Fussball-Talk: «Ersetzt Jashari YB-Rieder?» – «Hut ab vor Wicky!»
YB gewinnt den Cupfinal und holt im ersten Jahr unter Raphael Wicky gleich das Double. Sion steht dafür mit dem Rücken zur Wand. Willkommen beim Fussball-Talk.
Das Wichtigste in Kürze
- Nsame und Elia schiessen YB im Final gegen Lugano zum Cupsieg.
- Es ist das dritte Double in der Club-Geschichte, Lugano verpasst die Titelverteidigung.
- Sion muss in der Barrage gegen Ouchy ein 0:2 aufholen, sonst steigen die Walliser ab.
- Sportchef Christoph Böhlen und Fussball-Chefreporter Mischi Wettstein im Gespräch.
Nau.ch: Ihr wart gestern beide am Cupfinal. Hat die Affiche Meister gegen Titelverteidiger gehalten, was sie versprach?
Mischi Wettstein: In der ersten Halbzeit nicht wirklich. Bei Lugano hat mir der unbändige Siegeswille zunächst gefehlt. Vor allem im Vergleich zum Vorjahr gegen St.Gallen. Nach der Pause war es dann der gewünschte Cupfight. Es ist brutal, wenn unter dem Strich alle Gegentore nach individuellen Fehlern passieren. Vor dem Corner zum 1:0 für YB verliert Bislimi den Ball gegen Ugrinic. Über den Bock von Saipi beim 0:2 hüllen wir den Mantel des Schweigens. Und auch der Fehler von Hajrizi vor dem 3:1 wird direkt bestraft.
Christoph Böhlen: Für mich war das Spiel einem Cupfinal von A bis Z würdig. Die Partie war intensiv und die Stimmung im Wankdorf grossartig. Was mir bei YB imponiert hat: Wie man den bitteren Ausfall von Sechser Sandro Lauper weggesteckt hat. Und: Nach dem 2:3 durch Renato Steffen blieben Spieler und Staff cool und haben den Sieg über die Zeit gerettet. Bei vielen Berner Fans auf den Rängen begann zu diesem Zeitpunkt das Zittern – denn YB hat gegen Sion 1991 und 2009 schon ein 2:0 aus der Hand gegeben.
Nau.ch: Picken wir uns zwei Personalien von gestern heraus. Wie fandet ihr YB-Goalie Marvin Keller?
Mischi Wettstein: Dass Marvin ein hervorragendes Talent ist, wussten Insider schon länger. Was mich hier beeindruckt, ist die Weitsicht von YB – und die Überzeugungskraft. Schliesslich befand sich Keller mit Wil im Winter mitten im Aufstiegsrennen. Jetzt stand er plötzlich im Cupfinal und wird mit seiner Parade vor dem 3:1 sogar zum Helden. Selbst in seinen kühnsten Träumen hätte er sich das wohl nicht ausgemalt.
Christoph Böhlen: Seine Ruhe hat mich gestern beeindruckt. Man hatte nicht den Eindruck, dass Keller seinen ersten Cupfinal vor über 30'000 Fans bestreitet. Trotzdem wird sich der 20-Jährige im Sommer wieder ins zweite Glied einreihen müssen. Wenn Anthony Racioppi zurückkehrt, ist Keller die Nummer 2. Und sobald David von Ballmoos wieder fit ist, wird YB wohl für einen der drei Goalies eine temporäre Lösung suchen müssen.
Mischi Wettstein: Für mich wäre Keller schon jetzt die Nummer 2. Nichts gegen Racioppi, aber Marvins Ausstrahlung und Sicherheit haben mich im Cupfinal beeindruckt. Ich sah gestern keinen Wackler.
Nau.ch: Die zweite Personalie ist Double-Trainer Raphael Wicky. Eure Meinungen zum YB-Coach?
Mischi Wettstein: Ich möchte jetzt mal etwas klarstellen: Alle sagen, mit diesem Team wäre auch der Platzwart Meister geworden. Da muss ich deutlich widersprechen! Natürlich hat YB den besten und breitesten Kader der Liga. Doch es ist auch eine Kunst, das so erfolgreich zu moderieren. Mit seiner authentischen Art und seiner Bodenständigkeit gelingt ihm das hervorragend, «Raphi» passt so zurzeit perfekt zu den Bernern. Und wie ein Animateur im Club-Med muss Wicky ja nicht auftreten, dies würde ihm auch niemand abkaufen. Deshalb kommt er gut an, weil ihm bewusst ist: Schuster, bleib bei deinen Leisten.
Christoph Böhlen: Für einmal sind wir uns komplett einig. Grosses Kompliment an Raphael Wicky und seinen Staff nach dieser Saison. Jedes Mal, wenn YB liefern musste, war das Team auf den Punkt bereit. Wochen nach dem Gewinn der Meisterschaft noch einmal so bereit zu sein wie gestern, ist nicht selbstverständlich. Wicky hat in seinem ersten Jahr so gut wie alles richtig gemacht, Hut ab!
Nau.ch: Blicken wir auf das letzte Spiel mit Super-League-Beteiligung in dieser Saison. Steigt Sion morgen tatsächlich ab?
Mischi Wettstein: Die erste Halbzeit beim 0:2 gegen Lausanne-Ouchy war eine Bankrotterklärung. Das Gute daran: Schlechter kann es nicht mehr werden. Und wenn man nichts mehr zu verlieren hat, spielt man oft befreiter auf. Für mich ist die Messe noch nicht gelesen. Schliesslich hat Ouchy jetzt plötzlich etwas zu verlieren – dieser Druck ist nicht zu unterschätzen.
Christoph Böhlen: Letzte Woche war ich noch überzeugt, dass Sion schlicht mehr Qualität auf den Platz bringt. Das war ein Irrtum! Ich sehe keinen Weg, wie die Walliser das noch hinbiegen wollen. Der Club zerfleischt sich im Hintergrund selber, Sonnenkönig Constantin will schon wieder vor Gericht gehen und plant offenbar seinen Abgang. Und auch die Fans wenden sich gegen die Club-Führung. Den Ligaerhalt schafft man nur als geschlossene Einheit – und das ist Sion absolut nicht mehr.
Nau.ch: Bevor wir mit dem Talk zwei Wochen Pause einlegen: Was brennt euch noch unter den Nägeln?
Mischi Wettstein: Die spannendste Frage aus meiner Sicht: Wie geht es bei GC weiter? Noch immer ist nicht klar, wer Trainer wird. Oder: Wer will sich die Hoppers antun? Schliesslich weiss man nicht, wer wofür die richtige Ansprechperson ist und wer tatsächlich in Eigenregie etwas entscheiden kann. Als Spieler würde ich mich in dieser unsicheren Situation zweimal fragen, ob ich zu den Grasshoppers wechseln soll.
Christoph Böhlen: Für mich startet jetzt eine der schönsten Phase des Jahres: die Transferzeit! Welche Spieler verlassen die Super League, welche neuen Kräfte kommen? Ich bin vor allem auch gespannt, wie sich der FCB unter dem neuen Trainer Timo Schultz aufstellen wird. Da dürfte doch ein ziemlicher Kader-Umbruch ins Haus stehen.
Mischi Wettstein: Die Transferzeit liebe ich nur bedingt. Es kommen so viel Gerüchte auf und man muss immer abwägen und sondieren, ob es mehr ein Getuschel ist oder auch wirklich Fleisch am Knochen hat.
Nau.ch: Hast Du ein aktuelles Beispiel?
Mischi Wettstein: In Bern hört man, dass Ardon Jashari vom FC Luzern ein Thema sein soll, wenn Fabian Rieder den Verein verlässt. Natürlich zahlen die Berner für einen Spieler aus der Super League wohl keine fünf Millionen oder mehr. Aber man hat letzte Saison ja auch Imeri von Servette geholt. Bei ihm hatten auch viele mit einem Auslandstransfer gerechnet. Darum ist das Jashari-Gerücht gar nicht so abwegig, solange sich kein ausländischer Verein findet, der die Luzerner Wunsch-Preisvorstellungen erfüllt. Wenn sich der FCL bei einem allfälligen Weiterverkauf nochmals einen grossen Teil des Kuchens aushandeln kann, ist es plötzlich absolut denkbar.
Nau.ch: Diese Entscheidungen könnten sich aber noch länger hinziehen, oder?
Mischi Wettstein: Meistens muss vor einem Transfer ein erster Domino-Stein fallen. Nehmen wir zum Beispiel Eintracht Frankfurt. Wie ich höre, soll der Bundesligist einer der Clubs sein, die an YB-Rieder interessiert sind. Dafür müsste aber der erste Domino-Stein fallen, hier wäre das der teure Verkauf des französischen Stürmers Kolo Muani. Zudem ist ein Abgang von Nati-Star Djibril Sow nach England eine Option. Fallen diese beiden Steine, hätte Frankfurt sowohl Geld als auch Bedarf, um einen Spieler wie Fabian Rieder zu verpflichten. In diesem Beispiel wären die Wege sehr kurz: YB-Dirigent Christoph Spycher war ja lange bei der Eintracht.