Löw geht seinen Weg - DFB schleppt Probleme ins neue Jahr
Weiter geht's. Joachim Löw hat seinen Standpunkt klar gemacht und verfolgt unbeirrt seinen Kurs. Die WM-Qualifikationsauslosung spielt ihm in die Karten. Seinen Arbeitgeber rügt der Bundestrainer mit deutlichen Worten.
Das Wichtigste in Kürze
- Die «rote Linie» von Joachim Löw führte zunächst in einen schmucklosen Konferenzraum.
Da sass der Bundestrainer im weinroten Rolli nach seiner energischen Rechtfertigungsrede, die auf geteiltes Echo stiess, und verfolgte die Auslosung der Qualifikationsgruppen zur WM 2022 gemeinsam mit DFB-Präsident Fritz Keller. Die Differenzen zwischen beiden seien ausgeräumt, hatte Löw zuvor versichert - und sich dennoch «masslos enttäuscht» von Teilen der Verbandsspitze gezeigt.
So schleppt der Deutsche Fussball-Bund zwei Spannungsfelder in das enorm wichtige EM-Jahr 2021. Der Verband ist von Intrigen im inneren Kreis zerrissen, steckt in einer Glaubwürdigkeitskrise. Und Löw muss davon losgelöst die derzeit schwer begrenzte Begeisterung für die Nationalmannschaft neu entfachen. In der WM-Qualifikation, die am 25. März mit der Partie gegen Island beginnt, sind ausserdem Rumänien, Nordmazedonien, Armenien und Liechtenstein die Gegner. Kein Gradmesser für die DFB-Auswahl und Chance für Löw, seinen viel kritisierten Umbruch geräuschlos fortzusetzen.
«Wir sind absolut überzeugt von unserem Weg», hatte der kämpferische Bundestrainer gesagt. Es war ein durchaus bemerkenswerter Auftritt. «Der Löwe in Löw», schrieb die «Frankfurter Rundschau». Der Boulevard war weniger angetan. Davon unabhängig dürften Löw und die DFB-Spitze wissen, dass eine gute Pressekonferenz nicht reichen wird, um den grossen Teil der Fans zurückzugewinnen, der den hadernden, zögerlichen Bundestrainer nach dem 0:6 in Spanien noch im Kopf hat.
Einer aktuellen, repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur zufolge hält nicht einmal ein Drittel den 60-Jährigen noch für den richtigen Bundestrainer. 40 Prozent der 2045 Befragten sind der Meinung, Löw soll die DFB-Auswahl nicht mehr zur EM 2021 führen, 32 Prozent machten keine Angaben.
Löw machte deutlich, sich der Situation bewusst zu sein. Aufgeben sei aber keine Option. «Man lernt, dass Ziele nicht immer erreicht werden», sagte er. «Aber ich habe die Motivation. Und ich habe sie nie verloren. Niederlagen lassen meine Motivation nicht einfach verschwinden», betonte der Weltmeister-Trainer von 2014. Philipp Lahm, in Brasilien Kapitän der DFB-Auswahl, sagte in Leipzig, er vertraue darauf, «dass es Joachim Löw und sein Stab auch diesmal hinbekommen und die Wochen vor der EM nutzen, um alles auf die Reihe zu bekommen».
Löw hatte betont, das Vertrauen in die Spieler sei «absolut vorhanden». Eine Rückkehr der Ex-Weltmeister Thomas Müller, Mats Hummels und Jérôme Boateng bleibt deshalb nur die Notlösung vor der EM, sollten sich dann massive personelle Probleme ergeben. «Im Moment sehe ich keine Veranlassung, aber ich bin der Allererste, der im Sinne des Erfolgs und der deutschen Nationalmannschaft alles Erdenkliche tut, was möglich ist», sagte Löw und ergänzte, nicht nur nach sportlichen, sondern auch mannschaftsdienlichen Kriterien zu entscheiden.
DFB-Kapitän Manuel Neuer, bei den Bayern Müllers und Boatengs Teamkollege, kommentierte das diplomatisch: «Ich glaube, dass Jogi Löw die Tür ja nicht komplett zugemacht hat. Er hat sich gestellt, alle Fragen beantwortet. Man wird sehen, was passiert», sagte Neuer in München. «Die Verantwortlichen werden das zu gegebener Zeit entscheiden.»
Löws Kurs ist nicht neu. Die neuen Hoffnungsträger wie Serge Gnabry, Leon Goretzka oder Leroy Sané brauchten Raum zur Entfaltung, sagte Löw und erinnerte an die WM 2010 mit der damals neue Generation um Mesut Özil, Sami Khedira sowie eben Boateng und Müller, die sich in Südafrika die nötige Turnierhärte für den Titelgewinn 2014 in Brasilien holte.
Für das grosse EM-Ziel fordert der Langzeit-Coach unbedingten Rückhalt des Arbeitgebers. Die Skepsis, ob er noch der Richtige sei, und die nicht abgestimmte Pressemitteilung in Folge der schwarzen Nacht von Sevilla, die ihn als Zweifler darstellte, haben ihn tief getroffen. Genauso wie die Medienberichte mit nach aussen getragenen Interna aus seinen Gesprächen mit der DFB-Führung in der vergangenen Woche. Die Mannschaft belaste so ein Störfeuer nicht, sagte Löw. Ihn aber umso mehr.
«Da weiss man, da herrscht Explosionsgefahr bei mir, wenn da Dinge nach aussen gehen, die nicht nach aussen gehören», sagte Löw. «Ich habe nochmal ganz klar geäussert, dass ich mir Geschlossenheit und Vertrauen wünsche.» Keller teilte am gleichen Abend mit, er habe einen Appell «an alle» gerichtet, «dass wir zusammenrücken müssen, dass wir hart miteinander diskutieren müssen». Der DFB habe «ein paar schlimme Wochen» hinter sich.
Löw schaut nach vorne. Er will die Zeit bis zu den ersten Qualifikationsspielen im März nutzen, um nochmals intensiv die Details aus dem aus seiner Sicht coronabedingten Stillstandsjahr 2020 aufzuarbeiten und seine EM-Kandidaten genau zu beobachten. Allerdings nicht im Stadion, was Löw mit den Gefahren und Massgaben der Pandemie begründete. In den Ausscheidungsspielen zur Katar-WM 2022 «gehen wir als grosser Favorit ins Rennen», sagte Löw. Vorrangig bleibt aber ganz klar die EM 2021.