Kommentar: Lockdown-Hammer ist einzig gangbarer Weg

Christof Vuille
Christof Vuille

Bern,

Der Bundesrat legt das Land lahm. Die wohl drastischste Massnahme der Schweizer Geschichte ist richtig. Die Schweiz wird die Krise meistern. Ein Kommentar.

Alain Berset Lockdown
Alain Berset und seine Kollegen hatten eine schwierige Entscheidung zu treffen. Im Endeffekt hat der Bundesrat richtig gehandelt. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Bundesrat hat am Montag entschieden die Schweiz fast komplett abzuriegeln.
  • Für Christof Vuille, stellvertretender Chefredaktor von Nau.ch, der richtige Schritt.

«Ich bin ja kein Virologe, aber…» Das war in den letzten Wochen einer der meistgehörten Sätze in der Schweiz. Und er ist verständlich. Denn die Corona-Krise betrifft jede und jeden einzelnen im Land.

Verständlich deshalb auch, dass die Schweizer Landesregierung unter Beobachtung stand wie noch nie zuvor. Der Druck auf die einzelnen Magistraten muss immens gewesen sein. Am Montag griff der Bundesrat dann zum Lockdown-Hammer. Endlich.

Der Entscheid zur Schliessung aller Restaurants, Bars und weiterer Freizeit-Lokalitäten ist in seiner Konsequenz noch nie dagewesen. Und doch war er leider notwendig und richtig. Noch am Freitag hatte der Bundesrat versucht, einen guteidgenössischen Kompromiss zu finden.

Christof Vuille
Christof Vuille, Stv. Chefredaktor und Politikchef von Nau.ch, kommentiert den Lockdown-Entscheid des Bundesrates. - Nau

Doch nicht nur der Föderalismus – böse Zungen sprechen von «Kantönligeist» – verunmöglichten diesen Plan. Der Grund ist simpel: Die Regeln wurden weder eingehalten noch umgesetzt. Fröhlich sassen die Leute auch am Wochenende bei Kaffee, Bier und Kuchen in Restaurants zusammen. Und verbreiteten den für Senioren tödlichen Virus munter weiter.

Coronavirus Lockdown
Menschen geniessen in Zürich den letzten Abend, an dem Restaurants geöffnet haben. - Keystone

Viele Wirte legten die Regeln in den Augen der Behörden zu grosszügig aus. Manche missachteten sie schlicht fahrlässig. Das ist kein Wunder. Wer sich nicht mit der Nachrichtenlage und den wissenschaftlichen Fakten auseinandersetzte, hatte bis dahin kaum Kontakt mit der neuen Krankheit.

Dabei geht es simpel gesagt um pure Mathematik. Der Schreibende ist weit davon entfernt, darin ein Experte zu sein. Aber: Das Wachstum der Infizierten ist ohne einschneidende Massnahmen exponentiell. Heisst: Innert Kürze hätten sich ohne den Bundesrats-Knall grosse Teile der Bevölkerung infiziert.

Auch so wird die Zahl der Fälle in den nächsten Tagen deutlich anwachsen. Denn die offiziellen Zahlen liegen den tatsächlichen Fällen gegenüber um Tage im Hintertreffen.

Finden Sie, der Bundesrat hat mit dem Lockdown-Entscheid richtig reagiert?

Aus rein wissenschaftlicher Sicht wäre deshalb eine konsequente Ausgangssperre wohl das einzig Richtige gewesen. Ein derartiger Einschnitt in die persönliche Freiheit des verwöhnten Schweizer Volks wäre allerdings kaum vermittelbar gewesen.

Auch mit dem «Lockdown light» muss sich der Bundesrat aber aktuell von vielen Seiten den Vorwurf gefallen lassen, er hätte zu zögerlich reagiert. Zumindest teilweise trifft das zu. Denn: Seit Wochen verschärft er zwar seine Massnahmen, war aber stets im Hintertreffen zu anderen Staaten und dem Kanton Tessin.

Schweiz Lockdown
An traurige Bilder geschlossener Bars und Restaurants muss sich die Bevölkerung mindestens bis zum 19. April gewöhnen. - Keystone

Selbst Laien erkannten bald, dass die aufgrund der Nähe zu Italien stark betroffene Sonnenstube in diesem Fall ein «Labor» für die Restschweiz darstellt. Spätestens am Sonntag hätte die Landesregierung die Notbremse ziehen müssen. Föderalismus hin oder her.

Dieser kam in den letzten Tagen wie nie zuvor an seine Grenzen. In einer Lage, in der es um Menschenleben geht, hätten aber auch kantonale Behörden ihren Geltungsdrang für einmal hintenanstellen müssen.

Denn im Kampf gegen eine weltweite Pandemie macht ein Flickenteppich mit 26 unterschiedlichen Regelungen auf kleinstem Raum unbestrittenermassen wenig Sinn.

Coronavirus - Schweiz
Der Schweizer Bundesrat wird sich heute im Nationalrat einigen Fragen zu den abgebrochenen EU-Verhandlungen gefallen lassen müssen. - dpa

Vor diesem Hintergrund ist die zu zögerliche Haltung des Bundesrats zwar nicht richtig, aber nachvollziehbar. Die Schweiz wird in den nächsten Wochen in allen Aspekten an ihre Grenzen kommen. Zuerst wohl im Gesundheitssystem. Relativ rasch aber auch wirtschaftlich.

Trotz mehrfacher Nachfragen konnten die Behörden gestern keine befriedigenden Antworten liefern auf die Frage, was gebeutelte Restaurant-Betreiber oder Boutiquen in dieser unmöglichen Situation tun sollen.

Seco-Chefin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch musste offen zugeben: «Ich weiss nicht, wer diese Krise vorhergesehen hat.» Fakt ist: Die wirklichen Pandemie-Experten taten es oder warnten zumindest seit Tagen davor.

Seco Coronavirus
Seco-Chefin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch konnte auf die Schnelle keine befriedigenden Antworten liefern auf die Existenzängste in der Gastronomie. - Keystone

Gerade in wirtschaftlicher Hinsicht bietet sich dem Bundesrat nun eine einmalige Chance, allfällig verlorenes Vertrauen wiederherzustellen. Die Voraussetzungen dafür sind hervorragend. Noch nie stellte sich die Schweizer Politik derart geschlossen hinter die Landesregierung. Von den Grünen über die CVP bis hin zur SVP befürworten alle relevanten Kräfte öffentlich die Massnahmen der Exekutive.

Denn egal, ob links oder rechts: Niemand will, dass Unternehmen Konkurs anmelden oder unzählige Arbeitnehmer ihre Stelle verlieren. Bestimmt auch der Bundesrat nicht. Die aktuelle Regierung mit Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga an der Spitze wird historisch an dieser Herausforderung gemessen werden.

Kommentare

Weiterlesen

Coronavirus Alain Berset
1’702 Interaktionen
Sex Toys Coronavirus.
51 Interaktionen
Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch
1 Interaktionen