EU-Parlament: Frisst die Pendelei zu viel Energie?
Jeden Monat reisen Tausende Menschen für Sitzungen des EU-Parlaments von Brüssel nach Strassburg. Aufwendig war das schon immer. Doch nun kommt ein neuer Kritikpunkt hinzu: Energieverschwendung.
Würde man Menschen in der Fussgängerzone fragen, wo das Europäische Parlament tagt, gäbe es wohl schnell Verwirrung: In Strassburg? In Brüssel? Richtig ist beides - und genau da liegt in Zeiten hoher Energiepreise aus Sicht vieler auch das Problem.
Die Debatte über den Wanderzirkus Europaparlament bekommt nun wegen der Energiekrise neues Futter.
Der Hauptsitz des Parlaments ist Strassburg. In der französischen Stadt kommen die Abgeordneten für zwölf Plenarsitzungen im Jahr zusammen. Alle anderen Sitzungen, auch die der Ausschüsse, finden in der Regel im belgischen Brüssel statt. Am dritten Standort des EU-Parlaments, in Luxemburg, sitzt die Verwaltung. Regelmässig pendelt daher ein Tross von Tausenden Mitarbeitern zwischen Brüssel und dem Elsass hin und her. Einige Parlamentarier fordern nun, dass das Parlament zumindest zeitweise nur noch einen Sitz haben soll.
«Millionen Europäerinnen und Europäer sorgen sich angesichts explodierender Energie-Preise um die nächste Gas-und Stromrechnung. Da kann es nicht sein, dass das Parlament parallel zwei riesige Büro-Komplexe beheizt und beleuchtet und mehrere Tausend Abgeordnete und Mitarbeiter nach Strassburg reisen müssen», sagt der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund. Er fordert, keine weiteren Parlamentssitzungen in Strassburg abzuhalten, bis die Energiekrise vorbei ist. «Ein Ende der Pendelei des EU-Parlaments würde viel Geld, Energie, CO2 und Zeit sparen», sagt auch der Vorsitzende der SPD-Europaabgeordneten, Jens Geier.
Kein Ende in Sicht?
Einem Parlamentssprecher zufolge wurde schon viel getan, um sparsamer zu werden. Demnach fahren nur noch die nötigsten Mitarbeiter nach Strassburg. Alles was geht, wird den Angaben zufolge remote erledigt. 2021 gab es 9000 Dienstreisen von Mitarbeitern nach Strassburg. Die Kosten für das Hin- und Hergefahre - das Parlament chartert eigene Züge - lagen 2021 bei rund 1,7 Millionen Euro. Unter Hinweis auf die Bemühungen und auf die EU-Verträge dämpfte Parlamentspräsidentin Roberta Metsola vor einigen Wochen die Erwartungen an ein Ende der Pendelei. Und so schlägt der Wanderzirkus ab diesem Montag wieder für vier Tage seine Zelte in Strassburg auf.
Das sei in Zeiten der Energiekrise eine «intellektuelle Bankrotterklärung», sagt der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner und verweist auf ein Beispiel aus der Vergangenheit: «Das Europaparlament hat während der Corona-Krise bewiesen, dass es ohne Strassburg-Reisen auch Gesetze voranbringen kann.» Während der Corona-Pandemie tagte das Parlament über ein Jahr lang nur in Brüssel.
Verschwendung oder Berufung
Eine dauerhafte Verlegung wäre allerdings gar nicht so einfach. Die Europäischen Verträge schreiben Strassburg als Sitz des Parlaments vor. Einer Änderung müssten alle Mitgliedsstaaten zustimmen - auch Frankreich. Und das ist von der Idee, das Parlament aus Strassburg abzuziehen, gar nicht begeistert. «Wenn man über Energieeinsparungen sprechen will, sollten die Tagungen in Strassburg stattfinden, das über ein weniger energieintensives Gebäude als das in Brüssel verfügt. Ausserdem ist der Strompreis in Strassburg niedriger als in Brüssel», sagt der Präsident der Europäischen Gebietskörperschaft Elsass, Frédéric Bierry.
Auch die französische Europaabgeordnete Sylvie Brunet von der Fraktion Renew Europe hält Strassburg wegen seiner Infrastruktur für den energieeffizientesten Standort. Dass das Europäische Parlament seine drei Sitze Brüssel, Strassburg und Luxemburg habe, sei ausserdem die Essenz, das Herz der EU. «An mehreren Orten zu agieren und dabei die Gegebenheiten in den verschiedenen Mitgliedstaaten zu berücksichtigen, ist die eigentliche Berufung Europas.»