Europarat sucht Ausweg aus Dauerkrise mit Russland
Das Wichtigste in Kürze
- Der Europarat möchte der Dauerkrise mit Russland ein Ende setzen.
- Sie will die Strafen gegenüber Russland lockern und künftig Sanktionen erschweren.
- Gegner werfen dem Europarat vor, er würde sich dadurch «unglaubwürdig machen».
Seit mehr als vier Jahren liegt der Europarat im Streit mit seinem grössten Mitgliedsland – Russland. In der Parlamentarischen Versammlung der paneuropäischen Länderorganisation boykottieren die russischen Abgeordneten seit Mitte 2014 die Sitzungen. Im vergangenen Jahr beschloss Moskau ausserdem, seine Beitrittszahlungen von jährlich 33 Millionen Euro auszusetzen - dies sind rund acht Prozent des Haushalts der in Strassburg ansässigen Organisation.
Grund für den Boykott sind Sanktionen, welche die Versammlung im April 2014 gegen die 18 russischen Abgeordneten verhängt hatte – nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland. Am Dienstag will die Versammlung nun einen Anlauf nehmen, um den Zwist zu beenden.
Neuregelung von Sanktionierungen
Dazu liegt den Abgeordneten ein Entwurf für Änderungen der Geschäftsordnung vor, die Sanktionen gegen einzelne Länder künftig erschweren sollen. Die neuen Regeln sollen zwar für die Abgeordneten aus allen 47 Europaratsländern gelten. Ziel der in den zuständigen Ausschüssen mühsam ausgehandelten Vorlage ist es aber vor allem, die gegen die russische Delegation verhängten Strafmassnahmen abzumildern. Den russischen Parlamentariern war das Stimmrecht entzogen worden. Ausserdem wurden sie von bestimmten Ämtern und Missionen ausgeschlossen.
Dank der geplanten Neuregelung könnten diese Sanktionen gelockert werden: So soll der Entzug des Stimmrechts bei bestimmten Beschlüssen aufgehoben werden, welche die paneuropäische Länderorganisation insgesamt betreffen. Die Ausnahme soll demnach für die Wahl eines neuen Generalsekretärs des Europarats, des Menschenrechtsbeauftragten der Organisation sowie der Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gelten. Ausserdem soll für die Verhängung von Sanktionen künftig eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig sein. Bisher genügte die einfache Mehrheit.
Russland als «Erpresser»
Gegen diese Vorschläge gibt es in der Versammlung aber Widerstand. Vor allem Abgeordnete aus der Ukraine und anderen Ländern, die einst Teil der Sowjetunion waren, lehnen Zugeständnisse an Russland strikt ab. Rückendeckung bekamen sie jüngst von mehr als hundert Politikern, Abgeordneten, Politologen und Vertretern der Zivilgesellschaft, die Russland in einem offenen Brief «Erpressung» vorwerfen.
Sollte sich Moskau damit durchsetzen, werde «der Europarat sich selbst unglaubwürdig machen», warnen die Unterzeichner, unter ihnen der litauische Ex-Regierungschef Andrius Kubilius und der ehemalige estnische Staatschef Hendrik Ilves. «Der Europarat riskiert seine Glaubwürdigkeit und seinen Einfluss in ganz Europa, wenn Russland ohne jedes Einlenken in die Versammlung zurückkehrt», betont die deutsche Grünen-Europaabgeordnete Rebecca Harms.
Das reicht Russland noch nicht
Ob es dazu überhaupt kommt, ist aber fraglich. Zwar zeichnet sich in der Versammlung eine Zustimmung zu den Vorschlägen ab. Doch bisher signalisiert Russland, dass es sich mit einer Abmilderung der Sanktionen nicht zufrieden geben wird.
Erst wenn die russischen Abgeordneten wieder voll und ganz an der Arbeit der Parlamentarier-Versammlung teilnehmen könnten, werde Moskau seinen finanziellen Verpflichtungen nachkommen, sagte die Sprecherin des russischen Aussenministeriums, Maria Sacharowa, der Nachrichtenangetur AFP. Ähnlich hatten sich zuvor führende Vertreter des russischen Parlaments geäussert. Laut Satzung droht einem Europaratsland der Ausschluss, wenn es zwei Jahre lang keine Beiträge zahlt – diese Frist läuft für Moskau im Juni kommenden Jahres aus.
Moskau könnte von selbst austreten
Diplomaten in Strassburg schliessen aber nicht aus, dass Moskau einem Ausschluss zuvorkommt, indem es die Organisation verlässt. Zumal Russland seit geraumer Zeit verärgert über die zahlreichen Verurteilungen durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) reagiert – und sich weigert, Urteile umzusetzen. Dies gilt vor allem für die vom Strassburger Gericht im Juli 2014 angeordnete Entschädigung der ehemaligen Aktionäre des zerschlagenen Ölkonzerns Yukos in Höhe von 1,9 Milliarden Euro.