So erlebt Trainer René Weiler die Zeit bei Al Ahly
Seit sechs Wochen ist René Weiler bei Al Ahly Kairo im Amt – und ist bisher ohne Punktverlust geblieben. Der Trainer spricht über Erfahrungen und Unterschiede.
Das Wichtigste in Kürze
- Seit dieser Saison ist René Weiler Trainer bei Al Ahly Kairo.
- Der Schweizer spricht im Interview über seine ersten Erfahrungen in Afrika.
René Weiler ist seit knapp sechs Wochen Trainer von Al Ahly, dem renommiertesten Verein Afrikas. In den bisherigen sechs Pflichtspielen in Meisterschaft, Champions League und Supercup gab es sechs Siege. Das bedeutet die Egalisierung der längsten Siegesserie der Vereinsgeschichte. Nau hat ihn zu seinem bisher grössten Abenteuer befragt.
Nau.ch: Was fasziniert Sie am neuen Job am meisten?
René Weiler: Die andere Kultur, das ungleiche Leben. Auch das Funktionieren und Miteinander mit heterogenen Herangehensweisen. Die Emotionalität und Leidenschaft für den Fussball.
Nau.ch: Was ist total anders als in Europa?
Weiler: Einiges. Alles ist sehr intensiv, spannend, anspruchsvoll und lehrreich.
Nau.ch: Wie sieht ein normaler Alltag aus?
René Weiler: Ähnlich wie bei uns, die Grundbedürfnisse sind überall gleich. Nur die Unterschiede bezüglich sozialer Schichten, Klima, Lifestyle und Verkehr sind gross. Nur schon in Kairo leben 2,5-mal so viele Leute wie in der ganzen Schweiz.
Nau.ch: Wo müssen Sie sich am meisten umstellen?
René Weiler: Beim Nachtrhythmus, den Temperaturen und im Verkehr. Die Ägypter schlafen kaum, eine Wolke habe ich bei durchschnittlich 35 Grad noch nie gesehen. Und das Verkehrschaos ist nicht beschreibbar. Das muss man erlebt haben.
Nau.ch: Afrikanische Spieler sollen oft Probleme mit der Pünktlichkeit haben. Wie stets in Ihrem Team um die Disziplin?
René Weiler: Das kann ich so nicht bestätigen. Die Spieler sind gesittet und professionell.
René Weiler: «Erstaunt, wer sich erlaubt, ein Urteil zu fällen»
Nau.ch: Es gab einige kritische Stimmen, die diesen Wechsel nicht nachvollziehen konnten. Überrascht Sie das?
René Weiler: Ich bin immer wieder erstaunt, wer sich erlaubt, über Länder, Mannschaften oder Menschen ein Urteil zu fällen. Dies obschon wenig Ahnung über Niveau und Gegebenheiten vorhanden sind.
Nau.ch: Was zeichnet die Spieler bei Al Ahly aus?
René Weiler: Athletik, Schnelligkeit, Technik und Aggressivität. Die Leidensbereitschaft ist gross. Beim letzten Auswärtsspiel spielten wir im 800 Kilometer entfernten Assuan nachmittags bei 44 Grad. Nachdem wir jeweils mitten in der Nacht hin und zurück flogen.
Nau.ch: Das heisst, Sie sind vom fussballerischen Niveau positiv überrascht?
René Weiler: Nehmen wir das Beispiel Ndiaye vom FC Luzern. Ihn wollten wir vor einem Jahr von einem durchschnittlichen Verein in Ägypten verpflichten. Wir bekamen ihn dann aber noch nicht. Es gibt überall auf der Welt Qualität und hier nicht nur begabte, sondern auch hochbegabte Spieler.
Nau.ch: Das wissen wir spätestens seit Mohamed Salah in Basel spielte. Dann werden also die Möglichkeiten in solchen Ländern unterschätzt?
René Weiler: Wo keine Kenntnisse vorhanden sind, kann nicht unter- oder überschätzt werden. Es schwafeln einfach zu viele unnötig mit.
Nau.ch: Haben denn Sie diese Kenntnisse gehabt?
René Weiler: Einige davon. Aber ich informierte mich zum Beispiel bei Christian Gross. Über seine Erfahrungen gibt es keine zwei Meinungen. Er riet mir unmissverständlich, dieses Team zu trainieren und den Markt kennenlernen zu müssen.
Nau.ch: Wohnen Sie im Hotel – oder haben Sie bereits ein Zuhause gefunden?
Weiler: Ich wohne im Hotel, meine drei Assistenten in einer Wohnung nahe des Trainingsgeländes.
Nau.ch: Wie schmeckt Ihnen die ägyptische Küche?
René Weiler: Hervorragend. Ohnehin gibt es kulinarisch alles, was man sich wünscht. Vorzugsweise natürlich Fisch in den unzähligen Lokalen entlang dem Nil.
Der Trainer setzt auf geistige Unabhängigkeit
Nau.ch: Was vermissen Sie aus der Heimat?
René Weiler: Die Familie, Freunde, Natur, Sauberkeit sowie Ruhe.
Nau.ch: Was vermissen Sie aus der Fussballschweiz nicht?
René Weiler: Den Innovations-Mut und die Macher, weil es davon zu wenige gibt. Wir sind ein Land von Diplomaten und Kompromissen, die dem Fussball-Fortschritt leider hinderlich sind.
Nau.ch: Mir gefällt, wie Sie unschweizerisch getrauen zu sagen, was womöglich viele nur denken wollen…
Weiler: Geistige Unabhängigkeit ist wichtig. Der Fussball ist einfach und kompliziert zugleich. Das ist ein Problem. Viele sind nicht in der Lage, Qualität oder Missstand zu erkennen.
Darum können sich – selbst in leitenden Funktionen – Menschen einnisten, für die Leistungssport eigentlich ein Fremdwort ist.
Nau.ch: Ihre Animositäten gegen soziale Medien sind auch noch gegenwärtig?
René Weiler: Ich mag Selbstmarketing und Anonymität weniger und ziehe wahre Freunde und reale Kontakte den digitalen vor.
«Der Fussball hat mich reich beschenkt»
Nau.ch: Sie arbeiten nun mit erst 46 Jahren schon im vierten Land. Ihr Erfahrungs-Rucksack ist gut gefüllt. War das immer so geplant?
René Weiler: Unabhängig vom Business wollte ich schon immer entdecken und erleben. Der Fussball hat mich bisher reich beschenkt, dafür bin ich sehr dankbar.
Nau.ch: Verfolgen Sie noch andere Ligen und den Schweizer Fussball?
René Weiler: Ja klar, so weit weg bin ich nicht. Hier gibt es rund um die Uhr diverse Live-Spiele von fast allen Ligen zu sehen. Mein Fokus gehört aber dem ägyptischen Markt, wo ich nun alle Mannschaften und Spieler bestens kennenlernen muss.
Nau.ch: Ist die Sprache ein Problem?
Weiler: Nein, die meisten sprechen Englisch.
Nau.ch: Wie sieht es mit dem Arabisch aus?
Weiler: Schriftlich nicht entzifferbar, doch verbal sind mir unterdessen schon einige Umgangsformen geläufig.
Nau.ch: Dann viel Glück weiterhin.
René Weiler: Danke, Inshallah!