Experte: Debatte um Baerbock-Handschlag in Syrien ist «befremdlich»

Nicola Aerschmann
Nicola Aerschmann

Syrien,

Der Aufschrei in der westlichen Öffentlichkeit war gross: Annalena Baerbock wird in Syrien anders begrüsst als ihr männlicher Kollege. Ein Experte relativiert.

Baerbock Syrien
Ahmed al-Scharaa reicht Frankreichs Aussenminister Jean-Noël Barrot die Hand – Annalena Baerbock kommt diese Ehre nicht zuteil. - dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Ahmed al-Scharaa reichte Annalena Baerbock bei deren Besuch in Syrien die Hand nicht.
  • Nahost-Experte Carsten Wieland hat wenig Verständnis für die Aufregung.
  • Er erinnert daran, dass Syrien im Moment andere «riesige Probleme» hat.

Im Dezember kam es in Syrien zum Machtwechsel: Der langjährige Herrscher Baschar al-Assad wurde gestürzt. Die Miliz Hayat Tahrir al-Scham (HTS) um Ahmed al-Scharaa bildet neu die Regierung des Landes.

Der Umsturz löste vielerorts Euphorie aus. Auch im Westen gab es viele Stimmen, die das Ende von Assad positiv deuteten.

Syrien könnte nun ein freieres Land werden, so die Hoffnung.

Etwas anders präsentiert sich das Bild in den letzten Tagen. Denn der Besuch von Deutschlands Aussenministerin Annalena Baerbock sorgte gleich für mehrere Kontroversen.

Einerseits verweigerte HTS-Chef Ahmed al-Scharaa der Grünen-Politikerin den Handschlag. Andererseits wurde sie auf einem auf Telegram geteilten Bild verpixelt – weil sie eine Frau ist.

Ist das ein Zeichen, dass es in Syrien doch nicht wirklich besser wird? War die Euphorie nach dem Machtwechsel verfrüht?

Experte: Syrien hat andere «riesige Probleme»

Nahost-Experte Carsten Wieland hat wenig Verständnis für die Aufregung um den Baerbock-Besuch.

Er sagt gegenüber Nau.ch: «Die Debatte um den Handschlag ist befremdlich, bei all den riesigen Problemen, die Syrien aktuell zu meistern hat.»

Sie sage «mehr über westliche Wahrnehmungsmuster aus als über die komplexe Lage in Syrien».

Er führt aus: «Die neue Regierung muss das Land einen, sichern und wiederaufbauen. Und im Westen redet man über einen Handschlag.» Laut Wieland ist der Handschlag in Syrien selbst denn auch kein grosses Thema gewesen.

Carsten Wieland
Der deutsche Nahost-Experte Carsten Wieland. - carsten-wieland.de

Dazu komme, dass die Begrüssung ohne Händedruck grundsätzlich nichts mit Islamismus oder Dschihadismus zu tun habe.

«Der nicht gegebene Handschlag ist eher ein kultureller Habitus, der in konservativen muslimischen Kreisen üblich ist.»

Und beispielsweise auch bei orthodoxen Juden oder konservativen Christen sei die Berührung zwischen Mann und Frau ein dogmatisches Problem.

Verpixelnder Telegram-Kanal ist kein offizielles Regierungsmedium

Die Verpixelung der Aussenministerin dürfe man laut Wieland ebenfalls nicht überbewerten. An sich sei diese Bildbearbeitung zwar hart zu kritisieren und werfe Fragen auf.

Doch der Experte erklärt: «Der Telegram-Kanal Almharar ist kein offizieller Regierungskanal. Offizielle Kanäle wie die Nachrichtenagentur Sana haben Baerbock nicht geblurrt.»

Baerbock Syrien
Die Männer sind vollständig sichtbar – Annalena Baerbock wird dagegen zensiert. - Telegram / ALMHARAR

Reinhard Schulze, Islamwissenschaftler der Universität Bern, sieht es ähnlich. Auf X schreibt er, der Kanal Almharar sei ein «Propagandakanal eines ultraorthodoxen Flügels der HTS». Er behaupte lediglich von sich, offiziell über Syrien zu berichten.

Er führt aus, dass beispielsweise ultraorthodoxe Juden Frauen auch unsichtbar machen würden. «Es ist eben ein Problem ultraorthodoxer Religiosität, das nicht auf den Islam beschränkt ist.»

Auch US-Amerikaner lösen Handshake-Diskussionen aus

Verweigerte Handschläge sorgten unter anderem in der US-Politik bereits für grosse Diskussionen.

Legendär ist die Szene, wo Deutschlands damalige Kanzlerin Angela Merkel US-Präsident Donald Trump zum Handshake aufforderte. Dieser ignorierte den Wunsch jedoch.

Angela Merkel Donald Trump
Eine Szene vom März 2017: Angela Merkel blickt zu Donald Trump – einen Handshake kriegt sie nicht. - keystone

Und gerade erst verweigerte der Ehemann der gewählten US-Senatorin Deb Fischer der Noch-Vizepräsidentin Kamala Harris den Handschlag.

Harris wollte seiner Frau und ihm zur Wahl gratulieren. Dies akzeptierte der Mann der Republikanerin aber nicht.

Annalena Baerbock erwartete sowieso keinen Händedruck

Baerbock selbst gab nach dem Gespräch mit Al-Scharaa an, gar nicht mit einem Handschlag gerechnet zu haben.

Sie betonte aber, dass Frauenrechte ein wichtiger Gradmesser für die Freiheit einer Gesellschaft seien.

Das habe sie dem HTS-Anführer deutlich gemacht. Zudem soll Al-Scharaa Berichten zufolge Baerbock die Hand am Ende des Treffens doch noch gereicht haben.

Syriens HTS nicht mit Taliban in Afghanistan vergleichbar

Es gebe zwar auch problematische Entwicklungen und Personalentscheidungen der neuen Regierung, räumt Carsten Wieland ein.

Aber: Insgesamt gebe es auch weiterhin positive Signale in einer extrem schwierigen und komplexen Situation. Syrien sei beispielsweise nicht mit Afghanistan vergleichbar – die HTS regierten nicht wie die Taliban.

«In Idlib, wo die HTS schon lange herrscht, haben sie zwar einen sehr konservativen Islam etabliert. Aber keine talibanistischen Verhältnisse.»

Siehst du den Machtwechsel in Syrien positiv?

Gegen islamistische Entscheidungen habe es auch Proteste der Bevölkerung gegeben, die gehört wurden. Und ganz Syrien, das Mosaik an Religionen und Ethnien, könne Al-Scharaa nicht regieren wie die sunnitische Provinz Idlib.

In Syrien gebe es vielfältige Stimmen, die sich jetzt einbringen – auch säkulare. «Die Bevölkerung will die wiedergewonnenen Freiheiten nicht wieder hergeben», sagt Wieland.

Entsprechend könne al-Scharaa nicht ohne Widerstand eine islamistische Agenda durchsetzen. Selbst, wenn Hardliner seiner eigenen Organisation das wünschten.

Kommentare

User #4571 (nicht angemeldet)

Da zeigt der Moscht, wo der Bartli hockt.

User #3909 (nicht angemeldet)

Das ist doch eine Corona Schutzmaßnahme!

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