Debatte um Schiedsrichterinnen - «Kompetenz ist das A und O»
Nicht zum ersten Mal stehen die Leistungen der Schiedsrichterinnen bei einem grossen Frauenfussball-Turnier in der Kritik. Bei der WM in Frankreich sorgt das für die meisten weiblichen Referees ungewohnte Zusammenspiel mit den Video-Schiedsrichtern zusätzlich für Unmut.
Das Wichtigste in Kürze
- Eine Patentlösung in der Debatte um den Videobeweis und die Leistungen der Schiedsrichterinnen bei der Frauen-WM hat auch Silvia Neid nicht.
Aber eine klare Meinung: «Die Schiedsrichterinnen müssen besser geschult werden für das Niveau, auf dem sie pfeifen.»
«Der Frauenfussball hat sich rasant entwickelt, ist auf einem neuen Level angekommen. Alles ist viel schneller geworden. Leider entwickeln sich nicht alle Schiedsrichterinnen so schnell wie die Spielerinnen», kritisierte die ehemalige Bundestrainerin im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Ob jemand ein Spiel gut leitet oder nicht, ist für Neid aber keine Frage des Geschlechts, sondern: «Kompetenz ist das A und O!»
Nicht nur im Achtelfinale zwischen England und Kamerun (3:0) am Sonntag zeigte sich, dass die durchgehend weiblichen Referees zum Teil überfordert sind. Der unsicheren chinesischen Schiedsrichterin Lian Qin drohte die Partie völlig zu entgleiten, als die Afrikanerinnen sich erbost über vermeintliche Fehlentscheidungen und Benachteiligungen am Mittelkreis zu einem Streik versammelten und erst mit grosser Mühe zum Weiterspielen überredet werden konnten. Auch Trainer Alain Djeumfa war ausser sich und trug wenig zur Beruhigung der skurrilen Szenerie bei. Neid verfolgte das bizarre Geschehen mit grosser Verwunderung: «So was habe noch nie erlebt.»
Mehrfach hatte sich der deutsche FIFA-Referee Bastian Dankert als Video-Schiedsrichter eingeschaltet, um Fehlentscheidungen der Chinesin zu verhindern. Am Ende waren alle Entscheidungen richtig, was für den Video-Assistent-Referee (VAR) spricht, der nach seiner gelungenen Premiere bei der Männer-WM 2018 erstmals bei der Frauen-WM zur Anwendung kommt. Anders als in Russland knirscht es im Zusammenspiel der Schiedsrichterinnen und den ausschliesslich männlichen Kollegen am Video-Schirm zuweilen gewaltig.
«Der Frauenfussball ist um ein Vielfaches schneller und dynamischer geworden», sagte die deutsche Top-Unparteiische Bibiana Steinhaus vor Turnierbeginn im DFB-Interview. Dadurch würden die Schiedsrichterteams «vor immer wieder neue Herausforderungen gestellt», betonte die 40-Jährige.
Steinhaus, neben Riem Hussein und der als Schiedsrichter-Assistentin eingesetzten Katrin Rafalski eine von drei DFB-Referees bei der WM, pfeift seit Jahren bei den Frauen auf internationalem Top-Niveau. Zudem profitiert sie enorm von ihrer Erfahrung in der Bundesliga der Männer. Sie kennt nicht nur das höhere Tempo, sondern ist auch geübt im Zusammenspiel mit dem VAR.
«Natürlich ist es unser Ziel, den Video-Assistenten, also den sprichwörtlichen 'Airbag', nicht in Anspruch nehmen zu müssen und die Situationen auf dem Feld unmittelbar korrekt zu beurteilen», betonte Steinhaus. Gleichwohl verleihe allein die Existenz des Airbags «auch ein Gefühl der Sicherheit». Das sei wie beim Autofahren: «Gut zu wissen, dass der Airbag im Notfall aufgeht und vor schlimmeren Schäden bewahrt.» Steinhaus versicherte, dass man sich angesichts der wachsenden Anforderungen «sportlich, regeltechnisch, medizinisch und psychologisch akribisch vorbereitet» habe.
Das mag stimmen, doch trifft das auf alle Schiedsrichterinnen zu? In Frankreich kommen auch Unparteiische aus Ruanda, Kenia, Honduras, Äthiopien oder Nordkorea zum Einsatz. «Grundsätzlich finde ich das VAR-System gut, weil Fehler minimiert werden», stellte Neid klar. Die 55-Jährige sieht aber auch Nachholbedarf bei der Abstimmung zwischen Mensch und Technik. «Das muss immer wieder trainiert werden. Anders geht es nicht.» Darüber hinaus findet sie das Eingreifen der VARs «teilweise übertrieben». Die langen Unterbrechungen bezeichnet sie als «Emotionskiller»: «So dauert jedes Spiel 105 statt 90 Minuten.»
Neid sieht die Gefahr, dass sich die Schiedsrichterinnen zu sehr auf den Video-Referee verlassen oder Angst davor haben, dass ihre Autorität durch häufige Interventionen untergraben wird. «Aber die Schiedsrichterin sollte das Oberhaupt auf dem Feld bleiben.»
Die deutsche Mittelfeldspielerin Melanie Leupolz sagte am Montag, dass die Abstimmung beim Videobeweis «ein Stück besser werden» müsse. «An sich ist es ja gut, dass es nun keine strittigen Szenen mehr gibt.» Der 17 Jahre alte DFB-Youngster Lena Oberdorf sieht es pragmatisch: «Je länger der Videobeweis bei uns angewendet wird, desto besser wird auch die Abstimmung werden.» So war es bei den Männern schliesslich auch, trotz aller Diskussionen.