1980er Olympia-Helden: Mit der «Völkerfreundschaft» auf See
Die bundesdeutschen Fussballerinnen bekamen 1989 für ihren EM-Titel ein 41-teiliges Kaffeeservice - weil sie noch Amateurstatus hatten und kein Geld annehmen durften. Die DDR wusste schon früher, wie man verdienstvolle Amateure ehrt: mit einer Luxuskreuzfahrt.
Das Wichtigste in Kürze
- Eine übermütige «Republikflucht» mit einem Sprung über Bord, Volleyball an der Angelsehne und Pool-Party ohne Ende - die DDR-Olympiasieger liessen es 1980 bei der Auszeichnungsreise auf der MS «Völkerfreundschaft» im Mittelmeer so richtig krachen.
Während die Olympioniken aus dem Osten als Dank und Anerkennung 1976 nach Kuba schipperten, ging es vier Jahre später nach den 126 Medaillen von Moskau für dreieinhalb Wochen von Warnemünde über den Atlantik durchs Mittelmeer bis ins Schwarze Meer.
«Es war für uns und unsere Ehepartner ein Riesenerlebnis, das Schiff war für damalige Verhältnisse wie eine schwimmende Stadt», erinnert sich Ruderer Jens Doberschütz, der in Moskau Gold im Achter holte.
Während die Reisen für den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) für gewöhnlich bis nach Sotschi oder eben für mindestens 3500 Ostmark nach Kuba führten, ging es für die DDR-Sportler von der Ostsee in Richtung Atlantik. «Wir hatten anfangs enorm hohe Wellen, daher waren alle seekrank, der volle Kinosaal war plötzlich halbleer, weil alle an der Reling standen und mit ihrer Seekrankheit zu tun hatten», sagte Doberschütz.
Da half auch das bei allen beliebte Bordgetränk Gin Tonic nicht. «Wir haben gleich nach dem Frühstück mit den ersten Drinks begonnen, daher war schon am dritten Hafen der Gin alle und musste neu eingekauft werden», meinte der Ruderer. Doberschütz war mit dem Achter und vor allen den Handballern, die ebenfalls Gold gewannen, beim Feiern federführend. «Wir hatten schätzungsweise eine Badewanne Gin Tonic ausgetrunken», meinte Torhüter-Idol Wieland Schmidt.
Mit dem musikalischen Berlin-Sextett und Kult-Moderatorin Helga Hahnemann war Spass programmiert. «Eingeprägt bleibt eine Geschichte: Wenn ich leicht beschwipst war, machte ich immer einige Spielchen. So nahm ich im Spagat sitzend nach vorne mit dem Mund eine Streichholzschachtel auf», erzählte Schmidt und fügte an: «Die unvergessene Helga meinte, das ist doch gar nichts. Aus dem Kalten sprang sie in den Spagat, riss sich die Hose auf und erntete neben den Lachern allerhöchsten Respekt von den Sportlern für ihre starke Performance.»
Über Madeira ging es ins spanische Malaga, dann führte die Route über Neapel vorbei an Capri bis nach Malta und Venedig. «Es war traumhaft, alle Pärchen bekamen eine eigene Gondel, damit war Venedig damals klar in ostdeutscher Hand», betonte Doberschütz. Dann ging es weiter nach Dubrovnik und bis zur Endstation nach Warna ins Schwarze Meer. Während die normalen Gäste sonst der Überwachung von der Staatssicherheit ausgesetzt waren, konnten die Diplomaten im Trainingsanzug ihre Reise ungezwungen geniessen. Laut Doberschütz waren «auch die Landgänge total locker, wir bekamen ja sogar Taschengeld».
Brenzlig wurde es nur einmal: Wasserspringer Falk Hoffmann, der in Moskau bei seinen dritten Sommerspielen Gold vom Turm gewann, wagte inmitten einer Seenotrettungsübung der Crew zur Überraschung aller einen Sprung von der Reling über Bord. «Während wir Sportler mit tosendem Applaus reagierten, musste der Turmspringer beim Kapitän antanzen», erinnerte sich Doberschütz. Die Luft brannte. Da man sich in internationalen Gewässern befand, stand bei Hoffmann plötzlich versuchte Republikflucht im Raum.
Der Kapitän hatte für solche Spässe kein Verständnis. Seit dem Mauerbau 1961 hatten insgesamt 220 Menschen mit einem Sprung ins Wasser von der MS «Völkerfreundschaft» ihre Flucht aus der DDR gewagt. Gerade in Meerengen wie bei der Durchfahrt am Bosporus nutzten viele ihre Chance.
Auf dem Schiff lag ohnehin ein Fluch, was die Sportler damals nicht wussten. Das unter schwedischer Flagge als «Stockholm» fahrende Schiff kollidierte 1956 im Nebel vor der US-Küste mit einem doppelt so grossen italienischen Liner - es gab 51 Tote - und wurde später zu einem sozialistischen Traumschiff umgebaut. Am 24. Februar 1960 stach die von der DDR gekaufte und vom AIDA-Vorgänger Deutsche Seereederei Rostock (DSR) bereederte MS «Völkerfreundschaft» dann umgebaut in See.
Es sollte an nichts fehlen, immerhin spielte man auch Devisen mit westdeutschen Reiseanbietern ein. Es gab für rund 500 Passagiere ein Aussen- und ein Innenschwimmbad, ein Terrassen-Café mit grosser Tanzfläche, einen Kinosaal für die neuesten Filme aus der DEFA-Produktion. Und auf dem Oberdeck konnte sogar Volleyball gespielt werden, auch wenn der Ball «sehr gewöhnungsbedürftig an einer Sehne befestigt war, damit er nicht über Bord geht», erinnerte sich der 1,96 Meter grosse Doberschütz.
Seit 2016 fährt der Kreuzer unter dem Namen «Astoria» unter britischer Flagge - es ist das dienstälteste Transatlantikschiff der Welt. 2017 drehte sogar Heidi Klum eine Sendung von «Germany's Next Topmodel» an Bord.