorgung mit heimischen, hochwertigen Lebensmitteln», wie Verbandspräsident Joachim Rukwied im RBB-Inforadio erklärte.
Nach einer eskalierten Protestaktion gegen Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck appellierte der Bauernverband am Wochenende wenigstens an die Vernunft seiner Anhänger: Er forderte dazu auf, Aktionen vor Wohnungen von Politikern zu unterlassen und persönliche Anfeindungen zu vermeiden.
Nicht zuletzt hat es sich die Ampel-Regierung bereits mit der nächsten Gruppe verscherzt: Um die teilweise Rücknahme der Kürzungen zu finanzieren, will sie auf Geld zurückgreifen, das eigentlich für Fischer vorgesehen war. Jetzt unterstützen auch die Kutter- und Küstenfischer den Protest der deutschen Landwirte.