Berner ESC-Austragung – EVP: «Kosten-Nutzen in einem Missverhältnis»
Der Kanton Bern solle sich weder aktiv um eine ESC-Austragung bemühen noch die Städte behindern, sagt EVP-Grossrat Philippe Messerli im Interview mit Nau.ch.
Das Wichtigste in Kürze
- Ob sich der Kanton Bern für eine Austragung des ESC bewirbt, ist nach wie vor unklar.
- Im Interview mit Nau.ch erläutert Philippe Messerli die Haltung der EVP.
- Man solle sich weder aktiv um eine Durchführung bemühen noch die Berner Städte behindern.
Noch ist unklar, wo der Eurovision Song Contest im kommenden Jahr stattfinden wird. Ebenfalls unklar ist momentan, ob sich der Kanton Bern um eine Bewerbung bemühen wird. Auch im Grossen Rat ist die Bewerbung Thema – verschiedene Vorstösse wurden bereits eingereicht.
Bisher äusserten sich Mathias Müller (SVP), Manuel C. Widmer (GFL) und Sarah Hess (FDP) als Vertretende von ihrer Fraktion zur Thematik. Im vierten Teil der Interview-Reihe nimmt Philippe Messerli (EVP) Stellung.
Nau.ch: Soll sich der Kanton Bern Ihrer Meinung nach um eine Bewerbung für die Austragung des Eurovision Song Contest 2025 bemühen?
Philippe Messerli: Im Kanton Bern haben die Städte Bern und Biel ihr Interesse an einer Austragung des ESC bekundet. Die EVP ist der Ansicht, dass sich der Kanton Bern weder aktiv um eine Kandidatur bemühen noch die Initiative der Städte für eine solche Bewerbung behindern sollte.
Zu beachten gilt insbesondere, dass der Kanton Bern mit der Fussball-EM der Frauen im nächsten Jahr bereits mit einem Grossereignis beschäftigt sein wird, zu dem der Grosse Rat noch die nötigen finanziellen Mittel sprechen muss.
«Weiss überhaupt noch jemand, wo der ESC 2023 stattgefunden hat?»
Nau.ch: Welche Vorteile ergäben sich durch eine Austragung des Contests für den Kanton?
Messerli: Es ist fraglich, ob eine einmalige Veranstaltung wie der ESC für den Kanton eine nachhaltige Werbe- und Imagewirkung zu leisten vermag. Über Nemo und die Proteste gegenüber Israel spricht die ganze Welt, aber vom Austragungsort Malmö nahm kaum jemand Notiz.
Und weiss überhaupt noch jemand, wo der ESC 2023 stattgefunden hat? Regelmässig stattfindende Sportevents wie zum Beispiel die Weltcuprennen in Adelboden und am Lauberhorn dürften für den Kanton eine bessere Werbewirkung erzielen.
Nau.ch: Bei einem positiven Entscheid für Bern würden Kosten in Millionenhöhe entstehen. In welcher Relation stehen diese Kosten zu den erwarteten Vorteilen?
Messerli: Das Kosten-Nutzen-Verhältnis steht nach Ansicht der EVP sicherlich in einem Missverhältnis. Analog zu anderen Grossereignissen wie den Olympischen Spielen oder internationalen Fussballmeisterschaften stellt sich die Frage, weshalb es der öffentlichen Hand obliegen soll, solche Veranstaltungen, die private Gewinne in Millionenhöhe generieren, zu finanzieren. Der Staat hat definitiv wichtigere Aufgaben zu erledigen – umso mehr, als der Kanton finanziell nicht auf Rosen gebettet ist.
«Leider auch beim ESC mehr und mehr eine Tendenz zur politischen Vereinnahmung zu verspüren»
Nau.ch: Philippe Müller, der aktuelle Regierungspräsident, bezeichnete den Eurovision Song Contest auf X als «durch & durch korrupt» sowie «antisemitisch geprägt». Die Veranstaltung müsse daher von Bern fernbleiben. Teilen Sie diese Einschätzung?
Messerli: Wie auch bei anderen Grossereignissen ist leider auch beim ESC mehr und mehr eine Tendenz zur politischen Vereinnahmung zu verspüren. Die EVP ist befremdet über die antisemitischen Proteste gegenüber der israelischen Sängerin Eden Golan, aber auch über den offen satanistischen Beitrag der irischen Sängerin Bambie Thug.
Die Äusserungen von Regierungsrat Philippe Müller auf X erachtet die EVP jedoch als ungeschickt, allzu plakativ und letzten Endes wenig hilfreich.
Nau.ch: Der zu erwartende Personenansturm würde den Kanton vor grosse Herausforderungen stellen. Ist Bern in der Lage, diese zu meistern?
Messerli: Der Ansturm wäre vom Kanton bestimmt zu meistern, es bedürfte aber der Unterstützung der Armee und von Polizeikorps anderer Kantone. Der gesamte Aufwand hat auch ein Preisschild.
Die Frage ist also nicht primär, ob wir als Kanton den Anforderungen gewachsen sind, sondern ob wir bereit sind, die zur Bewältigung des ESC erforderlichen finanziellen Mittel aufzuwerfen.
«Eine Durchführung des Wettbewerbs allein in Biel ist aufgrund der fehlenden Infrastruktur nicht realistisch»
Nau.ch: Nemo hat nach dem Sieg am Eurovision Song Contest den Wunsch geäussert, dass der Event nächstes Jahr in Nemos Heimatstadt Biel stattfindet. Wäre, um diesem Wunsch nachzukommen, eine Zusammenarbeit zwischen den Städten Bern und Biel möglich?
Messerli: Eine Durchführung des Wettbewerbs allein in Biel ist aufgrund der fehlenden Infrastruktur nicht realistisch. Eine Kooperation der beiden Städte Bern und Biel ist jedoch im Sinne einer Hommage an Nemo zumindest eine Erwägung wert.
Nau.ch: Bis wann erwarten Sie einen Entscheid für oder gegen die Bewerbung für die Austragung des Eurovision Song Contest?
Messerli: Es wäre wichtig, dass die SRG den Entscheid zum Austragungsort so schnell wie möglich fällt. Die zur Organisation eines solchen Grossereignisses erforderlichen Vorbereitungsarbeiten erlauben keinen Aufschub und es gilt auch die Finanzierung zu klären.
Zur Person: Philippe Messerli (54) ist Mitglied des Grossen Rats von Bern und Co-Geschäftsführer der EVP Kanton Bern. Er wohnt in Nidau.