Was Hirschers Abschied für den Skisport bedeutet
Das Wichtigste in Kürze
- Der Rücktritt von Marcel Hirscher ist für alle eine Zäsur.
Viel mehr noch als die Abschiede von Aksel Lund Svindal oder Felix Neureuther, die gemeinsam mit dem 30 Jahre alten Österreicher das vergangene Jahrzehnt im alpinen Ski-Weltcup geprägt haben.
Die beiden Sympathieträger Svindal und Neureuther waren für die Branche wichtige Persönlichkeiten, die Ausnahmesportler hinterlassen eine grosse Lücke. Die Definition von Erfolg, die Messlatte, an der sich alle Konkurrenten orientiert haben, die aber war Hirscher allein. Er war schliesslich der beste Skirennfahrer der Welt.
«Ich glaube, ich bin einer der wenigen Menschen, wo die Realität grösser geworden ist als die Träume. Das ist schon aussergewöhnlich», sagte Hirscher bei seiner Abschiedspressekonferenz am Mittwochabend. WM, Olympia, Weltcup - Hirscher hat alles (mehrfach) gewonnen. Die 20 Glaskugeln seiner Karriere bildeten die Dekoration in Salzburg, als er im weissen T-Shirt ohne jedes Sponsorenlogo und wie meistens ohne grosse Gefühlsregungen von seinem Entschluss erzählte. Leicht gefallen sei es ihm nicht, über Monate zog sich der Prozess. «Das ist kein Berufs-, kein Jobwechsel. Das ist ein Leben, das man von heute auf morgen beendet.»
Ein Sieg im Slalom - in den vergangenen Jahren zunehmend auch im Riesenslalom - war für andere dann ein grosser Sieg, wenn Hirscher am Start stand. Auch deshalb waren Journalisten der «New York Times» und von CNN aus den USA ebenso zu der rappelvollen Veranstaltung gekommen wie solche aus Italien, Deutschland, Norwegen oder den Niederlanden.
Kandidaten für den Gesamtsieg im kommenden Winter gibt es viele, der Franzose Alexis Pinturault und der Norweger Henrik Kristoffersen zählen dazu. «Du hat viel für unseren Sport gemacht. Dank dir wurde ich ein viel besserer Athlet», sagte Pinturault. Auch Speedfahrer wie Dominik Paris haben Chancen. Eine so dominante Rolle wie Hirscher sie in den vergangenen Jahren inne hatte, wird aber wohl niemand mehr spielen können. Erstmals seit fast einem Jahrzehnt ist der Gesamtweltcup bei den Herren wieder völlig offen.
Die Kombination aus seinen körperlichen Fähigkeiten, seinem Trainingsfleiss, seiner Suche nach Verbesserungsmöglichkeiten beim Material, die er selbst als «fanatisch» bezeichnete, und seiner Disziplin: Das war einzigartig. «Für mich war immer klar: 150 Prozent oder gar nicht. Da bin ich jetzt mit dieser Entscheidung», sagte Hirscher. Auch kleinste Kleinigkeiten bedachten der Ausnahmeathlet und sein Team mit Vater Ferdinand an der Spitze. Wenn nötig eigene Matratzen, eigenes Kissen, eigenes Müsli - nichts verabscheute er so sehr wie schlechte Vorbereitung und fehlende Professionalität.
Wegen all dem war Hirscher der Beste der Welt. Für viele war er noch vor dem in den 70er und 80er Jahren aktiven Weltcup-Rekordsieger Ingemar Stenmark aus Schweden auch der beste Skirennfahrer der Geschichte. Kristoffersen meinte: «Ich kann mich nicht zwischen Stenmark und dir entscheiden. Aber da ich gegen dich gefahren bin, sollte ich dich vielleicht höher reihen. Denn dann kann ich sagen, dass ich gegen den besten Skifahrer aller Zeiten gefahren bin.»
Seit Ivica Kostelics Sieg in der Saison 2011 hat Hirscher acht Mal in Serie den Gesamtweltcup gewonnen, ein allein schon rechnerisch auf Jahre nicht erreichbarer Rekord. Seit jenem ersten Gesamtsieg 2012 stand er jeden Winter nach mindestens 60 Prozent seiner Rennen auf dem Podest und gewann 35,2 Prozent der Wettkämpfe im Weltcup.
«Acht in Folge im Herrenbereich: Das wird viele, viele Jahre dauern. Das wird nicht mehr passieren glaube ich», sagte Neureuther der Deutschen Presse-Agentur nach dem Rücktritt Hirschers. «Bei den Damen wird das (Mikaela) Shiffrin schaffen, wenn nichts dazwischen kommt. Aber bei den Herren? Kann ich mir nicht vorstellen.»
Als TV-Experte der ARD wird Neureuther die Folgen von Hirschers Abschied aus der Nähe erleben und bewerten. «Wenn in dieser Saison jemand gewinnt, wird mir das schwer fallen, das zu akzeptieren - weil Marcel nicht am Start stand», meinte Neureuther nur halb im Scherz. «Jetzt müssen sich neue Charaktere bilden, die die Öffentlichkeit an den Fernsehbildschirmen fesseln. Das muss dringend passieren. Das muss in erster Linie durch Leistung passieren», forderte Neureuther.