Candreia: «Man darf zentralistischen Kanton Baselland etwas schwächen»
Den Baselbieter Gemeinden geht es schlecht. SP-Landrat Linard Candreia hat Lösungsvorschläge – und plädiert für mehr Selbstbewusstsein.
Das Wichtigste in Kürze
- Linard Candreia (SP) plädiert für weniger Gemeinden und mehr Professionalisierung.
- Dennoch findet er, mehr Gemeinderäte würden dem Landrat guttun.
Herr Candreia, die Baselbieter Gemeinden schreiben in ihren Voranschlägen für 2024 zum Teil riesige Defizite. Was stimmt nicht mehr im staatspolitischen Gefüge des Kantons Baselland?
Linard Candreia: Wir sind sicher an einem Wendepunkt angelangt. Das aber schon seit längerer Zeit. Die Gemeinden, ob klein oder gross, haben strukturelle Probleme. Die Defizite werden in den nächsten Jahren nicht kleiner werden. Es gibt Ausgabenposten wie etwa Alters- und Pflegekosten, die demografiebedingt durch die Decke gehen und auf die die Gemeinden praktisch keinen Einfluss mehr haben. Das schreit nach Reformen. Primär muss sich der Kanton bewegen, weil die Gemeinden selbst mangels Spielraum gar nicht die Möglichkeit haben.
Ein weiteres Problem sind die zunehmenden Personalprobleme der Gemeinden. Nur wenige stellen sich für Ämter zur Verfügung. Gibt es zu viele Gemeinden im Baselbiet?
Wir haben 86 Gemeinden; die letzte Fusion liegt 50 Jahre zurück. Und es ist tatsächlich so, dass wir die Leute für die Gemeindeämter nicht mehr finden. In vielen Fällen gibt es stille Wahlen. Das zeugt zwar von Stabilität, aber auch von fehlender Konkurrenz, was eigentlich nicht zu einer Demokratie passt. Und was zu denken geben muss: Es ist insbesondere der aktive Teil der Bevölkerung, die berufstätigen Leute zwischen 30 und 60, die die Ämter aus Zeitgründen meiden.
Also braucht es weniger Gemeinden?
Ja schon, aber es bringt nicht viel, wenn zwei kleine Gemeinden zu einer etwas weniger kleinen Gemeinde fusionieren. Wir brauchen grössere Verbände und eine Professionalisierung der Organe und Verwaltungen.
Die Problemfelder sind klar erkannt, und dennoch passiert nichts. Jüngstes Beispiel ist das Scheitern der Fusion zwischen Arisdorf und Hersberg. Ist der Leidensdruck trotz allem noch zu klein?
Offensichtlich. Der Finanzausgleich ist für die Nehmergemeinden eine tolle Sache. Aber er wird immer unschöner für die Gebergemeinden. Wenn diese nämlich plötzlich auch strukturelle Probleme aufweisen – und darauf deutet einiges hin –, dann muss man diesen Finanzausgleich reformieren. Das wird zweifellos geschehen. Dadurch wird sich der Leidensdruck erhöhen. Und dann werden wir sehen, was passiert. In der Waadt beispielsweise hat eine radikale Reform des Finanzausgleichs eine Reihe von Gemeindefusionen ausgelöst.
Der Leidensdruck steigt also dann, wenn die Gemeinden ihre Steuerfüsse erhöhen müssen?
Das kann in der Tat so sein. Wenn die Gemeinden durch die Ausgaben für Pflege, Bildung und Sozialhilfe zunehmend unter Druck geraten und der Finanzausgleich – sowohl für die Geber-, als auch für die Nehmergemeinden – zum Problem wird, dann bleibt ihnen wohl nicht viel anderes übrig. Deshalb sehe ich vor allem den Kanton in der Pflicht.
Dieser hält sich aber stark zurück. Es gibt keine Ermutigungen zur Fusion und schon gar keinen Anschub. Seit der Landrat 2017 das Gemeinderegionen-Gesetz versenkt hat, verzichtet der Kanton auf eine aktive Rolle. Hat der zuständige Regierungsrat Anton Lauber resigniert?
Das glaube ich nicht. Ich habe sogar den Eindruck, dass die in Regierung und Verwaltung zuständigen Leute froh sind, wenn der Landrat einmal aktiv wird. Das Parlament darf in dieser Frage die Regierung nicht im Regen stehen lassen. Denn eine Reform in diesem komplexen Bereich braucht Gesetzesänderungen.
Sie haben im vergangenen Juni in einer Interpellation die Regierung nach der Möglichkeit einer Arbeitsgruppe angefragt, die die Probleme bezüglich Gemeindefusionen und Regionenbildung analysiert. Nach mehr als einem halben Jahr herrscht aber immer noch Funkstille. Aktivismus sieht anders aus.
Irgendwie ist das symptomatisch; denn letztlich tut sich die Regierung mit dem Thema eben doch schwer. Immerhin hat man mir aber signalisiert, dass die Antwort in den nächsten Wochen kommt.
Wir sprechen von einer Interpellation, nicht von einem Postulat oder gar einer Motion.
Und warum habe ich «bloss» eine Interpellation eingereicht? Bei einer Motion oder einem Postulat kommt es sofort zu einer Abstimmung. Im Falle eines Neins wäre das Thema dann gleich wieder vom Tisch. Bei einer Interpellation geht es erst einmal um eine Antwort und um eine Diskussion des Themas.
Die Interpellation ist demnach ein erster Schritt, dem allenfalls auch ein zweiter folgen könnte?
Genau. Es geht im Moment vor allem darum, den Kanton in dieser Frage endlich wieder zu spüren. Ich traue Regierungsrat Anton Lauber durchaus zu, dass er sich in der Frage der Gemeindefusionen geöffnet hat. Denn man muss klar sehen: Nur Regionen zu bilden, hilft uns nicht aus der Misere. All die vielen Zweckverbände haben zu einer Überstrukturierung geführt und sind daher Auslaufmodelle. Da findet ein grosser Ressourcenverschleiss statt.
Also Konzentration auf die Gemeinden statt auf die Regionen?
Ja, denn die Gemeindebehörden müssen ja trotzdem besetzt werden. Am Ende wollen wir ja die Gemeinden stärken. Das aber erreicht man sicher nicht mit einer Fülle von regionalen Zweckverbänden. Starke Gemeinden müssen auch im Interesse des Kantons sein. Dafür braucht es aber grössere Einheiten.
Wären grössere Einheiten gegenüber dem zentralistischen Kanton dann auch selbstbewusster?
Davon bin ich überzeugt. Würde sich das Laufental beispielsweise zu einer einzigen Gemeinde zusammenschliessen, dann wäre diese wahrscheinlich die grösste im Kanton und könnte in Liestal ganz anders auftreten. Das würde auch für andere Regionen gelten, etwa für das Ergolztal. Dann hätten wir auch vermehrt Gemeindevertreter im Landrat. Ich bin nämlich nicht sicher, ob die heutigen Landräte bei ihren Entscheiden immer auch an die Gemeinden denken.
Das würde eindeutig auf eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse auf Kosten des Kantons hinauslaufen.
Man darf diesen zentralistischen Kanton durchaus ein bisschen schwächen. Die Gemeinden sind eine Art Wirbelsäule. Und eine starke Wirbelsäule ist nie schlecht.
Im Vergleich zu anderen Kantonen ist aber der Begriff Fusion im Baselbiet belastet. Wie soll man diesen Zustand überwinden?
Dann müssen wir eben eher von Gemeindezusammenlegungen reden. Gemeindefusion wurde in der Vergangenheit kaum thematisiert. Aber inzwischen kommen wir nicht mehr darum herum. Im Übrigen meine ich, dass die Zeit der Tabus in diesem Bereich langsam zu Ende geht.
Ist auf Gemeindeebene also doch ein Prozess im Gange?
Zweifellos. Und es ist an der Zeit, dass die kantonale Politik den Faden aufnimmt und die bisherige Zurückhaltung aufgibt. Es braucht Gesetzesrevisionen, um Anreize zu schaffen und um finanzielle Mittel für Fusionen zur Verfügung stellen zu können.
Und wann kommt Ihr nächster parlamentarischer Vorstoss?
Jetzt wollen wir erst einmal sehen, was mit der Interpellation geschieht. Zudem hat die Mitte bereits einen Vorstoss eingereicht, der einen Schritt weitergeht und eine Unterstützung von fusionswilligen Gemeinden vorsieht.
Hinweis: Dieses Interview ist zuerst auf dem Basler Medienportal Onlinereports erschienen.