Löw sieht keine dunklen Wolken - Ginter: «Jetzt-erst-recht»
Joachim Löw verordnet vor dem Schlüsselspiel gegen Portugal Gruppen-Spass. Noch liegt alles in eigener Hand, betonen auch die Spieler. Das Drehen an «kleinen Stellschrauben» soll reichen.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Bundestrainer ist weiter auf höchster Betriebstemperatur, sein Team demonstriert lautstark ein «Jetzt-erst-recht-Gefühl».
Joachim Löw suchte im aufgeheizten Adi-Dassler-Stadion kurz ein schattiges Plätzchen, kühlte mit Eiswürfeln Arme und Beine, bevor er Mats Hummels und Kollegen bei über 30 Grad zu einer betont lockeren, aber dennoch schweisstreibenden Übungseinheit bat. «Ja, es ist warm. Keine Wolke am Himmel», sagte der 61-Jährige zu den äusseren Bedingungen im Basiscamp in Herzogenaurach, die Hoch «Zoe» in diesen EM-Tagen beschert.
«Voll auf Sieg spielen»
Nach dem 0:1 gegen den starken Weltmeister Frankreich hat Löw nicht viel Zeit, um die richtigen Weichen für das zweite Gruppenspiel gegen Portugal mit Superstar Cristiano Ronaldo zu stellen. «Da kann man schon noch das eine oder andere angehen», hatte Löw selbstbewusst angekündigt. Dunkle Wolken am EM-Himmel oder gar Grund für Hektik sieht er noch lange nicht. Seine Spieler wollen unter allen Umständen die positive Stimmung, die positive Energie «weiter aufrechthalten, auch wenn wir jetzt verloren haben», sagte Matthias Ginter und verkündete das Motto: «Voll auf Sieg spielen am Samstag.»
Dass Löw seine in kurzer Zeit mit viel Aufwand zusammengebaute EM-Elf einschliesslich des Spielsystems schon für das zweite Turnierspiel gegen Portugal infrage stellt, ist nicht zu erwarten. «Das Trainerteam macht sich immer wahnsinnig viele Gedanken, welche Spieler und welches System am besten passen», sagte der Gladbacher Abwehrspieler Ginter vor dem Duell am Samstag (18.00 Uhr/ARD und MagentaTV) mit Superstar Cristiano Ronaldo.
Während Millionen Fans quasi als Bundestrainer diskutieren, ob die Offensivbesetzung mit Kai Havertz vom FC Chelsea sowie den Bayern-Profis Thomas Müller und Serge Gnabry die geeignete ist, ob Vierer- oder Dreierkette besser passen oder ob Joshua Kimmich nicht besser wieder in der Mittelfeldzentrale statt auf Rechtsaussen spielen sollte, bleibt Löw ganz bei sich. Auf eine grössere Personal-Rotation oder einen Systemwechsel deutet nichts hin.
Zwangspause für Klostermann
Zumal sich Lukas Klostermann als Alternative für die rechte Aussenbahn im Training erneut verletzt hat. Die Muskelblessur im rechten Oberschenkel zwingt den Leipziger erstmal zu einer Pause. Der Gladbacher Jonas Hofmann (Knieverletzung), auch eine Option für die rechte Aussenbahn, kann noch nicht wieder voll mit dem Team trainieren. Er stand aber zumindest wieder auf dem Platz.
Angreifer Serge Gnabry fehlte beim Hitzetraining ganz. Der DFB sprach von einer «Belastungssteuerung» beim Münchner. Für die Partie gegen Portugal besteht offensichtlich keine Gefahr.
Der ergebnismässig misslungene und bittere EM-Start wirkte im «Home Ground», der unter schattenspendenden Bäumen liegt, zwar noch eine längere Zeit nach. «Wir waren alle sehr enttäuscht», sagte Ginter. Aber inzwischen habe sich «ein Jetzt-erst-recht-Gefühl» entwickelt, «nach vorne zu schauen, uns voll auf Portugal zu konzentrieren, uns voll da einzulassen, dass wir noch alles geradebiegen können».
DFB-Team will auf Frankreich-Spiel aufbauen
Auch Defensivkollege Emre Can hob die eigenen Stärken hervor und zeigte sich optimistisch. «Weil wir eine geile Mannschaft haben», lautete seine Begründung, warum das Spiel gegen Portugal gewonnen werde. Löw und seine Spieler ordneten die Partie gegen Frankreich durchaus als kleinen Schritt nach vorne und nicht als Rückschlag ein. «Es gab viele Dinge, auf die wir aufbauen können. Aber auch viele Dinge, die wir definitiv noch verbessern müssen», sagte Ilkay Gündogan. Man müsse lediglich «an kleinen Stellschrauben drehen», sagte Ginter.
Erst einmal verordnete Löw auf dem Übungsplatz teambildende Massnahmen. Beim Aufwärmen wurde rhythmisch geklatscht. In drei Gruppen mussten die Spieler anschliessend versuchen, eine eigene Strategie zu entwickeln, um bei einem kollektiven Passspiel so viele Bälle wie möglich in einer grünen Tonne zu versenken. Das Team von Thomas Müller schaffte die maximale Anzahl von fünf Bällen.
Diese Treffsicherheit braucht das Löw-Team nun unbedingt auch im zweiten Spiel in der Münchner Arena, in die in Pandemiezeiten wieder maximal 14.500 Fans dürfen. «Wir müssen unsere Aktionen besser ausspielen, damit sie zu Chancen werden», bemerkte Toni Kroos. Dafür seien nicht nur die Angreifer verantwortlich, ergänzte Verteidiger Ginter: «Wir sind alle gefordert, uns offensiv zu beteiligen.»
Kimmich fordert mehr Risiko
Es geht um Abläufe, Raumaufteilung, Laufwege und auch um Mut. «Die Innenverteidiger müssen andribbeln, die Aussenspieler müssen offensiv das Eins-zu-eins suchen», erläuterte der Dortmunder Can. Kimmich sieht «ein Stück mehr Risiko» als Verbesserungsrezept.
Leroy Sané wäre als Sturmalternative für die erste Elf ein Spielertyp, der dieses Risiko eingeht. Sein Bayern-Kollege Leon Goretzka ist nach langer Verletzungspause zumindest wieder eine Joker-Möglichkeit. «Wir wollen Deutschland endlich wieder stolz machen», verkündete Kimmich. Dazu müssen gegen die Portugiesen auf jeden Fall Tore her, damit vor dem letzten Gruppenspiel am kommenden Mittwoch gegen Ungarn nicht ein noch grösseres Zittern einsetzt.