José Mourinho: Wie er aus Tottenham sein Vermächtnis machen will

Mathias Kainz
Mathias Kainz

Grossbritannien,

José Mourinho ist bei den Spurs noch keine Woche im Amt, aber die Gerüchteküche läuft schon heiss. «The Special One» hat mit Tottenham grosse Pläne.

José Mourinho Tottenham Hotspur
José Mourinho sieht in Tottenham kein Sprungbrett, sondern eine Chance für Historisches. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Mit der Verpflichtung von José Mourinho kehrt bei Tottenham frischer Wind ein.
  • Der Portugiese plant auf absehbare Zeit keine Mega-Transfers – weil das Geld dafür fehlt.
  • Leistbare Transferziele und eine neue Jugend-Politik sollen ein Vermächtnis erschaffen.

Bei Tottenham Hotspur findet José Mourinho Arbeitsbedingungen ganz nach seinem Geschmack vor. Die neue Heimstätte der Spurs ist ein Schmuckstück, dass weltweit seinesgleichen sucht. Akademie und Trainingseinrichtungen sind, wie es so schön heisst, «state-of-the-art», also allerhöchstes Niveau. Und der Tottenham-Kader ist zweifellos einer der besten in der Premier League.

Und dennoch: José Mourinho wäre nicht José Mourinho, fände er nicht auch daran eine Baustelle. Eigentlich gleich mehrere, wenn die zahlreichen Gerüchte über mögliche Transferziele auch nur im Ansatz stimmen. Denn mit kaum einem Topspieler, der einigermassen verfügbar ist, werden die Spurs seit Mourinhos Ankunft nicht in Verbindung gebracht.

Die Abgänge

Einige Spieler werden dem Kader von Tottenham Hotspur unter Mourinho wohl bald nicht mehr angehören. Auch wenn der Portugiese beteuert, mit dem Kader glücklich zu sein – Anpassungen sind unvermeidlich. Einige stehen schon länger im Raum, andere zeichneten sich am Samstag gegen West Ham ab.

In letztere Kategorie fällt Moussa Sissoko. Der malisch-französische Mittelfeldspieler war unter Mauricio Pochettino gesetzt, spielte in dieser Saison nur einmal nicht durch. Und dann kam José Mourinho – und Sissoko war plötzlich nur noch Ersatz. Gegen West Ham durfte er gerade einmal acht Minuten im rechten Mittelfeld ran.

Moussa Sissoko José Mourinho
Im ersten Spiel unter José Mourinho wurde Moussa Sissoko direkt zum Ersatzspieler degradiert. - keystone

Der 2016 um rund 40 Million Franken geholte Franzose ist zudem nicht mehr der Jüngste. Und bei den Fans nach inkonstanten Leistungen nicht über die Massen beliebt. Im letzten Sommer gab es Gerüchte über einen möglichen Wechsel nach Frankreich. Mit Nizza und Lille gäbe es zwei mögliche Interessenten für die Dienste des 30-jährigen französischen Nationalspielers.

Auch Sommer-Einkauf Ryan Sessegnon könnte unter Mourinho dem Rotstift zum Opfer fallen. Der 19-jährige Nachwuchs-Nationalspieler kam um rund 30 Millionen Franken von Fulham. Das ist viel Geld für einen Spieler, der auf zwei Einsätze mit gesamt 16 Minuten Spielzeit kommt. Eine Ausleihe im Januar ist wahrscheinlich, ein definitiver Abschied käme aber wohl noch zu früh.

Christian Eriksen Juventus Turin
Christian Eriksen könnte bald für Juventus auf Torejagd gehen. - Keystone

Und dann ist da noch Christian Eriksen. Der Däne war schon im Sommer abwanderungswillig, mit einem Transfer klappte es aber nicht. Im Winter dürfte es aber wohl so weit sein, denn Interessenten gibt es einige. Vor allem bei Juventus Turin steht der Mittelfeldregisseur hoch im Kurs.

Im Sommer läuft der Vertrag des 27-Jährigen bei Tottenham aus, entsprechend gering dürfte die Ablöse ausfallen. Neben Juventus haben auch Real Madrid und zuletzt Bayern München angeklopft.

Die wahrscheinlichen Zugänge

Mit den beiden sich anbahnenden Abgängen von Sissoko und Eriksen hat Tottenham im Mittelfeld akuten Aufholbedarf. Grosse finanzielle Sprünge sind aber nicht zu erwarten. Bei den Spurs sitzt der Geldbeutel nach dem Giga-Projekt Stadionbau eher eng. Dass sich José Mourinho auf die Jagd nach Superstars macht, ist also – vorerst – unwahrscheinlich.

Das Transferziel Nummer eins wird ein Defensiv-Akteur sein – und wahrscheinlich ein Landsmann Mourinhos. Nach dem Abgang von Kieran Trippier zu Atletico Madrid fanden die Spurs keinen adäquaten Ersatz für den Nationalspieler. Den könnte Mourinho nun in Gestalt von Ricardo Pereira zu Tottenham lotsen.

Britain Soccer Premier League
Ricardo Pereira hat sich bei Leicester City zum Weltklasse-Linksverteidiger gemausert. - keystone

Der Portugiese überzeugt seit Sommer 2018 bei Leicester City, sein Vertrag dort läuft noch bis 2023. Im Vergleich mit dem inkonstanten Serge Aurier wäre Pereira für Tottenham eine Steigerung. Unter 50 Millionen Franken wird der Rechtsverteidiger aber wohl nicht zu haben sein.

Am anderen Ende des Feldes hat Mourinho offenbar ein Auge auf Victor Osimhen geworfen. Der nigerianische Nationalspieler ist mit seinen erst 20 Jahren eine Zukunftsaktie. Lille sicherte sich die Dienste des Mittelstürmers erst im vergangenen Sommer von Charleroi. Zu haben wäre Osimhen wohl für einen Betrag um die 30 Millionen – oder im Tausch für Sissoko.

Die nicht ganz so wahrscheinlichen Zugänge

Klappt es mit Osimhen nicht, könnte Mourinho noch einmal nach Zlatan Ibrahimovic angeln. Der Schwede war schon bei Manchester United eine schlagkräftige Verstärkung für den Kader des Portugiesen. Nach dem Abschied von LA Galaxy wäre er zudem vertragslos. Wie viel Einsatzeit Ibra hinter Harry Kane bekäme, ist allerdings fraglich – mehr als eine Jokerrolle würde es kaum werden.

Zlatan Ibrahimovic
Bald ein Lilywhite? Zlatan Ibrahimovic wäre für Tottenham als Backup zu Harry Kane eine Option. - keystone

Englischen Medienberichten zufolge hat der Portugiese zudem Gefallen an Granit Xhaka gefunden. Der Schweizer Nati-Star ist bei Arsenal in Ungnade gefallen, wurde als Captain abgesetzt. Als Ersatz für einen abwandernden Sissoko käme Xhaka als Mittelfeld-Strippenzieher gerade recht. Zudem wird sich der Stadtrivale wohl nicht querlegen, wenn ein Angebot für den Problem-Kicker daherkommt.

Und dann sind da noch die grossen Träume, die da heissen: Gareth Bale und Paulo Dybala. Der eine spielte schon in der Vergangenheit für die Spurs, der andere war im Sommer kurz vor dem Wechsel. Beide würden Tottenham aber wohl eine schöne Stange Geld kosten, das gerade eher knapp ist.

Real Madrid Gareth bale
Gareth Bale ist für Tottenham im Moment wohl ein wenig zu teuer. - keystone

Bei Bale wäre ein Leihgeschäft mit einer günstigen Kaufoption eine Möglichkeit. Bei Real Madrid macht sich der Waliser aktuell nach Kräften unbeliebt. Dybala hingegen blüht bei Juventus unter Maurizio Sarri gerade wieder so richtig auf. Dass sich die Alte Dame von ihrem jungen Diamanten trennt, ist also erheblich unwahrscheinlicher als noch im Sommer.

Die Sommer-Ziele

Über die laufende Saison hinaus ist bei Tottenham mit tatkräftiger Investition zu rechnen, wenn man José Mourinho gerecht werden will. Und auch wenn sich Club-Chef Daniel Levy bisher eher als sparsamer Vereinsboss erwiesen hat, weiss er, was es braucht. Zwei Jahre ohne Transfers wie unter Pochettino wird es mit Mourinho nicht geben.

Für den kommenden Sommer hat der Portugiese zwei seiner Landsleute auf dem Wunschzettel. Sporting-Offensivregisseur Bruno Fernandes könnte als Ersatz für einen Abschied von Christian Eriksen fungieren.

Portugal training Bruno Fernandes
Im portugiesischen Nationalteam ist Bruno Fernandes längst ein Leistungsträger. - keystone

Bei Sporting kann der 25-Jährige in dieser Saison nach zehn Einsätzen fünf Tore und fünf Vorlagen vorweisen. Er verfügt über eine Ausstiegsklausel über 110 Millionen Franken, wäre aber wohl auch für etwa 75 Millionen zu haben.

In einer ähnlichen Preisklasse wird sich Innenverteidiger Ruben Dias bewegen. Der 22-Jährige stammt aus dem Nachwuchs des Lissaboner Spitzenclubs und ist ein absoluter Dauerbrenner. In allen 17 Bewerbsspielen spielte Dias in der laufenden Saison durch, erzielte auch schon zwei Tore.

Benfica Lisbon Ruben Dias
Defensiv-Akteur mit Torriecher: Ruben Dias überzeugt bei Benfica Lissabon. - keystone

Dias wird für Tottenham insofern interessant, als die Verträge der alternden Toby Alderweireld und Jan Vertonghen auslaufen. Dias wäre vorerst wohl vor allem als Backup eingeplant, wenn einer der beiden ausfällt. Verlängert einer von ihnen aber nicht, taugt der 22-Jährige ohne Bedenken als Stammspieler.

Der langfristige Plan des José Mourinho

Beim «Bewerbungsgespräch» mit Daniel Levy gab sich José Mourinho nach elf Monaten ohne Trainerjob als geläuterter Mann. Und auch seine ersten Auftritte als Trainer der Lilywhites deuten auf eine Wandlung des Portugiesen hin. Mourinho gibt sich höflich, entspannt und stets um ein Lächeln bemüht.

Die Wandlung dürfte aber nicht nur im Charakter, sondern auch in der Philosophie ihre Spuren hinterlassen haben. Klar – am grundlegenden Konzept von «The Special One» wird sich nichts ändern. Solider Defensivfussball, blitzschnelle Konter, teamfähige Spieler mit brillanter Ballbehandlung ist die Devise. Darauf wird José Mourinho, wenn man ihn lässt, sein Team zuschneiden.

José Mourinho Tottenham Hotspur
Geläuterter Mann? José Mourinho gibt sich seit seinem Amtsantritt bei Tottenham bestimmt, aber höflich. - keystone

Und dafür braucht es nicht nur teure Einkäufe, sondern auch die entsprechende Nachwuchsarbeit. Die Tottenham-Akademie gilt als eine der besten Europas, die Trainingseinrichtungen sind Weltklasse. Seine Fussball-Philosophie wird er von der C-Jugend bis zur U21 trainieren lassen. José Mourinho plant bei Tottenham etwas Langfristiges in der Grössenordnung eines Sir Alex Ferguson oder Arsène Wenger.

Dazu passt auch, dass die Vereinskultur bei den Spurs eine andere ist als bei Manchester United. Die Tottenham-Anhänger sind nicht gerade erfolgsverwöhnt, eine Saison ohne Titel daher kein Fiasko. José Mourinho wurde geholt, um Titel zu gewinnen, und er findet alle Voraussetzungen dafür vor. Mourinho und Club-Boss Daniel Levy sind aber Realisten genug, um zu wissen, dass es noch ein Jahr dauern könnte.

José Mourinho Tottenham Hotspur
José Mourinho will bei Tottenham etwas aufbauen. - keystone

José Mourinho und Tottenham – was auf den ersten Blick wirkt wie eine ungünstige Zweckehe, hat viel Potenzial. Mourinho kommt mit einer Vision nach Nord-London – aus Tottenham sein Vermächtnis zu machen. Und er findet eine Vereinsführung vor, die sich als geduldig und weitsichtig erwiesen hat. Das sind die Voraussetzungen, unter denen Mourinho erfolgreich sein kann – und will.

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