USA zittern Ausgang der folgenreichen Zwischenwahlen entgegen
Mit Spannung erwarten die USA den Ausgang der Parlamentswahlen, die über das künftige Machtgefüge in Washington entscheiden. Bei den «Midterms» in der Mitte der vierjährigen Amtszeit von Präsident Joe Biden wurde am Dienstag über die Mehrheitsverhältnisse im Kongress abgestimmt. Zur Wahl standen alle 435 Sitze im Repräsentantenhaus und 35 der 100 Sitze im Senat. Entschieden wurde auch über zahlreiche Gouverneursposten und andere wichtige Ämter.
Das Wichtigste in Kürze
- Bidens Demokraten droht der Verlust ihrer Mehrheit im Kongress, was den politischen Spielraum des Präsidenten empfindlich einschränken würde.
Den Republikaner wurden nach Umfragen gute Chancen zugesprochen, die Mehrheit im Repräsentantenhaus zu übernehmen. Im derzeit knapp von den Demokraten kontrollierten Senat wurden Kopf-an-Kopf-Rennen um mehrere Sitze erwartet. Übernehmen die Republikaner die Kontrolle im Kongress, dürfte die zweite Hälfte von Bidens Amtszeit von Blockade, Reformunfähigkeit und parteipolitischen Kämpfen geprägt sein.
Biden rief die Wahlberechtigten am Dienstag auf, ihrer Stimme Gehör zu verschaffen und wählen zu gehen. Angefangen bei Bundesstaaten wie Vermont, Connecticut oder New York im Osten des Landes öffneten nach und nach die Wahllokale im ganzen Land. Die Vereinigten Staaten erstrecken sich über mehrere Zeitzonen. Die letzten Wahllokale im äussersten Westen sollten am deutschen Mittwochmorgen schliessen. Bis dahin wurden auch erste aussagekräftige Ergebnisse erwartet.
Viele Menschen hatten bereits vor dem eigentlichen Wahltag die Möglichkeit genutzt, per Briefwahl oder persönlich abzustimmen. Wegen einiger knapper Rennen könnte der Ausgang der Wahlen nach Einschätzung mancher Experten aber erst nach mehreren Tagen oder sogar Wochen feststehen. Und so stimmten auch Fernsehmoderatoren die Zuschauer auf eine Wahlwoche oder gar einen «Wahlmonat» ein. Auch Biden hatte die Bürger vor der Wahl zu Geduld aufgerufen.
Es war die erste nationale Abstimmung in den USA seit der Präsidentschaftswahl von 2020 – auf die Chaos folgte. Der damalige Amtsinhaber Donald Trump weigerte sich, seine Niederlage einzuräumen. Der fortdauernde Einfluss des Republikaners schlägt sich bei der Parlamentswahl auf verschiedenen Ebenen nieder.
Am Vorabend des Wahltags deutete Trump an, dass er kommende Woche eine neue Kandidatur für das Präsidentenamt im Wahljahr 2024 bekanntgeben könnte. Trump stellte bei einem Auftritt in Ohio für den 15. November eine «sehr grosse Mitteilung» in Aussicht. Zuvor waren bei seinem Auftritt zur Unterstützung mehrerer republikanischer Kandidaten auf Leinwänden Umfragezahlen eingeblendet worden, die ihm den grössten Zuspruch unter möglichen Bewerbern fürs Weisse Haus bescheinigten. «Vier weitere Jahre!», rief daraufhin die Menge.
Bei den diesjährigen Zwischenwahlen stand viel auf dem Spiel – für Biden, für Trump, für die USA und darüber hinaus:
Für Biden
Vom Wahlausgang hängt ab, wie unbequem die kommenden zwei Jahre für den Präsidenten werden – und ob er sich am Ende aussichtsreich für eine weitere Amtszeit bewerben kann. Erobern die Republikaner eine oder beide Kongresskammern, wird Biden ab Januar keine grösseren Gesetzesinitiativen mehr durchsetzen können. Ausserdem drohen ihm und seiner Regierung in dem Fall parlamentarische Untersuchungen bis hin zu Amtsenthebungsverfahren. Ohne Mehrheit im Senat bekäme Biden keine Personalie auf Bundesebene mehr durch, die in der Kammer bestätigt werden müssen. Das gilt auch für die bedeutende Besetzung von Bundesrichter-Posten.
Für Trump
Der Republikaner hatte bei den «Midterms» auf vielen Ebenen die Hände im Spiel. Trump unterstützte diverse Parteikollegen offensiv im Wahlkampf – darunter solche, die seine unbelegten Behauptungen von der «gestohlenen» Wahl 2020 teilen und sich nach Trumps Vorbild weigerten, vorab zuzusichern, ein Wahlergebnis auch im Fall einer Niederlage anzuerkennen. Biden warnte vor «Chaos» und sprach von einer Gefahr für die Demokratie. Trump-Getreue bewarben sich teils für Ämter, die im US-Wahlapparat besonders wichtig sind: Gouverneure oder zuvor kaum beachtete «Secretaries of State», die in die Zertifizierung von Wahlergebnissen eingebunden sind. Sollten sich viele seiner Kandidaten durchsetzen, könnte Trump den Schwung für eine neue Präsidentschaftsbewerbung nutzen.
Für die Vereinigten Staaten
Die USA sind seit der turbulenten Präsidentschaftswahl 2020 und der gewaltsamen Attacke von Trump-Anhängern auf das Kapitol nie wirklich zur Ruhe gekommen. Bidens Hoffnung, das Land nach seinem Amtsantritt wieder zu einen, zerschlug sich. Die politische Stimmung ist extrem angespannt. Kurz vor der Wahl hatte ein brutaler Angriff auf den Ehemann der Spitzen-Demokratin Nancy Pelosi die Angst vor politisch motivierter Gewalt verstärkt. Die politischen Lager stehen sich so unversöhnlich und teils feindlich gegenüber wie selten und haben auf verschiedenen Politikfeldern fundamental unterschiedliche Pläne – zum Beispiel was Migration, soziale Sicherungssysteme und das Abtreibungsrecht angeht.
International
Die «Midterms» könnten auch über die Grenzen der USA hinaus Folgen haben. Die Republikaner im Repräsentantenhaus haben etwa damit gedroht, die massiven US-Hilfen für die Ukraine auszubremsen oder gar zu blockieren, falls sie die Kongresskammer erobern. Das hätte das Potenzial, den Kriegsverlauf zugunsten Russlands zu beeinflussen. Beobachter vermuten hinter der Drohung allerdings eher den Versuch, Druck aufzubauen, um den Demokraten an anderer Stelle ein Entgegenkommen abzutrotzen. Insgesamt ist auch von Bedeutung, wie die Wahlen und die Auszählung ablaufen. Sollte es ähnliche Turbulenzen geben wie bei der Präsidentenwahl 2020, würde dies das Bild der amerikanischen Demokratie weiter ankratzen.