Das Team von Murat Yakin steht an der EM unter den letzten Acht! Wie weit kann die Reise noch gehen? Und wie stark ist England? Willkommen beim Fussball-Talk.
EM 2024
Die Schweizer Nati wirft an der EM 2024 die Italiener aus dem Turnier. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Schweizer Nati spielt am Samstag im EM-Viertelfinal gegen England (18 Uhr).
  • Das Team von Murat Yakin darf sich Chancen auf den Halbfinal ausrechnen.
  • Gastgeber Deutschland muss gegen die bisher überzeugenden Spanier ran.
  • Sportchef Christoph Böhlen und Fussball-Chefreporter Mischi Wettstein im Gespräch.
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Nau.ch: Das Nati-Märchen geht weiter: Die Schweiz bodigt Italien 2:0 und steht im EM-Viertelfinal! Wahnsinn, oder?

Mischi Wettstein: Das Spiel geht in die Geschichtsbücher ein! Die Nati hat den amtierenden Europameister ausgekugelt – und das in einer dominanten Art und Weise. Schon fast unheimlich, dass die beste Chance der Italiener ein Beinahe-Eigentor von Schär ist.

Und was ich nicht gelten lasse: Man kann nicht nur die Italiener für ihren Auftritt schlechtreden. Das Yakin-Team hat die Gunst der Stunde eiskalt ausgenutzt und uns Fussballfans alle glücklich gemacht!

Ruben Vargas erhöht für die Nati herrlich auf 2:0. - srf.ch

Christoph Böhlen: Trotzdem muss ich hier rasch einhaken: Die Squadra Azzurra war in einem erbärmlichen Zustand. Da fehlte es an allen Ecken und Enden, es ist wenig individuelle Klasse vorhanden. Für mich erfüllt nur Goalie Donnarumma den Anspruch zur Weltklasse. Aber klar: Die Nati hat das hervorragend gemacht, es gab über 90 Minuten keine Zweifel am Ausgang des Spiels.

Nau.ch: Was macht diese Nati so stark?

Mischi Wettstein: Man hat nach der Quali-Phase, in der nicht alles optimal lief, die richtigen Schlüsse gezogen. Das ist eine Geschichte aus dem Leben, genau so funktioniert es. Denn jetzt kann man bilanzieren: Es wurde bis jetzt alles richtig gemacht!

Ein Beispiel: Granit Xhaka hat sich selber hinterfragt und hat seine Rolle neu definiert. Er ist jetzt genau der Häuptling, den die Nati braucht. Und er erfüllt wohl sogar seine eigenen hohen Ansprüche.

Schweizer Nati
Captain Granit Xhaka führt die Schweizer Nati wie ein richtiger Häuptling an. - keystone

Christoph Böhlen: Das Verhältnis zwischen Trainer und Captain wirkt sehr harmonisch, die beiden sind in regelmässigem Austausch. Das beflügelt die Leistungen der Nati.

Für mich ebenfalls ein wichtiger Entscheid: Co-Trainer Giorgio Contini passt perfekt zu Murat Yakin. Man merkt, dass sich beide gut kennen und einander vertrauen. Und ein weiterer Punkt: Aus der Distanz wirkt die Stimmung im Team seit Turnierstart gut. Kannst du das bestätigen, Mischi?

Mischi Wettstein: Absolut, das konnte ich vor Ort spüren. So etwas kann man nicht spielen oder künstlich herstellen. Die Stimmung ist gut, das merkt man auch daran, dass sogar Murat Yakin und Granit mal einen raushauen, wie nach dem Italien-Spiel. Das machst du nur, wenn der Flow stimmt.

Setzt sich die Nati im EM-Viertelfinal gegen England durch?

Nau.ch: Jetzt wartet der Viertelfinal gegen England. Was sind eure Erwartungen?

Mischi Wettstein: Ich bin erst mal froh, spielen wir nicht gegen die Slowaken! Da hätte man sich als ganz klarer Favorit gesehen, das wäre auch gefährlich gewesen. Eines ist klar: England hat viel individuelle Qualität, Bellingham und Kane können jederzeit ein Spiel entscheiden.

Aber ansonsten sehe ich wenig Plan bei den Engländern, als Mannschaft funktioniert unsere Nati klar besser. Mit der nötigen Demut und dem richtigen Biss steht die Türe zum EM-Halbfinal für die Nati offen!

Mischi Wettstein
Mischi Wettstein ist Fussball-Chefreporter bei Nau.ch. - Nau.ch

Christoph Böhlen: Ich muss hier auf die Bremse treten. Klar spielen die Engländer bisher einen fürchterlichen Stiefel zusammen. Aber die Three Lions stehen trotzdem ungeschlagen im Viertelfinal. Ein Team mit einer solchen Qualität wird mit der Zeit bestimmt eher besser als schlechter.

Neben Bellingham und Kane hast du auch noch Rice, Saka oder Palmer – das sind alles Spieler, die der Nati wehtun können. Denn über eine solche Qualität verfügte Italien nicht. Drum hast du recht: Es braucht vor allem eine grosse Portion Demut – England ist klarer Favorit!

EM 2024
Jude Bellingham und Harry Kane stellen die Nati vor eine grosse Aufgabe. - keystone

Nau.ch: Noch im Herbst war die Kritik gross, jetzt steht Nati-Trainer Murat Yakin im EM-Viertelfinal. Wie seht ihr seine Zukunft?

Mischi Wettstein: Muri hat mit dem Viertelfinal den grössten Nati-Erfolg egalisiert. Der geteilte erste Platz mit Petkovic ist ihm damit schon sicher. Mit dem Halbfinal könnte er sogar zum erfolgreichsten Nati-Trainer aller Zeiten aufsteigen.

Es ist auf jeden Fall schon jetzt eine Top-EM, die Nati hat bis jetzt absolut «erfüllt». Aber es ist noch mehr möglich, diese Generation ist hungrig, stark und willig. Jetzt oder nie!

Objektiv betrachtet, müsste Muri nach so einem Turnier den Hut nehmen: Wenn die Aktie am höchsten steht, musst du verkaufen. Eine solche Endrunde zu wiederholen, ist schwierig. Und wenn es dann im Herbst nicht so läuft, dann sagt auch Hakan Yakin im Nau-Talk: «Die Nörgler kommen sowieso wieder.»

Der Job als Nati-Trainer ist perfekt auf Murat Yakin zugeschnitten. Da zählen auch emotionale Überlegungen mit. Und Muri hat gut gepokert, ohne Anschluss-Vertrag in das EM Turnier zu starten. Er hat jetzt alle Trümpfe für seine Zukunft selbst in der Hand, das könnte für den Verband noch teuer werden.

EM 2024
Murat Yakin (hier mit Remo Freuler) führt die Nati in den EM-Viertelfinal. - keystone

Christoph Böhlen: So wie Yakin die Ungarn und die Italiener ausgecoacht hat, ist sein Marktwert bestimmt gestiegen. Auch in Deutschland hat man registriert, dass der ehemalige VfB- und FCK-Profi ein Taktikfuchs ist.

Es würde mich nicht überraschen, wenn ein Klub das grosse Portemonnaie öffnet. Auf jeden Fall würde ich als Verband schon vor dem Spiel gegen England mein Interesse an einer Verlängerung deponieren.

Nau.ch: Wer sind nach der zweiten Woche eure EM-Favoriten?

Mischi Wettstein: Nach der Nati sind mir unsere Nachbarländer Frankreich, Österreich und Deutschland am nächsten. Alle sind noch voll im Turnier. In Deutschland gefällt mir die Fussballkultur. Aber was ich von den Spaniern sehe, macht schon ziemlich Eindruck.

Ich befürchte, dass das deutsche Neu-Sommermärchen im Viertelfinal vorzeitig endet. Denn Deutschland hat seit 36 Jahren, damals an der EM 1988, nicht mehr gegen Spanien gewonnen.

EM 2024
Wie lange bleibt die DFB-Elf an der Heim-EM noch im Rennen? - keystone

Christoph Böhlen: Ich bin bei dir, Mischi: Auch bei mir schlägt das Herz für die Deutschen. Aber ich bin mir sicher: Der Weg der Nagelsmann-Elf wird weitergehen! Sie haben den Heimvorteil im Rücken und mit der Nati und Dänemark schon unangenehme Gegner angetroffen.

Die Spanier spielen zwar gut. Aber Kroatien, Italien und Albanien waren ebenso schwächelnde Gegner wie die tapferen, aber mediokren Georgier. Die Spanier werden gegen Deutschland auf die Welt kommen!

Nau.ch: Was ist euch zur EM sonst noch aufgefallen?

Mischi Wettstein: Es ist faszinierend, was für Strapazen die Leute auf sich nehmen: elfstündige Busfahrten nach Berlin durch die Nacht, neun Stunden im Auto oder lang gezogene Zugfahrten.

Die Schweizer Fans tragen mit ihrem Support zur super Stimmung bei. Sie beflügeln unser Nati zu Höchstleistungen.

Die Fans feiern den Viertelfinal-Einzug der Schweizer Nati. - zVg

Nau.ch: Und zum Schluss: Was ist euch sonst noch aufgefallen?

Christoph Böhlen: YB muss zum Start unter Trainer Patrick Rahmen eine Niederlage gegen Thun am Burkhalter-Cup einstecken. Doch viel bitterer: Sturm-Juwel und Neuzugang Facinet Conte zieht sich einen Kreuzbandriss zu. Das ist schade, von ihm hatte ich mir viel Spektakel versprochen. Schauen wir mal, ob der Meister noch nachlegt.

Mischi Wettstein: Verschone mich doch bitte noch mit deinen Testspielen. Jetzt haben unsere Nati und die EM die oberste Priorität. Es geht ja bereits eine Woche nach dem Final mit der Super League wieder genug früh los.

Christoph Böhlen
Christoph Böhlen ist Sportchef bei Nau.ch. - Nau.ch
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