Maassen und Wagenknecht: Bedrohen die neuen Parteien die AfD?
In Deutschland betreten zwei neue Parteien die politische Bühne: Können das Bündnis Sahra Wagenknecht und die Werteunion der AfD die Wählenden streitig machen?
Das Wichtigste in Kürze
- Zwei neue Parteien betreten die Politbühne in Deutschland: Ein Experte beurteilt die Lage.
- Die Werteunion könne mit scharfen Positionen bei der Migration die AfD rechts überholen.
- Das Bündnis Sahra Wagenknecht sei primär als Konkurrenz für Linke und SPD zu verstehen.
Die Abnabelung der Werteunion von der CDU und CSU ist aufgegleist: Im Februar soll die neue Partei um Hans-Georg Maassen gegründet werden. Die Werteunion versteht sich als Gruppierung konservativer Christdemokraten und argumentiert, dass die CDU zu weit nach links gerückt sei. Der deutsche Verfassungsschutz wiederum beobachtet Maassen als «Verdachtsfall» im Bereich Rechtsextremismus.
Bereits Anfang Jahres hatte Sahra Wagenknecht ihre eigene Partei gegründet – und gleich deren Vorsitz übernommen: Mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und der Werteunion betreten so zwei neue Parteien das politische Parkett der Bundesrepublik.
Kampf an der Fünf-Prozent-Hürde: Ende der Ampel-Koalition?
Politologe Claude Longchamp erklärt auf Anfrage von Nau.ch: «Die zwei neuen Anbieter könnten den Kampf an der Fünf-Prozent-Hürde für den Einzug in den Bundestag verschärfen. Das wiederum könnte die Mehrheitsverhältnisse verschieben und damit Folgen für die Regierungsbildung haben.»
Das BSW sei programmatisch in erster Linie als Konkurrenz für Linke und SPD zu verstehen – weniger für die Grünen: «Wagenknecht schadet ihrer alten Partei am meisten.» Gleichzeitig besteht die Chance, dass das BSW mit linker Sozialpolitik, Migrationsbegrenzung und Breitseiten gegen den linksliberalen Zeitgeist AfD-Protestwähler aufsammelt.
Anders sehe es bei der Werteunion aus: Sie könne vornehmlich CDU/CSU und AfD in Bredouille bringen, beschränkt aber auch die FDP. «Genau das ist das Brisante: Nicht nur die Linke, sondern auch die FDP könnten aus dem Bundestag fliegen. Das wäre das Ende der Ampel-Koalition!» Eine grosse Koalition unter CDU/CSU-Führung – «mit SPD und allenfalls den Grünen» – wäre dann die wahrscheinlichste Alternative, erklärt Longchamp.
«Dafür wäre aber eine vorgezogene Bundestagswahl nötig – rein rechnerisch wird deshalb auch eine Koalition aus CDU/CSU und AfD denkbar.» Politisch sei dies aber gerade mit Blick auf die «Brandmauer-Diskussion» in Deutschland und die dazugehörigen Massendemonstrationen kaum vorstellbar.
Eine bürgerliche «Alternative zur Alternative»?
Vertreter der Werteunion hatten bereits angekündigt, dass sie künftig mit allen politischen Wettbewerbern kooperieren wollen – auch mit der AfD: Brandmauern hätten in einer freiheitlichen Gesellschaft nichts zu suchen.
Gleichzeitig hätte die Werteunion durchaus das Potenzial, eine bürgerliche «Alternative zur Alternative» zu werden – zwischen CDU/CSU und AfD. Für solche Aussagen sei es aber noch zu früh, erklärt Politologe Longchamp: «Dafür muss die Werteunion zuerst programmatisch eine klare Form annehmen.»
Gerade auf Seite der Politiker und Politikerinnen rechnet Longchamp nur mit wenigen Überläufern zur neuen Maassen-Partei. Anders könne dies bei der Wählerschaft aussehen – aber: «Ich halte es da mit dem deutschen Kollegen Marcel Lewandowski. Dieser sagt: Das dritte Unternehmen, das fast dieselbe Sorte Vanilleeis anbietet, muss sich nicht wundern, wenn keiner seine Marke kauft.»
Scharfe Positionen in Sachen Migrations- und Asylpolitik
Wirtschaftspolitisch sei die Differenz zwischen AfD und CDU/CSU nämlich deutlich kleiner als gesellschaftspolitisch. Gerade in Fragen der Energie- und Industriepolitik ist die CDU/CSU bereits heute klar kritisch zur Regierungspolitik positioniert: Hier bleibt die Rückkehr der Atomenergie das wichtigste Programmfeld der AfD. Das schränke den Spielraum der Werteunion stark ein, erklärt Longchamp.
Falls es die Werteunion auf die AfD-Wählenden abgesehen habe, müsse sie sich folglich zum traditionalistischen Pol bewegen, erklärt der Experte: Beispielsweise mit scharfen Positionen in Sachen Asyl-, Migrations- und Familienpolitik. «Ob das wirkt, hängt wohl auch von der kommenden Kommunikation ab. Da gilt: Kurzfristig unwahrscheinlich, mit genügend Zeit eher möglich.»