Fussball-Talk: «Nati-Superduo überzeugt! – Ndoyes Knoten geplatzt?»
Die Nati überzeugt an der EM 2024 auch gegen Deutschland, jetzt wartet der Achtelfinal. Wie weit kommt das Yakin-Team? Willkommen beim Fussball-Talk!
Das Wichtigste in Kürze
- Dan Ndoye bricht den Tor-Bann ausgerechnet beim 1:1 gegen Deutschland.
- Am Samstag bestreitet die Nati den Achtelfinal in Berlin.
- Wie weit kommt das Yakin-Team an der EM 2024?
- Sportchef Christoph Böhlen und Fussball-Chefreporter Mischi Wettstein im Gespräch.
Nau.ch: Die Nati führt gegen Deutschland lange, am Ende gibt es ein 1:1 gegen den Gastgeber. Zufrieden?
Mischi Wettstein: Zum 1.-August-Feuerwerk hat es leider nicht ganz gereicht. Aber es war ein richtig geiler Fussballabend! Sind wir ehrlich: Hätte uns vor der EM jemand gesagt, dass wir gegen die Deutschen punkten, hätten wir das genommen.
Und es ist auch das gerechte Resultat, auch wenn es wohl eine einmalige Chance auf einen Sieg über die DFB-Elf war. Zudem darf man festhalten: Orsato war sicher auch kein Heimschiri. Freuen wir uns einfach über die ungeschlagene Achtelfinal-Qualifikation.
Christoph Böhlen: Das Team von Murat Yakin hat ein ganz starkes Spiel gezeigt, das hätten uns nicht viele zugetraut. Ich wage sogar zu behaupten, dass uns die Deutschen unterschätzt haben. Defensiv funktioniert bei der Nati vieles schon sehr gut und auch offensiv gelingt mehr, als man vor der EM befürchtet hatte.
Nau.ch: Das Turnier geht für die Schweiz am Samstag weiter. Wie schätzt ihr die Chancen für den Achtelfinal ein?
Mischi Wettstein: Für mich gäbe es nichts Schöneres, als auf die Italiener zu treffen – und die «Squadra Azzurra» aus dem Turnier zu werfen. Und ich halte es mit Nati-Trainer Murat Yakin: Der nächste Gegner muss sich auch auf uns einstellen. Unsere Nati ist nur ganz schwer zu besiegen!
Christoph Böhlen: Ich bin eben noch gar nicht sicher, ob es wirklich Italien wird. Das Spalletti-Team macht auf mich keinen guten Eindruck. Kroatien ist zwar bisher auch noch nicht in Topform, aber es würde mich nicht überraschen, wenn Luka Modric sein Team heute zum Coup führt.
Mischi Wettstein: Kroatien wäre sicher die grössere Wundertüte, da weiss man nicht genau, was kommt. Abgesehen von einem Spiel an der EM 2004 haben wir gegen die nur Testspiele bestritten. Aber das ist sowieso Kaffeesatzleserei: In einer K.-o.-Phase muss man nehmen, was kommt!
Nau.ch: Fünf Punkte aus drei Gruppenspielen: Was macht die Nati eigentlich aus?
Mischi Wettstein: Im Team herrscht eine sehr gute Stimmung. Das widerspiegelt sich aus meiner Sicht auch in den solidarischen Auftritten. Das ist nicht gespielt, die Gruppendynamik sieht man auch im Training. Das Team ist eine Einheit, das beeindruckt mich. Wenn es optimal läuft, kann uns das noch weit tragen. Wie sagt Captain Granit Xhaka: Er hat genügend Kleider eingepackt …
Christoph Böhlen: Mir gefällt, wie schnell die Nati auf Änderungen reagiert. Egal, ob Michel Aebischer, Kwadwo Duah oder Fabian Rieder ins kalte Wasser geworfen werden: Es funktioniert auf Anhieb. Die Nati ist so gefestigt, dass man sich in das Kollektiv einfügen kann.
Nau.ch: Bleiben wir gleich bei den Änderungen von Murat Yakin. Bisher sind seine Ideen alle aufgegangen?
Mischi Wettstein: Es ist bekannt: Ich wusste immer, dass Muri ein Taktikfuchs ist. Er hat es in meinen Augen erneut bewiesen. Ich freue mich für Muri, er musste im Vorfeld viel ungerechtfertigte Kritik einstecken.
Christoph Böhlen: Die Nati hat eine starke Ordnung gegen den Ball, die funktioniert gegen jeden Gegner. Dazu lässt sich der Trainer-Staff vor jedem Spiel einen Gameplan einfallen. Das ging bisher gut auf. Dass man vor dem Achtelfinal auch wieder genügend Zeit zur Vorbereitung hat, stimmt mich optimistisch.
Nau.ch: Was ist euch bei der Nati sonst noch aufgefallen?
Mischi Wettstein: Wirklich geil finde ich unsere Eckpfeiler Granit Xhaka und Manuel Akanji. Sie überzeugen mich bisher restlos. Und auch das erste Tor von Dan Ndoye hat hoffentlich jetzt seinen Knoten gelöst. Ich traue dem sehr angenehmen Zeitgenossen zu, dass er im Achtelfinal nachdoppeln kann.
Christoph Böhlen: Meine Überraschung des Turniers ist Michel Aebischer. Dass er gegen Ungarn auf ungewohnter Position so glänzt, konnte man nicht erwarten. Aber dass er sich jetzt auf der Position festgebissen hat, spricht für seine Qualität. Und für das gute Konzept des Trainer-Staffs.
Dazu kommt: Selten habe ich so über ein Nati-Tor gejubelt wie beim Traumtor von Xherdan Shaqiri. Shaq hat auch an dieser Endrunde seinen ganz persönlichen Glanzpunkt gesetzt, solche Tore schiesst nur er!
Nau.ch: Blicken wir auf die restlichen Teams, die letzten Gruppenspiele stehen an. Wer hat euch beeindruckt?
Mischi Wettstein: Ich bin froh, trifft die Nati noch grad nicht auf Spanien oder Portugal, die beiden Teams überzeugen mich. Auch die Niederlande, Frankreich oder England wären grosse Knacknüsse.
Christoph Böhlen: Der Blick auf die K.-o.-Phase zeigt: Würden wir den Achtelfinal überstehen, treffen wir Stand jetzt auf England oder Österreich. Auch da wäre die Nati nicht chancenlos, schon gar nicht gegen die Engländer. Sie sind für mich bisher die grösste Enttäuschung des Turniers.
Mischi Wettstein: Stopp, jetzt musst du auf die Bremse treten! Ich halte mich da an den Nati-Trainer und seine Spieler. Wir schauen nicht zu weit nach vorne. Man darf nicht den zweiten Schritt machen, bevor der erste getan ist.
Nau.ch: Wie nehmt ihr die Atmosphäre an der EM war?
Mischi Wettstein: Sagen wir es so: Bei der WM in Katar hätte mir kein betrunkener Fan ins Mikrofon schreien können. Es gab keinen Alkohol, darum waren alle nüchtern und friedlich. Das ist der Unterschied: Bei der EM in Deutschland gehört das Bier natürlich bei vielen schon zum Zmittag, das gibt dann ordentlich was zu bechern, wenn das Spiel erst um 21 Uhr ist.
Das führte zum Teil auch schon zu unschönen Bildern. Das wollen wir eigentlich nicht. Aber klar ist: Die Stimmung der Fans im Spiel gegen Deutschland war einmal mehr überwältigend. Die Nati-Fans sind eine wahre Freude und machen wirklich eine einmalige Stimmung.
Nau.ch: Was ist euch sonst noch aufgefallen?
Christoph Böhlen: Wie immer geht der Blick in den heimischen Fussball: Die ersten Teams haben bereits ihre Testspiele absolviert, darunter der FCZ oder der FCSG. Am Freitag steigt in Bern der «Burkhalter-Cup», da sehe ich YB erstmals unter Patrick Rahmen. Ich freue mich!
Mischi Wettstein: Du und deine Testspiele! Im Moment zählt doch nur die EM. Als Daueroptimist hoffe ich, dass es am Samstag nicht meine letzte Reise mit der Nati nach Berlin ist ...