Fussball-Talk: YB hat Mentalitätsproblem – Zaubert FCB-Shaq in Bern?
Zaubert Shaqiri auch im Wankdorf gegen YB? Der Meister kann seinen Aufwärtstrend nicht bestätigen. Und Servette ist neuer Leader. Willkommen beim Fussball-Talk.
Das Wichtigste in Kürze
- Servette gewinnt den Spitzenkampf beim FCZ und ist neuer Leader.
- YB verliert in Lugano und trifft jetzt auf den FCB, der 6:1 in Winterthur gewann.
- Für GC geht es nach der Niederlage in Lausanne gegen Lugano und Luzern weiter.
- Sportchef Christoph Böhlen und Fussball-Chefreporter Mischi Wettstein im Gespräch.
Nau.ch: Der FCZ macht im Spitzenkampf keine gute Falle und verliert gegen Servette gleich mit 1:3. Eure Worte zum Spiel?
Mischi Wettstein: Vielleicht wurde es im Vorfeld als Spitzenkampf angekündigt. Aber dazu hätte es zwei Teams gebraucht. Die Mannschaft aus Genf hat geliefert, dafür war die Leistung des FC Zürich zum Fremdschämen.
Sie waren mit dem 1:3 noch gut bedient. Und dieses Debakel ist nicht mit dem Fehlen des verletzten Antonio Marchesano zu entschuldigen.
Christoph Böhlen: Es ist ein herber Rückschlag für die Zürcher. Trainer Moniz wollte sich mit einem Sieg in der Tabelle absetzen – das ging nach hinten los. Aber sie haben in Sion und zu Hause gegen YB diese Woche die Chance, sich zu rehabilitieren.
Mischi Wettstein: Es ist bemerkenswert: Bis auf Stürmer Perea brachte keiner ein Bein vor das andere. Es war ein kollektives Versagen beim FCZ! Aber einmal in der Saison darf das passieren. Lieber einmal klar verlieren, dafür danach wieder aufrichten – und weiter geht es.
Christoph Böhlen: Was hältst du von den Genfern? Ist Servette jetzt doch ein ernstzunehmender Meisterkandidat?
Mischi Wettstein: Für mich machen Servette und Lugano den Titel unter sich aus. Der Rückstand von YB ist zu gross. Und nur weil der FCB hoch in Winterthur gewinnt, wird man nicht gleich Titelfavorit.
Der Vorteil der Genfer: Sie haben keine Doppelbelastung, können sich auf die nationalen Wettbewerbe konzentrieren. Es ist eine eingespielte Mannschaft ohne grosse Wechsel. Was bisher fehlt, ist die Konstanz: Die Genfer müssen regelmässig abliefern: Bereits am Donnerstag gegen Luzern ist die nächste Gelegenheit dazu.
Nau.ch: Mischi, dein zweiter Titelanwärter Lugano hat YB zu Hause bezwungen. Überrascht?
Mischi Wettstein: Nein, ich habe das so erwartet. Der Meister wirkt auf mich unstabil und launisch. Ich bin sehr gespannt, was YB diese Woche abliefert. Zu Hause gegen Basel und in Zürich beim FCZ stehen die Berner diese Woche auf dem Prüfstand.
Christoph Böhlen: Die Probleme bei YB sind mit dem Trainerwechsel nicht behoben. Auch Magnin kann nicht zaubern! Für mich sind die Aussagen von Captain Loris Benito von nach dem Spiel ein grosses Alarmsignal. Er kritisiert die Einstellung einiger Mitspieler – und legt damit den Finger in die Wunde: YB hat ein Mentalitätsproblem!
Gegen Inter reisst sich jeder den Hintern auf, aber in der Liga fehlt die richtige Einstellung. Die Berner müssen ihr Kader im Winter unbedingt anpassen, so geht es nicht weiter. Das Team ist nicht gut zusammengestellt, dazu kommt noch ein unglaubliches Verletzungspech in der Innenverteidigung.
Mischi Wettstein: Und Glück hattet ihr auch noch: Anel Husic hätte in der ersten Halbzeit gegen Lugano Rot sehen müssen. Das war ein gestrecktes Bein, über dem Knöchel. Dass da der VAR nicht einschreitet, verstehe ich nicht. Vielleicht war gerade wieder mal Kaffeepause im VAR-Keller.
Nau.ch: In der englischen Woche geht es Schlag auf Schlag, am Mittwoch empfängt YB den FCB. Folgt die nächste Niederlage gegen die Basler, die nach dem 6:1 im Aufwind sind?
Mischi Wettstein: Wenn man Xherdan Shaqiri so viel Platz lässt, wie auf der Schützenwiese, dann muss man sich nicht wundern. Dann ist es logisch, dass Shaq zaubern kann. Wichtig ist, dass der FCB sein Spiel gegen ein schwaches Winterthur nicht überbewertet. Am Mittwoch in Bern wird das ein komplett anderes Spiel.
Christoph Böhlen: Trotz meiner Kritik an der Mentalität: Ich bin sicher, dass YB am Mittwoch gegen den FCB gewinnt. Ein Spiel vor vollen Rängen und eigenen Fans, da werden sich die Young Boys wieder von einer anderen Seite zeigen. Zudem wird Shaq nicht schon wieder so zaubern, wie in Winterthur. So viel Platz erhält er im Wankdorf nicht.
Nau.ch: Dann blicken wir nach Luzern: Der FCL holt ein 0:2 gegen Yverdon auf, verliert aber dann trotzdem.
Mischi Wettstein: So wie ich gehört habe, hatte FCL-Trainer Mario Frick keine Freude am Pausenresultat. Um es milde auszudrücken: Mario soll sehr laut und emotional in der Kabine geworden sein. Was man aber auch verstehen kann, nach einem 0:2 zur Pause.
Christoph Böhlen: Man muss festhalten: Die Moral beim FCL stimmt, sie reagieren nicht zum ersten Mal auf einen Rückstand. Aber man bringt sich erneut um die Früchte der eigenen Arbeit: Die frühen Gegentore entstehen zu einfach, das 2:3 kurz nach dem Ausgleich ist einfach naiv! Dem FCL fehlt es nach wie vor an Erfahrung.
Aber man muss fairerweise sagen: Yverdon-Goalie Bernardoni zieht einen Top-Tag ein. Ohne ihn hätten die Luzerner viel früher ausgeglichen.
Nau.ch: Dank eines Traumtors holt der FCSG nach zweimaligem Rückstand noch einen Punkt in Sion. Das Warten auf den ersten Liga-Sieg seit Ende September dauert an.
Mischi Wettstein: Trainer Enrico Maassen hatte sich fest vorgenommen, drei Punkte aus dem Wallis zu entführen. Am Schluss muss er froh sein, ist es einer geworden. Noch schwerwiegender als der Punktverlust ist die Rote Karte gegen den fünffachen Torschützen Willem Geubbels. Er wird den Espen jetzt zwei Spiele fehlen.
Christoph Böhlen: Die anfängliche Stabilität, die der FCSG unter Maassen ausstrahlte, ist weg. Die Espen sind mittlerweile fast noch anfälliger auf Gegentore, als noch unter Peter Zeidler. Wie man bei den Toren von Sions Sorgic «verteidigt», spottet jeder Beschreibung.
Kommt noch dazu: Wer in zwei Conference-League-Spielen zehn Gegentore kassiert, müsste vielleicht mal über die Bücher.
Nau.ch: Schliessen wir die Runde mit dem Spiel Lausanne gegen GC ab. Nach der Hoppers-Niederlage nimmt die Kritik an Marco Schällibaum wieder zu. Berechtigt?
Mischi Wettstein: Schaut euch doch einfach das 0:1 an: Nach einer Minute war der Matchplan bereits über den Haufen gerührt. Mabil rutscht aus, Seko zeigt, wie man nicht verteidigt – und schon läuft man einer Hypothek hinterher.
Erneut wird die Kritik an Trainer Schällibaum in einigen Medien hochgekocht. Er scheint ein rotes Tuch zu sein. Aber vielmehr muss man die Qualität des Kaders untersuchen! Auch Mourinho oder Klopp können aus einem Twingo keinen Ferrari zaubern.
Christoph Böhlen: Vergiss neben den Fehlern nicht die vergebenen Chancen der Hoppers: So wie Captain Amir Abrashi per Kopf den Ausgleich verpasst, muss man sich nicht über eine Niederlage wundern.
Bitter für Marco Schällibaum: Das Programm wird mit Lugano und Luzern in dieser Woche nicht einfacher. Ich bin auch gegen eine Trainerdiskussion. Aber am Schluss wird halt doch immer nach einem Schuldigen gesucht …
Mischi Wettstein: GC-Sportchef Stephan Schwarz hatte «Schälli» letzte Woche noch hoch gelobt. Kippt er seine Meinung plötzlich um, würde er bei mir seine Glaubwürdigkeit komplett verlieren. Denn schliesslich ist auch der Sportchef für den Kader verantwortlich.
Nau.ch: Was ist euch sonst noch aufgefallen?
Mischi Wettstein: Meine Entdeckung vom Wochenende: Auf «Blue» stand Nati-Rekordtorschütze Alex Frei (84 Spiele, 42 Tore) als Experte im Einsatz. Er zeigt beim Spiel Winterthur-FCB, dass er eine Klasse besser ist, als einige andere TV-Experten!
Frei ist endlich einer, der Ross zum Reiter nennt, direkt Fehler aufzeigt und die Dinge beim Namen nennt! Und sich nicht hinter Floskeln versteckt! Bitte weiter so, Alex!
Christoph Böhlen: Stimmt, Frei als Experte war erfrischend! Ich blicke noch rasch in die Challenge League: Der FC Thun hat offenbar doch Interesse, in die Super League aufzusteigen. Mit dem Heimsieg über Schaffhausen bleiben sie in der Spitzengruppe dabei.
Mischi Wettstein: Dieser nähert sich auch dem FC Aarau langsam an. Die Aargauer polieren ihre Heimbilanz mit einem 1:0 über Nyon etwas auf. Sie schleichen in der Tabelle langsam nach oben.