Johnson verteidigt umstrittenen Chefberater in Affäre um Corona-Verstösse
Der britische Premierminister Boris Johnson hat seinem Top-Berater Dominic Cummings in der Affäre um mutmassliche Verstösse gegen Corona-Auflagen den Rücken gestärkt.
Das Wichtigste in Kürze
- Premierminister: Cummings verhielt sich «verantwortungsvoll und rechtmässig».
Cummings habe «verantwortungsbewusst, rechtmässig und mit Integrität gehandelt», sagte Johnson am Sonntag. Cummings sieht sich mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Erste Politiker der regierenden Konservativen rückten von dem Top-Berater ab.
Laut britischen Medienberichten hatte Cummings trotz Anzeichen einer Corona-Infektion Ende März seine Londoner Wohnung verlassen und war zu seinen Eltern ins mehr als 400 Kilometer entfernte Durham im Nordosten Englands gefahren. Später soll er noch weitere Male gegen die Ausgangssperre verstossen haben. Die mutmasslichen Verstösse stehen im krassen Gegensatz zur Politik Johnsons, der seit einer eigenen Covid19-Erkrankung vehement auf die Einhaltung der Corona-Ausgangsbeschränkungen pocht.
Laut den britischen Corona-Verhaltensregeln muss sich jeder, der Symptome einer Corona-Infektion hat, in seiner eigenen Wohnung in Quarantäne begeben. Menschen über 70 Jahren - wie Cummings Eltern - dürfen zudem keine Besucher empfangen. Trotzdem soll Cummings Medienberichten zufolge mit seiner Frau Ende März mit Anzeichen einer Infektion zu seinen Eltern gefahren sein.
Die oppositionelle Labour-Partei kritisierte, Cummings Verhalten deute darauf hin, dass dieser sich als über dem Gesetz stehend betrachte. «Die Menschen haben in dieser Pandemie und während der Ausgangssperre ausserordentliche Opfer gebracht», erklärte Labour-Chef Keir Starmer. «Es kann nicht eine Regel geben für die, die sie aufgestellt haben, und eine andere für die britische Bevölkerung.»
Ein Regierungssprecher erklärte dagegen, Cummings habe sich an die Richtlinien in der Corona-Pandemie gehalten. Er sei lediglich zu seinen Eltern gefahren, damit Familienangehörige sich um seinen kleinen Sohn kümmern könnten.
Auch Johnson betonte bei seiner Pressekonferenz am Sonntag, Cummings sei den «Instinkten eines jeden Vaters» gefolgt, indem er eine passende Betreuung für seinen Sohn gesucht habe.
Cummings selbst hatte am Samstag erklärt, er habe sich «vernünftig und entsprechend der Vorschriften» verhalten. Aussenminister Dominic Raab twitterte, «zwei besorgte Eltern mit Coronavirus» hätten «sich um ihr kleines Kind gekümmert». «Diejenigen, die das jetzt politisieren wollen, sollten mal scharf in den Spiegel schauen.»
Allerdings wurden nach diesen ersten Verteidigungsreden weitere mutmassliche Verstösse bekannt: Der «Observer» und der «Sunday Mirror» berichteten, Cummings sei im April von Durham nach London zurückgekehrt, später jedoch ein weiteres Mal in der nordenglischen Stadt gewesen. Zudem sei er am 12. April in Barnard Castle unweit von Durham gesehen worden.
Daraufhin forderten am Sonntag auch erste Abgeordnete aus Johnsons Tory-Partei Cummings' Rücktritt. Es werde enorme Energie darauf verschwendet, «jemanden zu retten, der sich damit brüstet, bei Entscheidungen seine Kompetenzen zu überschreiten und der ganz klar mindestens gegen die Richtlinien verstossen hat, die Mütter und Väter zu Hause festgehalten haben», erklärte der Abgeordnete Steve Baker. Ein weiterer Abgeordneter schloss sich Bakers Äusserungen an, indem er sie auf Twitter weiterverbreitete.
Ein nicht namentlich genannter Minister sagte dem «Daily Telegraph» mit Blick auf Cummings' Verhalten: «Er muss gehen. Das ist einfach arrogant.» Der prominente Labour-Politiker Nick Thomas-Symonds sagte der BBC, die Vorwürfe gegen Cummings seien «ausserordentlich ernst» und die Reaktionen der Regierung darauf liessen «mehr Fragen als Antworten» zurück.
Cummings ist eine äusserst umstrittene Figur in der britischen Politik. Der unorthodoxe Politikberater gilt als Architekt der Brexit-Kampagne im Jahr 2016 und als wichtigster und einflussreichster Berater von Johnson.
In der britischen Politik gab es bisher zwei Rücktritte wegen Verstössen gegen die Corona-Massnahmen: Ein einflussreicher wissenschaftlicher Berater der Regierung musste zurücktreten, weil er Besuch von seiner Geliebten hatte. Die Chefin der schottischen Gesundheitsdienste musste gehen, weil sie zweimal in ihre Ferienwohnung gefahren war.